Sebastian Lütgert - Rosa-Luxemburg-Strasse 27 - D-10178 Berlin Jan Philipp Reemtsma Hamburger Institut für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg Berlin, den 15. Januar 2004 Sehr geehrter Jan Philipp Reemtsma, der Anlass meines Schreibens ist leider nicht allzu erfreulich: ein Haftbefehl nämlich, ausgestellt auf meinen Namen und erwirkt auf Initiative der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, deren Leiter Sie sind. Die Gefängnisstrafe, die mir droht, geht zurück auf ein Urteil des Landgerichts Hamburg, das wegen angeblicher Dringlichkeit in meiner Abwesenheit ergangen ist, und wegen eines Auslandsaufenthalts auch ohne meine sofortige Kenntnis. Zur Last gelegt wird mir die elektronische Verbreitung zweier Texte von Theodor W. Adorno, an denen Ihre Stiftung die Rechte hält: "Jargon der Eigentlichkeit" und "Anti-Semitism and Fascist Propaganda". Ich nehme an, dass Sie über diesen Vorgang, dessen Anfänge bereits mehr als ein Jahr zurückliegen, zumindest informiert waren, oder ihn nach Rücksprache mit Ihren Anwälten - Senfft u.a., Hamburg - leicht werden rekonstruieren können. In der Tat bin ich die administrative und technische Kontaktperson der Internet-Domain textz.com - einer Website, auf der einige hundert Aufsätze, Romane und theoretische Texte gesammelt sind, und auf der Sie - in einem durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Domain geregelten Rahmen - auch unter dem Stichwort Adorno fündig werden können. Dass es sich bei textz.com nicht um einen gewerblichen Vertrieb für raubkopierte Literatur handelt, sondern um ein kollektiv betriebenes Forschungsprojekt und - insbesondere - um eine künstlerische Arbeit, dürfte sich bereits bei einer oberflächlichen Betrachtung ergeben. Vielleicht hilft bei der Einordnung auch das Presse-Archiv der Website weiter - von einer ganzen Reihe rennomierter internationaler Publikationen ist textz.com in den vergangenen Jahren freundlich besprochen, empfohlen oder gar ausgezeichnet worden. Ich kann Ihnen versichern, dass, wer auch immer die von Ihnen beanstandeten Textdateien dort gespeichert hat, ausser der Freiheit der Kunst nichts in Anspruch nimmt. Er oder sie trübt nicht einmal hinter dem Komma die Bilanz eines Verlegers, verursacht weder materiell noch immateriell einem Eigentümer Schaden und gefährdet in keiner Weise die Integrität anderer, privater oder öffentlicher Archive. Ohnehin ist Adorno, dessen Gesammelte Werke vollständig im Internet verfügbar sind, auch wenn es ein wenig Mühe kostet, sie zu finden, in digitaler Form weit weniger populär als Sie befürchten - vielleicht sogar weniger, als Sie eigentlich hoffen sollten. In den bislang zwei Fällen, in denen Copyright-Inhaber sich dennoch durch textz.com in ihren Eigentumsrechten verletzt sahen, reichte der Austausch zweier formloser E-Mails aus, um den jeweiligen Sachverhalt zu klären, den Zugriff auf die inkriminierten Texte zu sperren und damit zu einer für beide Seiten befriedigenden Lösung zu gelangen. Nun sind Sie für meine Verteidigung gewiss nicht der richtige Adressat, und ohnehin dürfte sich eine solche Verteidigung zu einem Zeitpunkt, an dem bereits per Haftbefehl nach mir gesucht wird, ebenso erübrigen wie ein Ersuchen um Akteneinsicht beim Hamburger Landgericht. Gleichwohl liegt es mir fern, verklagt von einer Stiftung, die ausgerechnet Wissenschaft und Kultur zu befördern meint, wegen der angeblichen Verbreitung zweier Texte, die ausgerechnet Theodor W. Adorno geschrieben hat, bei der Justizvollzugsanstalt Berlin-Plötzensee vorstellig zu werden. Mir ist bewusst, dass ein solcher Haftantritt sich günstig in Aufmerksamkeit für meine Arbeit verzinsen liesse, doch fehlt es mir an Talent zum Märtyrertum und auch an Ambition, persönlich kulturelles Kapital aus einer Situation zu schlagen, die ich für absurd, ungerecht und, als "Fall", auch nicht für meine Privatsache halte. Vielmehr möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen: Sie nämlich bitten, mir als ein Stipendium jene 3.021 Euro zu überweisen, die ich zu zahlen hätte, um meiner Verhaftung zu entgehen und einen Gefängnisaufenthalt zu vermeiden. Was der Zweck und die Konditionen eines solchen Stipendiums sein könnten, und welche Gegenleistungen ich zu erbringen hätte, würde ich gerne mit Ihnen besprechen. Da jedoch Polizeibesuch bei meinen Nachbarn, das Aufbrechen meiner Wohnung und die - mangels pfändbaren Eigentums - Sperrung meiner Gasversorgung auf eine gewisse Dringlichkeit hindeuten, wäre ich zunächst vor allem an einer raschen Antwort auf mein Schreiben interessiert, wenn möglich noch in der kommenden Woche. Sollte Ihnen an einem telefonischen Kontakt oder einem Treffen in Hamburg gelegen sein, so geben Sie mir doch bitte ein entsprechendes Zeichen. Für den Fall, dass Sie noch zögern, auf meinen Vorschlag einzugehen, erlauben Sie mir bitte eine abschliessende Überlegung. Selbst wenn ich das juristische Konzept des "Geistigen Eigentums" - auf dem ja nicht nur Ihre vergleichsweise landläufige Klage in Sachen Adorno beruht, sondern in dessen Namen Tag für Tag Enteignungen vollzogen, Grundrechte ausser Kraft gesetzt und handfeste Verbrechen begangen werden - für einen Moment als einen naturgesetzlich gegebenen Sachverhalt betrachte, dann müsste ein solches Recht doch auch mit der Pflicht verbunden sein, dieses schwer greifbare Eigentum zumindest pfleglich zu behandeln und nicht zum Schaden Dritter durchzusetzen. Mir scheint, als liessen sich gerade in den Schriften, über die wir streiten, Hinweise darauf finden, dass ihr Verfasser nicht im Sinn hatte, mit seinem Werk geistigen Besitz zu schaffen, der von seinen späteren Eigentümern vor Deutschen Landgerichten gegen ein Weiterleben in den Künsten einklagbar sein sollte. Wäre es nicht denkbar, dass ein Verfahren wie das von Ihrer Stiftung angestrengte, mit dem von mir geschilderten Ergebnis, vielmehr ein Umgang wäre, durch den Sie Ihre flüchtigen Rechte an den genannten Texten statt zu sichern eher verwirken? Beziehungsweise, umgekehrt, Ihre Kulanz in dieser Sache ein Anzeichen dafür, dass Sie der Verantwortung, die aus dem Eigentum am Werk Adornos erwächst, gerecht werden, indem Sie es nicht nur schützen und bewahren, sondern zugleich offen halten - auch und gerade für einen Umgang, der in Gegenrichtung zu jenen Umverteilungen und Raubzügen verläuft, die derzeit im Digitalen stattfinden, und den zu praktizieren und zu verteidigen längst zu einer der dringendsten Aufgaben der Forschung und der Künste geworden ist. In der Hoffnung auf Ihre baldige Antwort verbleibe ich mit freundlichem Gruss, Sebastian Lütgert Bankverbindung: Sebastian Lütgert, Konto 990338428, Berliner Sparkasse, BLZ 10050000 -------------------------------------------------------------------------------- > Received: from pop.nmmn.net (pop.nmmn.net [195.124.48.14]) > by mail.get.xs2.net (8.8.8/8.8.8) with ESMTP id GAA28290 > for ; Mon, 26 Jan 2004 06:43:58 -0500 (EST) > Received: from mail.nmmn.net (mail.nmmn.net [195.124.48.17]) > by pop.nmmn.net (Postfix) with ESMTP id 88EFFB85AF > for ; Mon, 26 Jan 2004 12:43:14 +0100 (CET) > Received: from Schuck (senfft.nmmn.net [217.114.65.200]) > by mail.nmmn.net (Postfix) with SMTP id 51CA3CA041 > for ; Mon, 26 Jan 2004 12:43:05 +0100 (CET) > Message-ID: <002401c3e401$c0c6f370$3700a8c0@Schuck> > From: "Andrea Schuck" > To: > Subject:=?iso-8859-1?Q?Hamburger_Stiftung_zur_F= > F6rderung_von_Wissenschaft_unf_Ku?= > =?iso-8859-1?Q?ltur_./._Sebastian_Luetgert?= > Date: Mon, 26 Jan 2004 12:44:27 +0100 > MIME-Version: 1.0 > Content-Type: multipart/alternative; > boundary="----=_NextPart_000_0021_01C3E40A.2275D7A0" > X-Priority: 3 > X-MSMail-Priority: Normal > X-Mailer: Microsoft Outlook Express 6.00.2800.1106 > X-MimeOLE: Produced By Microsoft MimeOLE V6.00.2800.1106 > X-UIDL: 09a9fe0ddeb30e8920e4b5b2b904805b Herrn Sebastian Luetgert Rosa-Luxemburg-Straße 27 10178 Berlin vorab per Mail: sebastian@rolux.org 26. Januar 2004 vEe/Sch 960/02 Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur ./. Sebastian Luetgert Sehr geehrter Herr Luetgert, Prof. Dr. Jan Philipp Reemtsma, der Vorstandsvorsitzende der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, hat uns gebeten, Ihr Schreiben vom 15. Januar 2004 zu beantworten. Es trifft zu, daß wir für unsere Mandantin den Erlaß eines Haftbefehls gegen Sie beantragt haben. Dies ist notwendig geworden, weil Sie es, obwohl Ihnen die erste einstweilige Verfügung bereits Ende August 2002 zugestellt worden war, trotz zahlreicher Zahlungsaufforderungen seit über einem Jahr nicht für nötig befunden haben, sich zu Ihren rechtswidrigen Handlungen und den dadurch verursachten Schaden zu erklären. Der Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls stellt das letzte Mittel des Gläubigers dar, die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu ermitteln. Unser Vorgehen dient mit anderen Worten einzig dem Zweck, Sie endlich dazu zu zwingen, sich über Ihre Einkommenssituation und Ihr Vermögen zu erklären. Ihr bisheriges hartnäckiges Schweigen läßt sich keinesfalls mehr mit Ihrem Hinweis auf einen angeblichen Auslandsaufenthalt erklären. Auch zur Ursache dieses ganzen Verfahrens, die nicht unsere Mandantin, sondern Sie allein gesetzt und zu verantworten haben, erklären Sie sich erstmals in Ihrem oben genannten Schreiben. Sie hätten dieses längst tun und die bisher entstandenen Verfahrenskosten bezahlen können. Die Erzwingung Ihrer eidesstattlichen Versicherung wäre dann von vornherein vermeidbar gewesen. Statt dessen haben Sie nicht nur die einstweiligen Verfügungen nicht beachtet, sondern darüber hinaus auch die gegen Sie verhängten Ordnungsgelder hartnäckig ignoriert. Die Folgen dieser Untätigkeit dürfen Sie jedoch nicht unserer Mandantin, sondern allein sich selbst anlasten. Unsere Mandantin kann auch Ihre Ausführungen zur Frage der Benutzung von urheberechtlich geschützten Werken Adornos nicht teilen. Es ist die Aufgabe unserer Mandantin, das Werk Adornos zu erhalten und zu pflegen und dessen nicht legale Verbreitung, insbesondere in Form von unberechtigten Raubkopien und durch das Internet zu unterbinden. Es bleibt wissenschaftlichen Interessierten unbenommen, die Werke kostenfrei in den Staatsbibliotheken auszuleihen. Im übrigen hat der Gesetzgeber den Interessen der Wissenschaft durch das im Urhebergesetz vorgesehene Zitatrecht hinreichend Rechnung getragen. Aus diesem Grunde ist der in Ihrem Schreiben formulierte "Vorschlag" inakzeptabel. Unsere Mandantin hat jedoch mit Schreiben vom heutigen Tage den Gerichtsvollzieher angewiesen, die Vollstreckung des Haftbefehls zunächst für einen Monat, d. h. bis zum 23. Februar 2004, auszusetzen. Bis zu diesem Tage wird Ihnen die Gelegenheit gegeben, unserer Mandantin zu unseren Händen Vorschläge zu unterbreiten, wie Sie die sich aus der anliegenden Forderungsaufstellung ergebenden Kosten begleichen wollen. Mit freundlichen Grüßen Matthies van Eendenburg Rechtsanwalt Rechtsanwälte Senfft, Kersten, Voss-Andreae & Schwenn Schlüterstraße 6 20146 Hamburg Telefon +49 40 450 24 10 Fax + 49 40 450 24 141 -------------------------------------------------------------------------------- Sebastian Lütgert - Rosa-Luxemburg-Strasse 27 - D-10178 Berlin Rechtsanwälte Senfft, Kersten, Voss-Andreae & Schwenn Schlüterstrasse 6 20146 Hamburg vorab per Mail: schuck@brothers-in-law.de Ihr Zeichen: vEe/Sch 960/02 Berlin, den 23. Februar 2004 Sehr geehrte Damen und Herren, in Ihrem Schreiben vom 26. Januar haben Sie mich aufgefordert, Ihrer Mandantin, der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, meine Einkommenssituation zu erklären und Vorschläge zur Begleichung jener Kosten zu unterbreiten, die ihr durch eine unerlaubte Verbreitung zweier Werke von Theodor W. Adorno entstanden sind. Auch wenn ich den gesamten Vorgang für eine grandiose Verschwendung von Zeit, Geld und Energie halte, deren Beitrag zur Förderung von Wissenschaft und Kultur sowie zur Pflege des Werkes von Theodor W. Adorno sich mir nicht erschliesst, so habe ich doch begriffen, dass Ihre Mandantin zu einem Verzicht auf ihre Forderungen derzeit nicht bereit ist. Daher möchte ich Ihrer Aufforderung nachkommen. Meine Einkommenssituation ist schnell erklärt: ich beziehe weder ein festes Einkommen oder staatliche Beihilfen, noch verfüge ich über Vermögen oder Besitz, aus dem ich die Forderungen Ihrer Mandantin begleichen könnte. Ich bewerbe mich jedoch zur Zeit um eine Reihe von Stipendien, Spenden und Schenkungen, die dem Zweck dienen sollen, den von Ihrer Mandantin geforderten Betrag aufzubringen, und ich bin zuversichtlich, dass dies in absehbarer Zeit möglich sein wird. Sie werden verstehen, dass Ihre Mandantin durch den von ihr erwirkten Haftbefehl meine Bemühungen eher erschwert als erleichtert, und so sehe ich Ihrer Zusage entgegen, die Vollstreckung dieses Haftbefehls unbefristet aussetzen zu lassen. Ich würde mich dann schnellstmöglich mit Ihrer Mandantin in Verbindung setzen, um verbindliche Zahlungsfristen zu vereinbaren. Bitte erlauben Sie mir noch einige Anmerkungen zur Sache, in diesem Fall zu Ihrem Schreiben. Bei der von Ihrer Mandantin geforderten Summe von 2.331,32 Euro, die ich Ihrer Ansicht nach "längst hätte bezahlen können", mag es sich um einen Bruchteil Ihres eigenen monatlichen Einkommens handeln; für viele Leute, auch für mich, ist das viel Geld. Ebenso mag es in Ihrer eigenen Nachbarschaft möglich sein, die beiden Werke Adornos, über die wir streiten, wie von Ihnen angeregt "kostenfrei in Staatsbibliotheken auszuleihen". Mir selbst ist das in Berlin-Mitte nicht gelungen, und auch mehrere meiner Freunde, die gleiches auf meine Bitte hin im aussereuropäischen Ausland versucht haben, hatten keinen Erfolg. Ziemlich ratlos stehe ich auch vor dem von Ihnen verwendeten Begriff der "Raubkopie". Sie wissen genauso gut wie ich, dass der juristische Tatbestand des Raubes und der technische Vorgang der Kopie weder theoretisch noch praktisch zusammengehen, schon gar nicht in einem solchen Begriff. Angenommen, ich würde mich für Ihr "Mordsschreiben" bedanken - Sie würden doch zurecht annehmen, ich wisse nicht, wovon ich spreche, und wolle Sie nur unnötig provozieren. Dabei, dessen möchte ich Sie versichern, liegt mir kaum etwas ferner als gerade das, denn so wenig ich Ihnen in der Sache folgen oder zustimmen kann, so sehr ist mir doch daran gelegen, den gerichtlichen Teil der Auseinandersetzung beizulegen. In der Hoffnung auf einen positiven Bescheid verleibe ich mit freundlichen Grüssen Sebastian Lütgert