The Making of the Autonomist
Groups in the 80s

In den Jahren 1980­83 kam es in der BRD und West-Berlin zu einem ungeahnten Aufschwung der neuen sozialen Bewegungen. Diese entstanden teilweise aus dem Umfeld der Alternativbewegung, soweit diese sich noch als ein gegenkultureller Ansatz verstand. Die thematische Eingrenzung verschiedener Teilbewegungen (Anti-AKW, Häuserkampf, Startbahn-West und Frieden) wurde in diesen Jahren in teilweise erbittert geführten Auseinandersetzungen mehr als einmal durchbrochen. Der Aufschwung der Bewegungen stand im Zusammenhang mit der Sozialrevolte 1980/81, die mit einer Welle von militanten Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, ausgehend von Zürich und Amsterdam über Freiburg, Hamburg bis nach West-Berlin, die ganze West-Republik durchlief. Für diese Entwicklung wurde von bürgerlichen Soziologen und Journalisten der irreführende Begriff der »Jugendrevolte« eingeführt. Der Begriff unterschlägt, daß viele bewegte Jugendliche nicht wegen ihrer »Jugend« revoltiert haben, sondern aufgrund ihrer massiven sozialen und politischen Unzufriedenheit. Darüber hinaus verdeckt dieser Begriff, daß sich der Unmut teilweise mit den Strukturen älterer linksradikaler Zusammenhänge verband und eine Kontinuität von ein paar Jahren entwickeln konnte. Ohne diese organisatorischen und politischen Verknüpfungen hätte sich die sogenannte »Jugendrevolte« wohl eher in einem sporadischen Aufflackern einer ziellosen jugendlichen Bandenmilitanz ausgedrückt als in Aktionen gegen AKWs, Startbahn-West, Wohnungsleerstand usw. Die Sozialrevolte vieler Jugendlicher wurde von älteren GenossInnen mit Verwunderung registriert, weil sie eine derartige Militanz auf den Straßen nach dem »Deutschen Herbst« nicht mehr für möglich gehalten hatten.
In den jeweiligen Bewegungen bildete sich ein sich selbst als militant verstehender autonomer Flügel heraus, der vor allem von vielen jüngeren Leuten getragen wurde. Ihre Erfahrungen waren dabei stark durch eine in dieser Zeit vorherrschende »No-Future«-Haltung, die Konfrontation gegen bürgerliche Herrschaftsnormen und die Thematisierung der eigenen Bedürfnisse geprägt. Zentrales Medium der Verständigung wurden ­ im Unterschied zu den studentischen Teach-ins der 60er und 70er in den Universitäten ­ sogenannte »Vollversammlungen«, die abgeschottet von einer bürgerlichen Öffentlichkeit den Raum für alle Bewegten öffneten, über ihre politischen Ziele und die dafür notwendigen Formen zu diskutieren.
In diesem Abschnitt soll die Geschichte der Autonomen in der ersten Hälfte der 80er Jahre wesentlich im Zusammenhang mit der Entwicklung der neuen sozialen Bewegungen beschrieben werden. Dieser Begriff skizziert einen Ansatz zur Erklärung gesellschaftspolitischer Konflikte seit Mitte der 70er Jahre in den westlich-kapitalistischen Staaten. Gegen Ende der 70er Jahre wurde dieser Begriff von einer linksliberalen Universitätsszene entwickelt und ebenfalls in die Kontinuität des Erbes der Studentenrevolte gestellt. Gleichwohl ist er zugleich mit stark mittelschichtsorientierten Sichtweisen verbunden worden. Unverkennbar existierte bei der NSB-Forschung von vorneherein eine Tendenz, in der Existenz der grünen Reformpartei eine politisch gelungene Verwirklichung der Basisbewegungen zu begreifen. Da nimmt es denn auch nicht wunder, daß in den Untersuchungen vor allem der auch in diesen Bewegungen vorhandene modernistische Impuls herausgearbeitet und im Sinne eines »allgemeine Wertewandels« positiv bewertet wird.
Schließlich sind doch auch Vertreter der Atommafia der Anti-AKW-Bewegung ganz dankbar dafür, daß diese hin und wieder ein für sie ­ unter kapitalistischen Gesichtspunkten ­ unrentables Projekt verzögert oder verhindert hat. Außerdem leben auch AKW-Direktoren ganz gern gesund, kaufen in Müsli-Läden ein und achten auf biodynamische Vollwertkostnahrung. Und so fügt der »Weltgeist« der NSB-Forschung einstmals unversöhnlich scheinende politische Konflikte in einem neuen sozialdemokratischen »Projekt der Moderne« von Onkel Habermas zusammen. Dabei geht es in dem von einem grün-alternativen Dämmerlicht mild ausgeleuchteten Raum nicht mehr um so antiquiert scheinende Begriff wie z.B. »Klassenkampf« und »Imperialismus«: gefragt ist die Entfaltung von »qualitativen Bedürfnissen«, von »Partizipation«, »Mitbestimmung«, denn schließlich geht es doch um ein gesundes angenehmes Leben der neu sozial Bewegten. Immerhin ist es schon eine beachtliche intellektuelle Leistung, die militanten Anti-AKW-Kämpfe in Brokdorf und Grohnde mit allen ihren antikapitalistischen und herrschaftskritischen Ausdrücken auf ein »Mitbestimmungsmißverständnis« bei der Planung einer doch allen dienenden rationalen Energieversorgung zu reduzieren. Sei's drum. Uns soll's nicht scheren, wenn diese Art der akademischen Forschung Autonome lediglich als »Herausforderung« in Gestalt einer sogenannten »neuen Armut« an die Alternativbewegung begreifen kann und somit glücklicherweise nur wenig versteht. Doch genug polemisiert.
Das Konzept der NSB gliedert sich ein in eine gesellschaftliche Wirklichkeit in den westlich-kapitalistischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg, die unter dem Begriff des »Fordismus« gefaßt wird. Der Begriff kennzeichnet eine Gesellschaftsformation, die basierend auf einem hohen Grad banalisierter Massenproduktionen (z.B. Fließbänder in der Automobilherstellung), einen relativ hohen Standard von Massenkonsum bei gleichzeitiger staatlich-juristischer Regulierung der Klassenkonflikte durchgesetzt hat. Der hohe Grad der Verrechtlichung und »Institutionalisierung« des »Klassenkonfliktes« hat auch dazu geführt, daß wesentliche Konflikte und Kämpfe gerade in der BRD außerhalb des Produktionsbereiches stattfanden. Und so schließt sich der Kreis zum Begriff der »neuen sozialen Bewegungen«, der die überraschende Zusammensetzung, Explosivität und Bedeutung von Basisbewegungen in einer Zeit kaum öffentlich entfalteter Klassenkämpfe in der BRD zu erklären versucht.
So bildete sich beispielsweise die Anti-AKW-Bewegung ­ die im nachfolgenden Kapitel über den grünen Klee gelobt wird ­ mit einer diffusen Klassenzusammensetzung im Reproduktionsbereich heraus. Zeitweilig stand sie unter einem starken Druck von weiten Teilen der Arbeiterbewegung, insbesondere aus der Atom- und Kraftwerksindustrie, die für die reformistischen DGB-Gewerkschaften den Raum für massive Pro-AKW-Mobilisierungen ihrer Facharbeiterbasis öffneten. Demgegenüber ist in der Zusammensetzung der Bewegungen festzustellen, daß die TrägerInnen zwar vielfach aus den sogenannten »Mittelschichten« kommen, sich jedoch als relativ offen für egalitäre Strukturen und zum Teil für antikapitalistische Ziele erwiesen haben. Auch wenn diese Offenheit im Rahmen der NSB durchaus von bestimmten Trägergruppen (z.B. Großbauern in der Anti-AKW-Bewegung) opportunistisch gehandhabt worden ist ­ vielen Bürgern ist es egal, wer für ihr Interesse bei der Verhinderung des AKWs in ihrer Gemeinde die Köpfe hinhält ­, ist damit allenfalls etwas zu nicht überwindbaren sozialen Begrenzungen innerhalb von Bewegungen gesagt, jedoch noch nichts über die politische und gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieser Bewegungen. GenossInnen von der »Roten Hilfe« West-Berlin haben schon im Jahr 1973 die politische Bedeutung des Klassencharakters von sozialen Bewegungen in sehr hellsichtiger Weise diskutiert. Sie schreiben auf eine Kritik der K-Gruppen an den Bürgerinitiativen:
»Sowohl der rigide Antirevisionismus als auch die ausschließliche Konzentration auf die Propaganda der Organisation des Proletariats produzierten einen Wirklichkeitsverlust innerhalb der Linken und führten zu einem politischen Desinteresse gegenüber den Konflikten im Reproduktionsbereich, die mit den Bürgerinitiativen aufbrachen. Vielleicht war es nicht nur Desinteresse: denn mit der Liquidation der antiautoritären Bewegung wurden insbesondere zwei Tendenzen der politischen Praxis gebrochen; unter dem Stichwort 'Handwerkelei' wurde eine Basisarbeit denunziert und aufgelöst, deren politische Praxis an den Konflikten im Stadtteil und im Betrieb orientiert war; unter dem Stichwort 'Spontaneismus' wurde die direkte Aktion selber kritisiert.
Hauptkritik war, daß beide politische Praxis- und Kampfformen ohne organisatorische Bedeutung für die Arbeiterklasse und als Ausdrucksformen kleinbürgerlicher Politisierung aufzulösen seien. Mit einer derart rigiden Verwendung des Klassenbegriffs wurde die antiautoritäre Bewegung richtiggehend zerlegt und die mobilisierten Genossen auf ihre gesellschaftliche Herkunft zurückgetrieben. Demgegenüber lag die politische Energie der antiautoritären Bewegung gerade in dem Niederreißen der Klassengrenzen durch die Massenaktionen selber ... Die ... linke Kritik an den Bürgerinitiativen beschränkt sich hauptsächlich auf die Klassenzusammensetzung, derzufolge diese als Mittelschichtsinitiativen zu gelten haben ...
Die Erfahrung zeigt, daß die meisten redegewandten und im Durchsetzungsvermögen trainierten Angehörigen der Mittelschicht sich in solchen Fällen auf Kosten der anderen Beteiligten durchsetzen und so die Bürgerinitiative zu einer Mittelschichtsangelegenheit machen.
Eine derartige Verwendung des Klassenbegriffs zerstört die notwendigen politischen Erfahrungen. Mit dem Anspruch einer Klassenanalyse wird lediglich der soziologische Tatbestand reproduziert. Auch nicht, daß Angehörige verschiedener Klassen sich in Bürgerinitiativen betätigen, ist von Interesse, sondern was eine derartige Klassenmischung politisch bedeutet: Wie sich innerhalb der Bürgerinitiativen die Klassenunterschiede entwickeln; ob sie sich gegenseitig abstumpfen; oder unter welchen Bedingungen sie politisch produktiv werden. Es wäre in der Tat die Aufgabe einer Klassenanalyse, zu untersuchen, inwieweit die Klassenunterschiede durch den Interessenskampf in Bewegung geraten« (Kursbuch Nr. 31).
Diese Ausführungen machen die widersprüchliche Bedeutung des oft auch in linksradikalen und autonomen Zusammenhängen mißverständlich gebrauchten Begriffs der »Mittelschichten« deutlich. Gerade in einer zu vereinfachten, in denunzierender Absicht gebrauchten Verwendung des Begriffes wird zumeist die in den Metropolen existierende Klassenrealität unterschlagen. Die Entwicklung des Kapitalismus in der BRD ist einhergegangen mit einem enormen ökonomischen Wachstumsboom, der zu einer gesamtgesellschaftlich zwar ungerechten, jedoch quantitativ angehobenen Wohlstandsverteilung auch zugunsten weiter Teile der Unterschichten geführt hat. Dabei vermochte gerade diese für viele Proletarier in den 50er und 60er Jahren plausible Aussicht, in einer absehbaren Zeit eine konsumistische Teilhabe am »Wirtschaftswunder« erlangen zu können, widerständige ­ oppositionelle und zum Teil kommunistische ­ Orientierungen zu zersetzen. Die Fähigkeit des bundesdeutschen Kapitalismus, Zusammensetzungsprozesse von Klassenverhältnissen bei Aufrechterhaltung der bürgerlichen Herrschaftsstruktur durchzusetzen, macht die gesellschaftspolitische Stabilität dieses System möglich. Dabei schaffen diese kapitalistischen Entwicklungen zugleich auch veränderte Bedingungen für neue Widersprüche:
»Der prosperierende Fordismus stattete eine wachsende Zahl von Menschen mit Zeit und Kompetenzen aus, die für ein dauerhaftes nicht-institutionelles Handeln notwendig sind ... Die Auflösung von traditionellen kirchlichen oder proletarischen Milieus und die damit verbundenen kulturellen Freisetzungen erweitern darüber hinaus die individuellen Handlungsalternativen« (Hirsch/Roth).
So ist beispielsweise die Teilnahme vieler StudentInnen und AkademikerInnen, d.h. tendenziell in ihrer sozialen Stellung auf die Mittelschicht hin ausgerichteter Individuen, an der linksradikalen und autonomen Bewegung genau dieser nach dem Zweiten Weltkrieg neu strukturierten Klassenrealität geschuldet. Manche sollen's dabei sogar vom jobbenden revolutionären Taxifahrer bis hin zum reformistischen Minister gebracht haben ...
Gerade im Hinblick auf die schwer fixierbaren Probleme eines politischen Ausdrucks im Kontext von abschmelzenden und sich ständig neu bildenden »Mittelschichten« in den kapitalistischen Zentren haben die »Neuen Sozialen Bewegungen« mit den von ihnen getragenen Konflikten in den politischen und sozialen Klassenzusammensetzungen doch eine ganze Menge durcheinandergewirbelt, in Frage gestellt, erbittert bekämpft und so die Basis für das Entstehen der autonomen Gruppen gebildet. Die Autonomen gehen zwar mit ihrer Theorie und Praxis weit über die inhaltlichen und praktischen Begrenzungen der sozialen Bewegungen hinaus, bleiben jedoch beständig auf diese bezogen. So scheint denn ­ auch in Ermangelung anderer Begrifflichkeiten! ­ der Begriff der Neuen Sozialen Bewegungen angemessener dazu in der Lage zu sein, die Präsenz der autonomen Gruppen in den verschiedenen politischen und sozialen Auseinandersetzungen seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre in der BRD zu beschreiben, als Versuche diese als »Klassenkämpfe« zu begreifen. An solchen Ansätzen hat es zwar zu keinem Zeitpunkt gefehlt ­ »Häuserkampf ist Klassenkampf!« ­, sie blieben jedoch gegenüber der politischen und sozialen Bewegung als aggressive Geste zumeist fremd und künstlich aufgesetzt und wurden in der Regel auch nicht breiter aufgegriffen.

Die Anti-AKW-Bewegung von 1975­81
Die Anti-AKW-Bewegung in der Bundesrepublik entstand als Reaktion auf die nach der sogenannten Ölkrise 1973 von Staat und Kapital forcierten Pläne, das bereits in Grundzügen entwickelte Atomprogramm verstärkt auszubauen. Dabei wurden die AKWs als billige Energiezentralen in ländliche Regionen projektiert, in denen von Großkonzernen mit stromintensiver Stahl-, Metall- und Chemieindustrie massive Großindustrialisierungsprogramme geplant waren. Die Umstrukturierungsmaßnahmen sollten vor allem in bisher industriell relativ schwach entwickelten Provinzen wie z.B. der Unterelbe und der Oberrheinregion durchgeführt werden. Gegen die Horrorvision von »neuen Ruhrgebieten« formierte sich erstmals im »Dreiländereck« ­ Frankreich, BRD und Schweiz ­ ein breiterer Protest der Bevölkerung. Nachdem bereits AKW-Bauplanungen in Breisach auf erste Proteste der Bevölkerung gestoßen waren, weitete sich diese Auseinandersetzung auf die umliegende Grenzregion aus. Die ökologische Bürgerbewegung im Dreiländereck verhinderte dabei mit einer Bauplatzbesetzung ein geplantes Bleichemiewerk im elsässischen Marckolsheim. Danach folgte die Verhinderung des AKWs Whyl und später der Bau des AKWs in Kaiseraugst bei Basel, der ebenfalls durch eine Bauplatzbesetzung gestoppt werden konnte.
Der Widerstand gegen den Bau des AKWs in Whyl erreichte mit der Stürmung und der Besetzung des Bauplatzes im Rahmen einer Massendemonstration von 30.000 Menschen im Februar 1975 ihren Höhepunkt. Die Staatsmacht war von dem Ausmaß dieser Bewegung völlig überrascht und zog sich schließlich mit ihren Bulleneinheiten aus der Nähe des Baugeländes zurück. Die Ereignisse veranlaßten den damaligen baden-württhembergischen Ministerpräsidenten und Altnazi Filbinger zu der Bemerkung: »Wenn das Beispiel Whyl Schule macht, dann ist das ganze Land unregierbar!« Die Besetzung des Baugeländes wurde von der Bewegung solange aufrechterhalten, bis ein Verwaltungsgerichtsentscheid den Baubeginn definitiv auf unbestimmte Zeit aussetzte und die Landesregierung allen DemonstrantInnen eine Amnestie und Straffreiheit zusicherte.
Bei diesen Anti-AKW-Auseinandersetzungen handelte es sich zunächst um eine regional auf das Oberrheingebiet begrenzte Bewegung. Sie setzte sich aus konservativen, teilweise reaktionären Naturschützern und den von den geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen besonders betroffenen Bauern und Winzern zusammen. Auf dem Höhepunkt des Kampfes wurde die Bewegung allerdings auch von Naturwissenschaftlern aus Freiburg und der dortigen KBW-Gruppe unterstützt. Auf der politischen Ebene bestimmten umweltschützerische, konservativ-abwehrende und regionalistische Argumente die Motive der an den Konflikten beteiligten Menschen. Allerdings kamen in einigen Aktionen bereits antikapitalistische Momente in der Kritik zum Vorschein, so wurden z.B. die Verfilzung der staatlichen Genehmigungsbehörden mit den Elektrokonzernen öffentlich angegriffen.
Innerhalb der Bewegung kam es trotz vieler Differenzen zu enormen Erfahrungs- und Lernprozessen, die teilweise zu einer Veränderung alltäglicher Strukturen in den Lebensweisen der AktivistInnen führten.
Die Konflikte in der Region Kaiserstuhl wurden in der Folge zu einem Signal für einen erfolgreichen und außerinstitutionellen Widerstand. Diese Erfahrung übte auf die bundesdeutsche radikale Linke, in einer Situation von verlorengegangenen Häuserkämpfen und einer sich verschärfenden staatlichen Repression, eine große Anziehungskraft aus.

Von Brokdorf über Grohnde bis nach Kalkar
Ausgangspunkt für die Beteiligung der Linksradikalen an der Anti-AKW-Bewegung waren die Auseinandersetzungen um das AKW in Brokdorf an der Unterelbe. Der Region Unterelbe war seitens der Großindustrie und der staatlichen Planungszentralen ab Ende der 60er Jahre eine ähnliche Entwicklung zugedacht worden wie dem Gebiet am Dreiländereck am Oberrhein. Im Zuge dieser Entwicklung waren im Hamburger Hafengebiet (Waltershof, Altenwerder), in Brunsbüttel und Stade eine Reihe von Dörfern zerstört und dem Erdboden gleichgemacht worden. Die DorfbewohnerInnen wurden zu diesem Zweck »umgesiedelt«, wie es im Technokratendeutsch heißt, sprich: Es fand eine Vertreibung von tausenden von Menschen statt, um Platz für den Aufbau von Chemieindustrieanlagen und Atomkraftwerken zu schaffen. Als bekannt wurde, daß im Raum Brokdorf-Wewelsfleht ein weiteres AKW gebaut werden sollte, gründete sich dort eine Bürgerinitiative. Die Gruppe nannte sich »Bürgerinitiative Unterelbe Umweltschutz« (BUU), und breitete sich rasch in andere Initiativgruppen bis nach Hamburg aus. »Dabei wurden die örtlichen Bürgerinitiativen von jungen Wissenschaftlern aus Unis und Großforschungseinrichtungen unterstützt, die mit der Praxis der Kritik an AKWs begannen, das herrschende vermeintlich 'wertfreie und objektive' Technik- und Wissenschaftsverständnis massiv zu erschüttern.«
Als unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse in Whyl begann innerhalb der BUU die Diskussion über die Möglichkeit einer Bauplatzbesetzung zur Verhinderung des AKW-Baubeginns. Sie waren allerdings mit einer Situation konfrontiert, in der auch die staatlichen Instanzen ihre Lehren aus Whyl zogen. So wurde auf höchster politischer Ebene über den weiteren Fortgang des Atomprogramms beraten und Maßnahmen zur polizeilichen Durchsetzung des Baubeginns in Brokdorf ergriffen. Auf die Ankündigung der Bürgerinitiativen, einen AKW-Baubeginn notfalls mit einer Bauplatzbesetzung zu verhindern, erfolgten denn auch die ersten staatlichen Einschüchterungsmaßnahmen. Ende Oktober 1976 wurde in einer Nacht- und Nebel-Aktion der Bauplatz von Bullen und Baukolonnen besetzt. Mit diesem Vorgehen brachen die verantwortlichen Politiker die vorher gegenüber den lokalen BIs geäußerten Versprechungen, mit dem Bau des AKWs erst nach einem Gerichtsentscheid zu beginnen. In diesem Zusammenhang entstand auch die Parole: »Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!«
Am 30. Oktober kam es zu einer ersten Demonstration von 8.000 Menschen, in deren Verlauf es gelang, einen Teil des Geländes zu besetzen. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden die PlatzbesetzerInnen jedoch in einem brutalen Bulleneinsatz geräumt. Diese Repression bewirkte im Herbst '76 jedoch das genaue Gegenteil der staatlicherseits beabsichtigten Einschüchterung: Die Anti-AKW-Bewegung wuchs nach der ersten Brokdorfdemonstration sprunghaft an, in der ganzen BRD entstanden Bürgerinitiativen gegen das Atomprogramm. In dieser Dynamik wirkten Militanz und Betroffenheit bei dem Versuch zusammen, die Bauplätze zu stürmen und sich gegenüber den Bullen zur Wehr zu setzen.
Bereits nach zwei Wochen kam es am 14. November zur zweiten Brokdorfdemonstration, an der 40.000 Menschen teilnahmen. Erstmals wurden bei einer Demonstration in der BRD Einheiten des Bundesgrenzschutzes auf der juristischen Grundlage der 1968 verabschiedeten Notstandsgesetze eingesetzt. Trotzdem gelang es im Verlauf der Demonstration, den zwischenzeitlich festungsartig ausgebauten Bauzaun teilweise zu demontieren. Die Bullen griffen schließlich die gesamte Demonstration in einem Hubschraubereinsatz mit Gasgranaten an und lösten sie dadurch auf.
Nach den beiden Demonstrationen im Herbst '76 bereiteten die Bürgerinitiativen der BUU eine weitere internationale Großdemonstration gegen den Weiterbau des AKWs vor. In dieser Situation der um sich greifenden massen-militanten Mobilisierung von Hunderttausenden von Menschen setzten Staat und Atombetreiber Spaltungs- und Integrationsstrategien ein. Im Dezember '76 wurde durch ein Verwaltungsgericht ein vorläufiger Baustopp für das AKW in Brokdorf verhängt; in die Bewegung schalteten sich erstmals massiv auch die schleswig-holsteinische SPD und der gesamte Organisationsapparat der DKP ein. Der damalige CDU-Ministerpräsident Stoltenberg intervenierte durch Geheimgespräche mit BI-Vertretern. Schließlich erreichten diese Maßnahmen das Ziel, die Vorbereitungen der Brokdorf III-Demonstration im Februar politisch und organisatorisch an der Frage zu spalten, entweder eine staatlich gebilligte Protestdemonstration weit ab vom politischen Angriffspunkt durchzuführen oder direkt auf das Baugelände des AKW Brokdorf zu mobilisieren. Während die SPD, unterstützt von der DKP, einigen regionalen Bürgerinitiativen und dem Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU), zu einer staatlich erlaubten Protestkundgebung in die weit vom AKW-Baugelände abgelegene Provinzstadt Itzehoe mobilisierten, hielt der andere Teil der Bewegung, der sich aus ML-Gruppierungen, Autonomen, Spontis und großen Teilen der Bürgerinitiativen zusammensetzte, daran fest, direkt zum festungsartig abgesicherten Baugelände zu demonstrieren.
Am 19.2.1977 kam es zu zwei Anti-AKW-Demonstrationen, in Itzehoe und in der Wilster Marsch, an denen jeweils rund 30.000 Menschen teilnahmen. Dem militanten Teil der Bewegung gelang es trotz einer ungeheuren staatlichen Medienhetze ­ bei der u.a. der damalige SPD-Bundeskanzler Schmidt in einer Fernsehansprache die Bevölkerung vor den »Chaoten« warnte ­ und eines Demonstrationsverbotes in der Wilster Marsch, eine geschlossene Demonstration bis zu einer Polizeiabsperrung durchzuführen, die dort mit einer Kundgebung beendet wurde.
Die durch die Brokdorfereignisse ausgelöste Dynamik der Bewegung übersetzte sich Mitte März 1977 in eine Demonstration gegen das AKW Grohnde, an der 20.000 Menschen teilnahmen. Im Verlauf der Aktionen wurde von den TeilnehmerInnen eine Bullensperre abgeräumt und der Zaun um das Baugelände an mehreren Stellen niedergerissen. Die Auseinandersetzungen am Baugelände waren geprägt durch einen seither nie wieder erreichten Grad an organisierter Massenmilitanz. Sie war an verbindliche Gruppenstrukturen, wie z.B. Zaun-, Werfer- und Putzgruppen, mit großen Mengen an technischem Material gebunden. Allerdings begannen bei dieser Demonstration auch die Maßnahmen der staatlichen Repression stärker einschüchternd auf die Bewegung zu wirken. Im Verlauf der Auseinandersetzungen kam es zu einer Vielzahl von schwerverletzten DemonstrantInnen, weil die Bullen mehrmals mit Pferden in die Ketten der DemonstrantInnen geritten waren. Ein Teil der Festgenommenen wurde in den Jahren 1978/79 in den sogenannten Grohnde-Prozessen zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Die Repression gegen die bundesdeutsche und internationale Anti-AKW-Bewegung verschärfte sich noch bei der Demonstration gegen den Schnellen Brüter in Malville/Frankreich. Diese Manifestation wurde von den französischen Bullen zusammengeprügelt, wobei sie einen Demonstranten töteten.
Mit der September-Demonstration gegen den Schnellen Brüter in Kalkar fuhr die Anti-AKW-Bewegung schließlich in den »Deutschen Herbst«. Die dabei mit der Repression erfahrenen Demütigungen wirkten noch lange als »Kalkar-Schock« nach. Zugleich verflog auch endgültig die Hoffnung, das Atomprogramm mit massenmilitanten Bauplatzbesetzungen kippen zu können. Innerhalb der Anti-AKW-Bewegung vertieften sich bereits vorher angelegte politische und soziale Spaltungslinien.

Die politische und soziale Zusammensetzung der
Anti-AKW-Bewegung in den 70er Jahren
Neben der bereits bei der Vorbereitung der Brokdorf III-Demonstration offenkundigen Spaltung in einen legalistischen Teil (SPD, DKP, BBU) und einen militanten Arm der Bewegung (Teile der BIs, ML-Gruppen, Spontis, Autonome), spaltete sich der militante Flügel der Hamburger BUU im Sommer 1977 in ein vom KB beherrschtes Delegiertenplenum und in ein autonomes BUU-Plenum. Darüber hinaus schaffte sich der »gewaltfreie« Arm der Bewegung ab Frühjahr 1977 in den Protesten gegen den geplanten WAA-Standort Gorleben sein eigenes Symbol. Dort fanden sich EmigrantInnen aus den Städten, Prominente und bürgerliche Kräfte aus der Region in der BI-Lüchow-Dannenberg zusammen, die ein strikt ausgrenzerisches gewaltfreies Widerstandskonzept verfolgte. Diese Differenzen wurden noch einmal durch die sich im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung bildenden parlamentarisch orientierten »grünen«, »bunten« oder »alternativen« Listen, als Vorformen der späteren Partei der Grünen, verstärkt. Diese Organisationen setzten sich aus eher am Rand der BIs tätigen »sozialstaatlich garantierten« Schichten der Mittelklasse, Bauern, akademisch-kulturpolitisch aktiven Stadtflüchtlingen in den ländlichen Regionen, Lehrern, akademischen Freiberuflern, akademischen Kadern des kommunalpolitischen Verwaltungsapparats (nach: Autonomie NF) zusammen. In den ländlichen Regionen wurden die Listen zunächst eher von konservativ-reaktionären Kräften getragen, während in den Städten eher ehemalige enttäuschte SPD/F.D.P.-AnhängerInnen sowie Mitglieder diverser, sich Ende der 70er Jahre auflösender ML-Gruppierungen zu finden waren.
Allerdings stellten die Autonomen in allen Richtungskämpfen der Bewegung eine wesentliche Fraktion dar. Sie waren in den AKW-Auseinandersetzungen 1976/77 vor allem im norddeutschen Raum in einem großen Umfang TrägerInnen von militanten Auseinandersetzungen und entwickelten sich dabei zu einer eigenständigen politischen Kraft. Autonome AKW-GegnerInnen arbeiteten bereits seit dem Jahre 1973 gemeinsam mit örtlichen Bürgerinitiativen gegen die AKW-Baupläne in Brokdorf. Dabei benutzten sie AKW-Erörterungstermine zur Demaskierung von vorgeblich wertfrei-objektiven staatlich bezahlten Wissenschaftlern und TÜV-Sachverständigen und deckten deren Komplizenschaft mit der staatlichen Genehmigungsbehörde auf. Durch ihre kontinuierliche Arbeit sorgten sie erstmals in der BRD für eine breitere Präsenz von Linksradikalen in einer zunächst bürgerlichen Massenbewegung.
Die Bürgerinitiativ- und Ökologiebewegung, die bereits punktuell am Ende der 60er Jahre in der BRD und West-Berlin als »APO des kleinen Mannes« entstanden war, stand mit ihrer soziologischen Zusammensetzung (viele Angehörige aus »Mittelschichtsberufen«) und den von ihr aufgeworfenen Fragen und Themenstellungen (ökologische Bedrohungen, mangelnde Ausstattung der sozialen Infrastruktur usw.) für viele Linksradikale entweder »quer« oder als »Nebenwiderspruch« zur Klassenfrage. Die Konflikte im Reproduktionsbereich und die aus unterschiedlichen Gruppen, Klassen und Schichten der Bevölkerung zusammengesetzten TrägerInnen des Protests widersprachen allen gängigen Vorstellungen der Linken, insbesondere der ML-Bewegung, die auf das Fabrikproletariat als Keim von gesellschaftlicher Befreiung orientiert war. So wurde denn auch die Arbeit der Anti-AKW-Bewegung vor Brokdorf vom damals in der Hamburger radikalen Linken dominierenden KB als »kleinbürgerlich« belächelt, diffamiert und zum Teil behindert.
Die rasante Entwicklung der Anti-AKW-Bewegung und ihre spontane Kraft in der Zeit 1976/77 kam daher nicht nur für den Staat, sondern auch für weite Teile der ML-Bewegung überraschend. Sie war Ausdruck der Hoffnung vieler Menschen, zumindestens Teilerfolge gegen den Staat und die Atombetreiber durchsetzen zu können. In diesem Sinn war sie nicht nur eine Ein-Punkt-Bewegung, sondern zeitweise eine Fundamentalopposition gegen die herrschenden Verhältnisse, die wie ein Schmelztiegel für unterschiedliche Vorstellungen von Leben, Gesellschaft und Widerstand wirkte. Innerhalb dieser Bewegung knüpften die erstmals massenhaft auftretenden autonomen Gruppen mit ihren antiautoritären Vorstellungen und ihrer organisierten Praxis der direkten Aktion an die besten Momente der Studentenrevolte an. Zeitweise konnten sie in den Massenbündnissen der Anti-AKW-Kämpfe '76/'77 mit ihren Vorstellungen die Richtung der Bewegung stark bestimmen.

Die BUU-Hamburg zwischen dem KB und den Autonomen
Nach dem Aufschwung der Anti-AKW-Bewegung waren die meisten Berührungs- und Interventionsversuche der ML-Gruppierungen von elitären und funktionalistischen Führungskonzepten geprägt. Insbesondere der Hamburger KB schaltete sich mit seiner gesamten Organisation massiv in die Strukturen der BUU ein. Dabei versuchte er in einer gezielten Unterwanderungs- und Majorisierungspolitik, die Strukturen für seine Ziele zu vereinnahmen. Zu dieser Strategie gehörte auch die massenhafte Umgründung bisheriger KB-Gruppen in diverse Anti-AKW-Initiativen (wie z.B. Chemiearbeiter, Lehrlinge, Schüler, Frauen gegen AKWs usw.). Darüber gelang es ihm bereits nach kurzer Zeit, auf dem Delegiertenplenum der BUU die Mehrheit zu stellen, wobei er sich dann der formalen Hülse eines »BUU-Status« bediente, um die Ziele seiner Organisation mit »demokratisch gefaßten Mehrheitsentscheidungen« durchzusetzen. Bereits im Frühjahr 1977 wurden die Diskussionen auf dem Delegiertenplenum der BUU durch die Geschäftsordnungspraktiken des KB dominiert, der damit versuchte zu bestimmen, was diskutiert werden sollte. Getreu der vom Leitenden Gremium des KB um die Jahreswende 1976/77 ausgegebenen »Weisung«, die »Machenschaften« der politisch kurzsichtigen »Sponti-Clique« innerhalb der BUU mit »Stumpf und Stiel« auszurotten, beherrschten die von KB-Zeitungen publizistisch lancierten Mißbilligungs-, Verurteilungs- und Ausschlußanträge des KBs im BUU-Delegiertenplenum die Diskussionen.
In der dabei vom KB angestrebten »Aktionseinheit« mit allen »fortschrittlichen Kräften« wurden andere politische Strömungen entweder als »opportunistisch« oder »sektiererisch« denunziert bzw. des »skrupellosen Antikommunismus« bezichtigt, um sie einerseits aus den BIs zu drängen und andererseits die entstehende Bewegung auf einen platten Antikapitalismus zu verkürzen. Die in der BUU mitarbeitenden autonomen Gruppen beschlossen daraufhin im Sommer 1977, sich eigenständig in einem anderen Plenum zu organisieren.
»Wir haben lange Zeit versucht, eine organisatorische Spaltung des Hamburger BUU Plenums zu vermeiden. Dies, obwohl die Machtpolitik des KB die Polarisierung in den einzelnen BIs immer mehr verschärft hat und viele Mitglieder die vom KB beherrschten Gruppen verließen, weil sie keine Möglichkeit sahen, ihre Vorstellungen einzubringen ...
Wir kritisieren nicht, daß der KB als politische Organisation Fehler macht, ... sondern daß er durch seine kleinbürgerliche Machtpolitik (ob etwas richtig oder falsch ist, entscheidet seine Delegiertenmehrheit) zu einer offenen Auseinandersetzung und eventuellen Selbstkritik nicht in der Lage und auch nicht bereit ist. Die gegenwärtige Arbeitsweise unseres Plenums ist: Informationsaustausch, gegenseitige Unterstützung, Koordinierung gemeinsamer Aktionen, Diskussion politischer Grundlagen, Darstellung der unterschiedlichen Auffassungen. Die Gruppen arbeiten autonom und gleichberechtigt miteinander. Sie stellen im Plenum ihre Vorschläge dar und stellen fest, wer sich diesen Vorschlägen anschließt« (aus: Meyer).
In der Folge arbeiteten in Hamburg zwei Plena der BUU. Dabei orientierte sich die KB-BUU mit ihren »Aktionseinheiten« an Arbeitsschwerpunkten gegen die Repression und gegen die aus ihrer Sicht entscheidenden militärischen Triebkräfte des AKW-Programms (»Griff zur Atombombe«). Diese politische Linie ist nur vor dem Hintergrund der vom KB gleichzeitig vertretenen »Faschisierungsthese« von Staat und Gesellschaft zu verstehen, die davon ausging, daß alle staatlichen Maßnahmen darauf abzielten, in der BRD wieder faschismusähnliche Zustände herbeizuführen. In der Folgezeit verlor die Delegierten-BUU für den KB im Kontext seiner zunehmenden Orientierung auf die von ihm beherrschte »Bunte Liste« ihre strategische Qualität als »demokratische Massenorganisation«, so daß sie danach nur noch eine Randexistenz führte. Demgegenüber organisierten die in der BUU autonom vertretenen Gruppen im Jahre 1977 den weiteren Widerstand gegen die AKWs Brokdorf und Grohnde mit Sommercamps und anderen direkten Aktionen.

Die Vorstellungen der Autonomen in der Anti-AKW-Bewegung
Die von den Autonomen verfochtene Kernidee war die Vorstellung vom »praktischen Widerstand« als Möglichkeit für jeden Menschen, sich selbstbestimmt in den Kampf einzubringen. Entscheidend ist dabei, daß die Bürgerinitiativen nicht nur verbal demonstrieren, sondern ihre Forderungen selbst durchsetzen und dabei notwendigerweise bürgerliche Moralvorstellungen und den legalen Rahmen des bürgerlichen Rechtsstaates durchbrechen müssen. Dabei stellt die Dezentralität der Bewegung einen Schutz vor der staatlichen Repression dar, da die BIs als juristisch nicht existente Organisationsformen nur sehr schwer angreifbar sind. Die vertretene Politik konzentriert sich auf die Unmittelbarkeit des eigenen selbstverantwortlichen Handelns. Es wird Wert darauf gelegt, Aktionen vorher öffentlich bekannt zu machen und illegale Aktionen im nachhinein zu begründen, wobei keine personelle Identität sichtbar werden soll. Von den Autonomen wird eine Teilnahme an Wahlen abgelehnt, weil sich die Wirkungslosigkeit der gesetzlich zugelassenen Mittel bestätigt habe und weil man Menschen nicht über eine falsche Sache ­ Wahlen ­ für eine als richtig angesehene Politik von eigenständigen praktischen Aktionen gewinnen könne.
Der Hamburger »Arbeitskreis Politische Ökologie« schrieb im September '78 über die organisatorischen Grundlagen der Anti-AKW-Bewegung:
»(Es) genügt nicht, eine 'richtige' Gesellschaftstheorie zu haben und verbal die Gesetzmäßigkeiten unserer Gesellschaft immer wieder aufzuzeigen, sondern eigenbestimmte Lebensstrukturen müssen erfahren werden. Diese Strukturen können zur Zeit hauptsächlich nur Widerstandsstrukturen gegen das herrschende wirtschaftliche und politische System sein. Erst wenn die Menschen erfahren, daß es möglich ist, ihr eigenes Handeln im Rahmen dieses Widerstands selbst zu bestimmen, um sich somit vor der Willkür und Kontrolle derjenigen zu schützen, die z.Z. die wirtschaftliche und politische Macht innehaben, werden sie Vertrauen in ihre eigene Kraft bekommen und Veränderungen für ihre Interessen durchsetzen können. Solche Veränderungen werden nicht geschaffen, indem lediglich die Machtpositionen (z.B. auch mit einem sozialistischen und kommunistischen Anspruch) neu besetzt werden, sondern indem die betroffenen Menschen sie selbst herbeiführen und unmittelbar selbst bestimmen (Autonomie, Gleichberechtigung, direkte Aktion). Dazu ist es notwendig, eigene Kommunikations- und Koordinationsstrukturen aufzubauen, d.h. eine revolutionäre Bewegung ist nicht alleine eine Frage der 'objektiven Bedingungen' ; ... entwickelt wird sie durch die Entwicklung und den Bestand eigener Kommunikationsstrukturen« (»Bilanz und Perspektiven ...«).
In den Jahren 1978/79 wurden von den Autonomen die Grohnde-Prozesse in der Anti-AKW-Bewegung breit thematisiert. Unter den Parolen: »Nicht diejenigen, die AKWs verhindern, sind kriminell, sondern diejenigen, die AKWs bauen und betreiben ­ Angeklagt: Wir alle!« wurde dem Staat und den Gerichten das Recht bestritten, über den Widerstand gegen Atomanlagen zu richten.
Die breite Mobilisierung gegen die Grohnde-Prozesse ist umso erstaunlicher, als sie vor dem Hintergrund der einschüchternden Wirkung des repressiven politischen Klimas nach dem »Deutschen Herbst '77« stattfanden. Während die radikale Linke unter dem Druck der forcierten Sympathisantenhetze, Radikalenverfolgung und Entsolidarisierungstendenzen stand, gelang es dem autonomen Teil der Anti-AKW-Bewegung, ein Netz von Kommunikationsstrukturen aufrechtzuerhalten, das Grundlage der vielfältigsten Aktionen gegen die Prozesse wurde.

1978­80: Gewaltfrei mit Bauzäunen Bohrlöcher stopfen?
Während dieser eher defensiven Phase stellten die Bundeskonferenzen der Anti-AKW-Bewegung auch für die Autonomen ein relativ offenes, wenn auch nicht konfliktfreies Forum aller Spektren der Bewegung dar. Unter dem Konsens »Wir lassen uns nicht spalten an der Frage der Widerstandsformen« wurde der Streit über die wirksamsten Formen des Widerstands gegen Atomanlagen geführt. Regionale Aktionsschwerpunkte der Anti-AKW-Bewegung waren der Landkreis Lüchow-Dannenberg und das AKW Brokdorf. In den Diskussionen über verschiedene Aktionskonzepte kam es immer wieder zu erbitterten Auseinandersetzungen, bei denen sowohl Legalisten, Gewaltfreie, BIler, MLer und Autonome mit ihren Konzepten um den Einfluß in der Bewegung rangen. Die Autonomen konnten dabei mit ihrer Solidaritätsarbeit zu den Grohnde-Prozessen und einer Vielfalt an verschiedenen militanten Aktionen und Sabotageakten eine gewisse offensive Kontinuität der politischen Arbeit bewahren. Im Sommer 1979 wurde auch das erste Mal in der BRD mit einem Bombenanschlag versucht, einen Strommast einer Hochspannungstrasse zum AKW-Esenshamm umzulegen.
Nachdem während der zweiten Ölkrise Ende des Jahres 1979 in einer Verwaltungsgerichtsentscheidung der Weiterbau des AKWs Brokdorf juristisch ermöglicht wurde, kam es in einer relativ kurzen Mobilisierungszeit zu einer heftigen Weihnachtsdemonstration am Baugelände des AKWs. Diese positive öffentliche Resonanz verstärkte innerhalb des autonomen Teils der Anti-AKW-Bewegung erneut die Diskussion, wie der Weiterbau von Brokdorf zu verhindern sei. Dabei wurden die Auseinandersetzungen in der Zeit 1980/81 sowohl für die Bewegung als auch für die Betreiber und den Staat zu der entscheidenden Frage für die Zukunft des Atomprogramms.
Für letztere ging es darum, das faktisch 1976/77 erzwungene Moratorium im AKW-Bau zu durchbrechen. Aufgrund des unerwartet heftigen Widerstands gegen das juristische Signal für den Weiterbau Brokdorfs wurde diese Entscheidung jedoch auf einen Zeitpunkt nach der Bundestagswahl im Oktober 1980 verschoben.
Die radikalen und autonomen Kräfte der Anti-AKW-Bewegung orientierten sich zu Beginn des Jahres 1980 unter der Parole »Stecken wir den Bauzaun von Brokdorf in die Bohrlöcher von Gorleben!« erneut auf einen praktischen Widerstand in der Wilster Marsch. Demgegenüber stand die im Frühjahr '80 organisierte Bohrplatzbesetzung in Gorleben mit dem Dorf 1004 und der »Republik Freies Wendland« ganz im Zeichen der Propagierung einer dogmatischen Gewaltfreiheit. Zwischen dem gewaltfreien Flügel der Bewegung und den Autonomen kam es dann auch zu kontroversen Debatten über den politischen Charakter der Besetzung. Während auf der einen Seite die Legalisten und Gewaltfreien für eine mit dem Dorf ausgedrückte friedliche alternative Idylle plädierten, wollten die Autonomen ­ auch unter dem euphorischen Eindruck des Bremer 6. Mai ­ die Besetzung zum Ausgangspunkt weiterer direkter Aktionen gegen die Atommafia im Landkreis machen. Sie konnten sich jedoch mit diesen Vorstellungen nicht durchsetzen und zogen sich aus dem Dorf zurück.
Anfang Juni wurde die »Republik Freies Wendland« in einem notstandsähnlichen Einsatz von 10.000 Bullen zerstört. Obwohl sich die 2.000 BesetzerInnen bei der Räumung des Dorfes nicht aktiv zur Wehr setzten, wurden sie trotzdem von den Bullen in einem enormen Ausmaß körperlich gequält, wobei einige von ihnen schwerste Verletzungen erlitten. Trotzdem feierten die legalistisch-gewaltfreien Initiatoren der Besetzung den Ablauf der Räumung später als »großen moralischen Sieg«. Autonome stellten dazu fest:
»Hier ist es dem Staat nicht nur gelungen, uns mit seinen Knüppeln und Maschinenpistolen Gewalt anzutun, sondern auch die Köpfe, das Denken, Fühlen und Wollen der Menschen zu beherrschen« (Anti-AKW-Telegramm).

Die Brokdorf-Auseinandersetzungen 1980/81
Kurz nach den Bundestagswahlen im Oktober 1980 kündigte die SPD-geführte Bundesregierung gemeinsam mit der schleswig-holsteinischen CDU-Landesregierung den Weiterbau des AKWs Brokdorf an. Dagegen führten die Bürgerinitiativen aus dem norddeutschen Raum erneut eine Weihnachtsdemonstration mit 8.000 Menschen am Baugelände des AKW durch. Dabei kam es wiederum zu Angriffen auf den Bauzaun, und es gelang, einen Wasserwerfer in Brand zu stecken. Der erfolgreiche Verlauf dieser Demonstration beschleunigte die Mobilisierung gegen den anstehenden Weiterbau des AKWs; in Hamburg wurden die Wohnhäuser von HEW-Direktoren sowie HEW-Büros mit Brandsätzen angegriffen. Von den BIs wurden erste Vorbereitungen zu einer Demonstration zu dem Brokdorf-Sonderparteitag der Hamburger SPD Anfang Februar aufgenommen. Dabei kam es innerhalb der Bewegung zu einer politischen Spaltung: Während DKP und Jusos mit der Demonstration ihre Verhandlungsposition gegenüber der SPD-Parteispitze stärken wollten, kam es den Autonomen und der Bewegung darauf an, sich als eigenständige und unabhängige politische Kraft zu formieren. Nachdem die DKP und Jusos sich mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen konnten, griffen sie zu dem Mittel der offenen Denunziation einzelner Atomkraftgegner, was jedoch geschlossen von der Bewegung zurückgewiesen werden konnte. Die von den Autonomen, dem KB und Anti-AKW-BIs vorbereitete Demonstration wurde vom Hamburger Senat für den ganzen Bereich der Stadt verboten. Trotzdem kam es am 2.2.81 zu zwei Demonstrationen, bei denen die Jusos 2.000 und die Anti-AKW-Bewegung 10.000 Menschen für ihre Ziele mobilisieren konnten. Entlang der Demoroute wurden die Scheiben von Banken, Luxushotels, Versicherungen und Sex-Shops eingeworfen, ein Geschäft für Fotoapparate wurde geplündert. Bei dem Versuch, die Demonstration von einer abgelegenen Route in die Innenstadt zu führen, kam es schließlich zu schweren Auseinandersetzungen mit den Bullen. Die Demo konnte jedoch geordnet zu Ende gebracht werden. In einem Redebeitrag der Hamburger Autonomen hieß es:
»Wir müssen uns auf einen Widerstand vorbereiten, der sich nicht auf die Wochenenden verlegen läßt und der nicht nur an einer Stelle stattfindet; der unser ganzes Leben miteinbezieht. Unsere Kraft wird nicht aus einer technischen Überlegenheit über die Polizeiarmeen und der anderen Staatsschutzapparate oder aus einer strafferen Organisation entstehen, auch nicht durch besonders geschicktes Verhandeln und Taktieren mit den Politikern, sondern wird sich aus unseren eigenen Vorstellungen von Legitimität und berechtigtem Widerstand, der Bereitschaft und Fähigkeit, diese Vorstellungen praktisch umzusetzen und aus unseren eigenständigen Kommunikations- und Lebensstrukturen entwickeln ... Wenn das Gesetz sein soll, was unser Leben zerstört, dann haben wir ein Recht dieses Gesetz zu brechen« (Anti-AKW-Telegramm).
Gegen die von Bürgerinitiativen vorbereitete internationale Großdemonstration wurde nach der üblichen Pressehetze (Bild-Zeitung vom 22.2.81: »Brokdorf: Bomben, Brände, Geiselnahme?«) für mehrere Tage ein Demonstrationsverbot über den gesamten Landkreis Steinburg verhängt, was einer Suspendierung aller grundgesetzlich verbrieften bürgerlichen Grundrechte für diesen Raum gleichkam. Trotzdem gelang es der Anti-AKW-Bewegung am 28.2.81 mit Hilfe einer hervorragenden Verkehrsorganisation das Demonstrationsverbot mit 100.000 Menschen weitgehend unkontrolliert von Polizeisperren zu durchbrechen. Grundlage dieses Erfolges waren die konkreten Vorbereitungen der autonomen Gruppen, im Falle von polizeilichen Behinderungen, Kontrollen und Schikanen der anreisenden Konvois in die Städte umzukehren, um dort »wirksame Aktionen« durchzuführen. Aufgrund dieses Konzeptes sahen sich die Bullen dazu veranlaßt, ihre Taktik im wesentlichen darauf zu verlegen, die Demonstration zu verzögern und durch lange Anmarschwege zu erschöpfen, was sie jedoch nicht daran hinderte, ihren gesamten Repressionsapparat einzusetzen: So wurde erstmals im Bundesgebiet auf einer Demonstration mit Großhubschraubern Jagd auf abziehende Demonstrantengruppen gemacht; die bundesweit zusammengezogenen, ursprünglich für die »Terrorismusbekämpfung« ausgebildeten Sondereinsatz-Kommandos (SEK) gingen als polizeiliche Elitetruppe während der Demo auf »Menschenjagd«, wobei sie mehrere Demonstranten schwer verletzten. Während der Demo blieben die militanten Auseinandersetzungen seitens der DemoteilnehmerInnen eher defensiv. Es galt sich hauptsächlich vor Polizeiübergriffen zu schützen. Das Polizeikalkül, die Demonstranten durch lange Anmarschwege zu erschöpfen, war in dem Sinne aufgegangen, als daß es während der Demonstration zu keinerlei nennenswerten Angriffen auf das Baugelände mehr kam.
Der Bewegung war es mit dem 28.2.81 erstmals nach dem »Kalkar-Schock« wieder gelungen, eine geschlossene Anti-AKW-Großdemonstration durchzusetzen. Das »verdammt gute Gewissen« derjenigen, die das Demonstrationsverbot 100.000fach durchbrachen, konnte jedoch den zwei Tage später beginnenden Weiterbau des AKWs nicht verhindern. Zwar kam es in der Folge zu einer Reihe von gezielten und mit beträchtlichen Sachschäden verbundenen Sabotageaktionen an Bau- und Betreiberfirmen in der Region. Diese Aktionsformen konnten jedoch den AKW-Weiterbau nicht mehr ernsthaft stören und weiteten sich nicht aus.
Die Durchsetzung des AKW in Brokdorf ­ übrigens auch gegen den Protest der gesamten norddeutschen SPD ­ war für die Atommafia ein strategischer Sieg, in dessen Folge sie rasch mit dem Bau von weiteren AKWs beginnen konnte. Es dauerte fast zwei Jahre, bis die Anti-AKW-Bewegung nach dieser Niederlage wieder in der Lage war, zu überregionalen Großdemonstrationen zu mobilisieren.
Die Brokdorf-Niederlage führte für die autonomen Gruppen im norddeutschen Raum jedoch nicht zu einer Auflösung ihrer politischen Kraft. Dies hängt auch mit einer veränderten inhaltlichen Bestimmung ihrer Arbeit zusammen, die sich teilweise auch praktisch realisierte: So hatten sich beispielsweise autonome Anti-AKW-Gruppen an den militanten Auseinandersetzungen am 6. Mai in Bremen gegen die dortige Militaristenshow der Bundeswehr beteiligt. Danach wurde von den Autonomen der Anspruch formuliert, den Widerstand nicht nur auf Atomanlagen zu beschränken, sondern ihn als Teil einer übergreifenden Bewegung zu begreifen, »z.B. Häuserkampf, Kampf gegen Kriegsvorbereitungen, ... Kampf gegen Folter in den Gefängnissen, ... die sich gegen die Vernichtung unserer Lebensbedingungen ­ Vernichtung unserer Umwelt wie auch die Entfremdung von Wohnen, Arbeiten und Leben ­ richtet«. Dabei müsse man sich der Herausforderung stellen, daß die Anti-Atom-Bewegung »immer deutlicher an die Schranken des kapitalistischen Wirtschaftssystems und dessen Gewaltapparat« stoße (aus: »Brokdorf 28.2.81 ­ Berichte ­ Bilanz und Perspektiven«).
Aus diesem Selbstverständis heraus begannen die autonomen Gruppen um die Jahreswende 1981/82 ihre Kräfte auf den Kampf gegen die Kriminalisierung von AKW-Gegnern in den Brokdorf-Prozessen zu konzentrieren. Während der Demonstration war es durch das entschlossene Handeln von AKW-GegnerInnen gelungen, einen SEK-»Menschenjäger« zu entwaffnen und am weiteren Einsatz zu hindern. Gestützt auf ein reißerisches Pressefoto, veranlaßte das schleswig-holsteinische Innenministerium eine bundesweite Fahndung wegen »versuchten Mordes«, um die Anti-AKW-Bewegung öffentlich zu denunzieren und einzuschüchtern. In der Folge wurden zwei Atomkraftgegner stellvertretend für die Bewegung inhaftiert. Die Autonomen traten von Beginn an mit öffentlichen Stellungnahmen diesem politischen Angriff entgegen, was mit dazu beitrug, daß der »Mordvorwurf« von den Justizbehörden wieder fallengelassen werden mußte. In der Solidaritätsarbeit zu den Brokdorf-Prozessen wurde von den Autonomen die Position vertreten, daß militanter Widerstand gegen AKWs und Bullenübergriffe legitim sei. Dieses offensive Moment in der Prozeßarbeit konnte zwar zunächst die drastischen Verurteilungen von Markus und Michael nicht verhindern, das damit beabsichtigte Signal einer Einschüchterung schlug jedoch in eine breite öffentliche Empörung gegen diese Terrorurteile um.

Ein kurzes Resümee
Die Anti-AKW-Bewegung gewann in der BRD und zum Teil im westeuropäischen Ausland eine gesellschaftliche Sprengkraft, die zuvor niemand für möglich gehalten hatte: Es gelang ihr zeitweise, die Energiepolitik des drittmächtigsten Staates auf der Erde zu blockieren. Die Anti-AKW-Bewegung entwickelte sich in den Jahren 1976/77 zugleich auch gegen das von der SPD unter dem Bundeskanzler Schmidt verfolgte »Modell Deutschland«. Dieses setzte politisch auf ein Bündnis zwischen exportorientierten Weltmarktkapitalen und einer gewerkschaftlich hoch organisierten Facharbeiterklasse. Die Anti-AKW-Kämpfe der 70er Jahre trugen ganz wesentlich mit dazu bei, dieses »Modell« in die Krise zu treiben.
Es kann sicherlich in einer rückschauenden Betrachtung die Behauptung gewagt werden, daß die Brokdorf-Auseinandersetzungen in der Zeit ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu einer der Wiegen der autonomen Bewegung in der West-BRD geworden sind. Dabei bleibt es das Verdienst der sich damals zu Autonomen entwickelnden Genossen, sich in den Anti-AKW-Kämpfen der 70er Jahre zu einem Zeitpunkt als eine politische Fraktion herausgebildet und behauptet zu haben, als diese Auseinandersetzungen zugleich zu einer beschleunigten Auflösung der ML-Gruppierungen und der Gründung der grünen Reformpartei führten.

Die Hausbesetzerbewegung in West-Berlin 1980­83
Um die Jahreswende 1980/81 boomte quer durch die Republik eine neue Hausbesetzerwelle. Zentrum wurde West-Berlin, wo zeitweilig über 160 Häuser besetzt werden konnten. Dort fanden die Besetzungen vor dem Hintergrund einer jahrelangen Arbeit der verschiedensten Stadtteil-Initiativen und Mieterorganisationen gegen Wohnungsspekulation, Leerstand und Kiezkahlschlagpolitik statt. Bereits seit 1979 wurden vereinzelt Häuser von der Bürgerinitiative SO 36 und Mieterorganisationen »instandbesetzt«. Nach dem Versuch der Bullen, im Dezember '80 eine Hausbesetzung zu verhindern, kam es zur sogenannten »12.12.-Randale«, durch die die Bewegung einen enormen Schub bekam. Erstmals beteiligten sich auch viele Nicht-BesetzerInnen an den Auseinandersetzungen; die harte Repression gegen die Bewegung führte zu einer breiten Solidarisierungswelle in der Stadt. Die Bewegung stellte ultimativ die Forderung auf, sofort alle gefangenen HausbesetzerInnen freizulassen, sonst würden Weihnachten »nicht nur die Weihnachtsbäume brennen«. In einigen besetzten Häusern in Neukölln und Kreuzberg tauchten zu diesem Zeitpunkt erste Visionen von »autonomen Republiken« auf. Die danach folgende Welle von Hausbesetzungen wurde durch den sich bereits abzeichnenden Legitimationszerfall des damaligen SPD/F.D.P.-Senats ­ aufgrund von Korruption und Bauskandalen ­ erleichtert. Zudem eröffnete sich für die Bewegung durch das politisch-juristische Vakuum staatlicher und privater Bauplanungen in einer Reihe von Altstadtquartieren, insbesondere in Kreuzberg und Schöneberg, ein relativer Freiraum für ihre Aktionen.
Nach den Ereignissen am 12.12.80 kam es zu einem sprunghaften Wachsen der Bewegung, das bis zum September '81 andauerte: Unter der Parole »Legal ­ illegal ­ scheißegal!« lebten rund 3.000 Menschen in den besetzten Häusern, die weite Teile ihres alltäglichen Lebens kollektiv und selbst organisierten. Spektakuläre Höhepunkte waren eine Reihe von Massendemos, wie z.B. Ende Juni die »Amnestiedemo« zum Rathaus Schöneberg oder im Juli die »Grunewalddemo« direkt zu den Privatwohnhäusern der Spekulanten. Bei der ersten Demo kam es zu einer Straßenschlacht, in deren Verlauf ein Supermarkt geplündert wurde. Die bürgerlichen Tageszeitungen sprachen danach von einem regelrechten »Aufstand« und lancierten Meldungen über einen bevorstehenden Einsatz alliierter Sicherheitskräfte zur »Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in der Stadt« (vgl. Berliner Morgenpost, 5.7.81).
Der Einschüchterung durch die polizeiliche Repression setzte die Bewegung die Fähigkeit entgegen, dezentral in kleinen Gruppen in der gesamten Stadt zu agieren. Unter dem Motto »Euch die Macht ­ uns die Nacht!« gelang es beispielsweise als Reaktion auf ein drakonisches Gerichtsurteil gegen einen Hausbesetzer, in zwei Nächten die Schlösser von 40 Bankfilialen zuzukleben und 70 Banken zu entglasen. Der immensen staatlichen Repression konnte die Bewegung zu diesem Zeitpunkt immer wieder die Fähigkeit zu Gegenschlägen in Form von überraschenden Scherbendemos auf dem Kudamm entgegensetzen. Die dabei in Millionenhöhe angerichteten Schäden veranlaßten dann auch die Springer-Journaille in der Mauerstadt zu wutschnaubenden »Berlin kocht vor Wut« ­ Titelschlagzeilen.
Die Bewegung war aber auch ein fruchtbarer Mobilisierungsboden für andere Themen. Nicht zuletzt wegen der Betroffenheit über die staatliche Repression nahmen an einer Demonstration zur Unterstützung des Hungerstreiks der RAF-Gefangenen im März 1981 10.000 Menschen teil.
Der Beginn und der quantitative Boom der BesetzerInnenbewegung in West-Berlin war zunächst noch relativ »theorielos«, was jedoch nicht bedeutet, daß keine politischen Vorstellungen existierten. Die Besetzungen wurden von Leuten aus der undogmatisch linken Alternativszene getragen, die zum Teil vorher in Anti-AKW-, Studenten- und Knastgruppen gearbeitet hatten. Nach den ersten Rückschlägen durch staatliche Repression polarisierten sich innerhalb der Bewegung zwei Fraktionen an der Frage »Verhandler ­ Nichtverhandler«. Lange Zeit war das stärkste Argument der Nichtverhandlerfraktion die staatliche Repression, die zu einer Welle von Haftbefehlen und zum Teil hohen Gefängnisstrafen gegen HausbesetzerInnen wegen unterstellten »Landfriedensbrüchen« auf Demonstrationen führte. Dagegen wurde die Forderung nach sofortiger Freilassung aller Gefangenen erhoben, bevor Verhandlungen mit staatlichen Stellen geführt werden sollten. Demgegenüber setzte die Verhandlerfraktion auf die Sicherung und Legalisierung des bisher von ihr erreichten Niveaus von »Instandbesetzung«. In diesem Zusammenhang tauchten in der Presse erste Bilder von alternativ instandgesetzten »Schöner Wohnen«-Häusern auf, die ­ gegenüber der bürgerlichen Medienöffentlichkeit ­ die Friedfertigkeit und die Kreativität der HausbesetzerInnenbewegung herausstellen sollten.

Die Autonomievorstellungen im West-Berliner Häuserkampf
Die Linien und Diskussionen innerhalb der Nichtverhandlerfraktion, aus denen die West-Berliner Autonomen hervorgegangen sind, fanden ihren schriftlichen Ausdruck in der monatlich erscheinenden Zeitschrift »Radikal«.
So heißt es beispielsweise in der »Radikal«-Ausgabe 123/83: »Autonomie war ein Begriff, der sozusagen über Nacht unsere Revolte auf einen Nenner brachte. Mitgebracht aus Italien und in den Autonomiethesen der Szene nahegebracht, repräsentierte er bald alles, was uns gut und heilig war, oder noch ist. Vorher verstanden wir uns als Anarchisten, Spontis, Kommunisten oder hatten diffuse, individuelle Vorstellungen von befreitem Leben. Dann wurden wir alle zu Autonomen.«
Allerdings drückte sich in der »Radikal«- Debatte um den Begriff der »Autonomie« zugleich ein inhaltlicher Bruch zu den unsichtbaren autonomistischen Vorläufern aus der Studentenrevolte '68 aus. In der »Radikal«-Ausgabe Nr. 98 vom September '81ist zu lesen: »Der hilfesuchende Blick auf Italiens Autonomia konnte unsere Identitätsprobleme auch nicht lösen.« In dieser Ausgabe der »Radikal« definieren Teile der sich autonom verstehenden GenossInnen »Autonomie« als etwas, bei der es darauf ankomme, » hier und jetzt andere Lebensformen zu praktizieren. Die Zukunft der bürgerlichen Gesellschaft stellt für uns keine Perspektive dar; eine andere Zukunft ­ die einer befreiten Gesellschaft ­ wird es nicht geben, wenn wir nicht bereits im Bestehenden durch einen kulturrevolutionären Prozeß unser Unbehagen und unsere destruktive Kraft in eine neue Bedürfnisstruktur und neue Verhaltensweisen zueinander transformieren.«
Es gehe darum, »sich der Arbeit weitgehend zu entziehen«, da sie keinen Zusammenhang darstelle, in dem man sich kennengelernt habe. Die Basis des eigenen Kampfes sei die »Subkultur«.
Diese auch innerhalb der West-Berliner Autonomen heftig umstrittene Begriffsdefinition zeigt auf, wie weit sie sich von dem ursprünglich vertretenen Autonomieansatz des kollektiven Kampfes gegen die Lohnarbeit als politischen und ökonomischen Angriff gegen das Kapitalkommando in der Fabrik entfernt hatten. Teile der Hausbesetzerbewegung übersetzten den Autonomiebegriff kurzerhand als individualistischen Rückzug von jeder Form der kapitalistischen Lohnarbeit. Abgesehen davon, daß diese Vorstellung unter den »objektiven« ökonomischen Bedingungen des Kapitalismus illusorisch ist, ging im Prinzip damit auch jeder Anspruch auf die Vermittlung der eigenen Vorstellungen in die Wirklichkeit anderer gesellschaftlicher Bereiche verloren.
Diese individualistisch-subjektivistische Wendung der »autonomen« Politik wurde nach einem Jahr Häuserkampf von Autonomen in einem Papier unter dem Titel »Stillstand ist das Ende von Bewegung« in der »Radikal« 1/82 so formuliert:
»Wir kämpfen für uns und führen keine Stellvertreterkriege. Wir kämpfen nicht für Ideologie, nicht fürs Proletariat, nicht fürs Volk, sondern für ein selbstbestimmtes Leben.«
Wie konnte es zu dieser Position kommen? Die Hausbesetzerbewegung fiel in eine Zeit kaum wahrnehmbarer Klassenkonflikte. Ohne diesen möglichen Orientierungspunkt blieb wenig mehr, als die Thematisierung der eigenen Bedürfnisse im unmittelbaren sozialen Umfeld der Alternativbewegung. Diese wurde damit in der Wahrnehmung vieler autonomer HausbesetzerInnen tatsächlich zur »Basis« der eigenen Kämpfe.
»In der Linken- und Alternativszene haben wir uns seit einigen Jahren Strukturen geschaffen, die es uns ermöglichen, zunehmend selbstbestimmter zu leben, unseren Alltag kollektiv zu organisieren, von den ökonomischen Geschichten über's Essen, Kneipen(-un)wesen, anderer Kultur etc. ... Wir haben in diesen relativen Freiräumen Möglichkeiten, ein Zusammenleben in verschiedenen Gruppenzusammenhängen auszuprobieren, radikale Erfahrungen gemeinsam in den Alltag umzusetzen. Außerdem macht's Mut zu zeigen: Leben geht auch anders! (und es lohnt sich).«
Allerdings trieben die Debatten im Häuserkampf über diese »Basis« hinaus, d.h. bestimmte Erscheinungen und Formen der Alternativbewegung wurden zugleich von den Autonomen scharf kritisiert:
»Wir unterstellen einem großen Teil aus der Alternativszene, daß es ihnen nur darauf ankommt, ihr Leben anders zu organisieren, nicht aber gegen das System zu kämpfen. Sie richten sich in ihren Nischen ein und kriegen den Arsch nur hoch, wenn sie direkt bedroht werden. Unsere Formen von Selbstorganisation sollten für uns zum Selbstverständnis und nicht zum politischen Ziel erklärt werden.«
Aus dieser Kritik nahmen auch Teile der West-Berliner Autonomen eine Positionsbestimmung zur Bedeutung des widersprüchlichen Begriffs »Freiraum« vor:
»Wir kritisieren nicht unsere relativen Freiräume an sich, sondern Freiräume als Ziel. Für uns sind sie Ausgangspunkte in unserem Kampf. 'Freiräume' erobern, absichern ... das ist klassischer Reformismus! Das bringt kein System ins Wanken ­ auch das kapitalistische System reagiert sehr flexibel darauf: 'Freiräume' können integriert, Widerstand kanalisiert werden, Ghettos ohne Sprengkraft ­ Spielwiesen.«

Das Ende der Häuserkampfbewegung
Bei der Räumung von acht besetzten Häusern am 22. September 1981 wurde Klaus Jürgen Rattay von den Bullen vor einen Bus getrieben und dabei tödlich verletzt. An diesem Tag erreichte die Besetzerbewegung in West-Berlin durch die Unterstützung des gesamten Spektrums der städtischen Linken und der linksliberalen Öffentlichkeit ihre maximale Ausdehnungs- und Mobilisierungsgrenze. Die BesetzerInnen sahen sich nach diesem staatlich inszenierten Höhepunkt vor die Alternative »Räumen ­ oder Abschluß von Mietverträgen«, d.h. Legalisierung, gestellt. Zudem war die Bewegung bereits zu diesem Zeitpunkt mit einem enormen Ausmaß staatlicher Kriminalisierung konfrontiert: Rund 5.000 Menschen waren von Ermittlungsverfahren betroffen, die staatliche Repression nahm den Charakter einer massenstatistischen Erfassung an.
Die alternativen und lebensreformerischen Strömungen ergriffen mit dem Abschluß von Mietverträgen verstärkt die Möglichkeit, sich aus einer Auseinandersetzung abzuseilen, die sie nie als bewußte Konfrontation mit dem System und dem Staat geführt hatten. Die zunehmend isolierter werdende autonome Nichtverhandlerfraktion kritisierte dieses Verhalten zwar moralisch, war jedoch nicht mehr dazu in der Lage, die Bewegung auf einen Mietkampf und auf andere Gruppen in der Bevölkerung auszuweiten. Diesem Unterfangen stand zum einen die durch die Häuserkämpfe bewirkte ­ ursprünglich nicht vorgesehene ­ Verlängerung der Mietpreisbindung als auch der weithin vertretene subjektivistische Ansatz von Teilen der Autonomen im Wege. Zudem muß bezweifelt werden, ob eine derartige intensive politische Massenarbeit bei der Erschöpfung der tatsächlichen Kräfte der Bewegung die notwendigen kurzfristigen Mobilisierungserfolge hätte erbringen können.
Der konservativ-reaktionäre CDU/F.D.P.-Senat betrieb in der Folge mit geschickten Integrations- und Repressionsstrategien eine gezielte Räumungs- und Umstrukturierungspolitik, insbesondere für den Kiez in Schöneberg. Während der Hochzeit der Bewegung im Sommer '81 war der Winterfeldplatz zu einem der Zentren der Besetzerbewegung geworden, von dem immer wieder Aktionen gegen die nur drei Minuten entfernt liegende City ausgingen. Den planmäßig aus diesem Bezirk geräumten BesetzerInnen wurde vom West-Berliner Senat faktisch ein Schlupfloch in Richtung SO 36 gelassen, wo weit zurückhaltender geräumt und intensiver legalisiert wurde. Das war mit ein Grund für eine Entwicklung, in der viele Autonome sich in diesen Stadtteil zurückziehen konnten und die schon im Jahre 1983 einen CDU-Bezirkspolitiker davon sprechen ließ, daß Kreuzberg eine »Geisterstadt der Chaoten« sei.
Allerdings führte der Zerfall der Bewegung ­ im Sommer des Jahres 1984 wurde das letzte besetzte Haus geräumt ­ nicht zu einem Ende der Autonomen. Der Abschluß des Häuserkampfes machte für sie zugleich auch wieder Räume für andere politische Initiativen, Diskussionen und Kampagnen frei.

Der Kampf gegen die Startbahn-West
Die Bewegung gegen die Startbahn-West brachte als regionale Widerstands- und Protestbewegung vor allem im Herbst 1981 die ganze Rhein-Main-Region an den Rand der Unregierbarkeit. Die Anti-Startbahn-Bewegung hatte sich bereits in den 70er Jahren gegen den geplanten Ausbau des Frankfurter Flughafens in ein noch relativ intaktes Waldgebiet gegründet. Zu jenem Zeitpunkt setzte sie sich vorwiegend aus BürgerInnen der betroffenen Umlandgemeinden (Mörfelden-Walldorf usw.), kommunalen GemeindevertreterInnen des gesamten Parteienspektrums von CDU bis DKP und ökologisch arbeitenden Gruppen zusammen. Die Bewegung erreichte in dieser Zusammensetzung durch konventionelle Formen der Aufklärung eine enorme Öffentlichkeitswirkung, die Grundlage für erste praktische Protestaktionen im Wald wurden. Der Bau eines Hüttendorfes auf der zur Rodung für die Startbahn vorgesehenen Trasse dokumentierte zunächst den Willen zu einer erweiterten demonstrativen Meinungskundgabe. Es existierte bei vielen AktivistInnen die Vorstellung, die Startbahn-West mit friedlichen und legalen Mitteln des Protests verhindern zu können. Obwohl von staatlichen Instanzen bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt signalisiert worden war, daß sie ein Volksbegehren gegen die Startbahn bei der Durchsetzung des Baus nicht kümmern würde, wurden hessenweit dafür über 200.000 Unterschriften gesammelt. Im hessischen Landtag durften ausgewählte BI-Vertreter vor gelangweilten Parlamentariern Vorträge über die ökologischen Folgen und vor allem über die »ökonomische Unsinnigkeit« des Projektes halten. Die Situation veränderte sich jedoch schlagartig, als die Bullen Anfang November 1981 das Hüttendorf überfallartig besetzten und zerstörten. Es kam zu Massendemos und teilweise militanten Auseinandersetzungen im Wald ­ entlang der entstehenden Startbahnmauer ­, in der Frankfurter Innenstadt, vor dem Flughafen und auf den angrenzenden Autobahnen. Im gesamten Bundesgebiet liefen in dieser Zeit Solidaritätsdemonstrationen. In diesen Auseinandersetzungen veränderte sich auch die Zusammensetzung der Bewegung. Sie wurde in ihrer Hochphase ergänzt durch die Beteiligung von Automobilarbeitern aus dem Opel-Werk Rüsselsheim, der gesamten städtischen Frankfurter Linken und revoltierenden Jugendlichen aus der Region. Die Bewegung wurde allerdings maßgeblich bestimmt von bürgerlichen, teilweise legalistisch-gewaltfreien Gruppierungen. Diese hatten sich mit ihrer Arbeit auf das Volksbegehren orientiert. Die Position der in dieser Bewegung mitarbeitenden Autonomen bestand demgegenüber inhaltlich darin, die imperialistische NATO-Dimension des Startbahn-Projektes zu verdeutlichen und die direkten Widerstandsaktionen voranzutreiben.
Nach der Ablehnung des Volksbegehrens durch alle staatlichen Instanzen (Landesregierung, Staatsgerichtshof) zerfiel die Breite der Bewegung. Die legalistisch-gewaltfreien Teile orientierten sich auf die Gründung und Bildung von »Grünen Listen« sowie auf ein weiteres hessisches Volksbegehren gegen die sich abzeichnende Raketenstationierung. Die restlichen Teile der Anti-Startbahn-Bewegung, insbesondere die Autonomen, bereiteten statt dessen im Januar 1982 die »Baulos-2«-Massendemonstration vor. Zwar konnten auch bundesweit viele Autonome mobilisiert werden, das Demonstrationsziel der erneuten Besetzung des Geländes wurde jedoch aufgrund der massiven Polizeipräsenz nicht erreicht.

Die Entwicklung des Startbahn-Widerstands von 1982­84
Obwohl der Bau der Startbahn von den staatlichen Instanzen bis zum Frühjahr '82 mit bürgerkriegsähnlichen Bulleneinsätzen gegen den Protest einer ganzen Region durchgesetzt worden war, erlahmte der praktische Widerstand nicht. Er wurde in den nächsten Jahren hauptsächlich von den aktiven Resten der BIs, einigen aktiven BürgerInnen der Region und autonomen Gruppen aus dem Rhein-Main-Gebiet getragen. Im Gegensatz zur Entwicklung des regionalen Widerstands gegen den Bau des AKW Brokdorf, der kurz nach der Großdemonstration am 28.2.81 zusammengebrochen war, gelang es, nach der Rodung des Startbahnwaldes einen mehrjährigen kontinuierlichen Protest und Widerstand am Leben zu erhalten. Es etablierten sich die »Sonntagsspaziergänge«, in deren Verlauf es immer wieder zu überraschenden Aktionen kam und ständig Streben aus der Startbahnmauer geknackt werden konnten.
In den Jahren 1982­84 wurden, ausgehend von diesem Widerstand, die militärische Dimension der Startbahn als NATO-Kriegsprojekt und die ökonomische Bedeutung des Frankfurter Flughafens für den kapitalistischen Weltmarkt zusätzlich zu den ökologischen Aspekten thematisiert. Für die TrägerInnen des Widerstands war es ganz selbstverständlich, daß sie sich auch zu anderen gesellschaftlichen Konfliktbereichen wie z.B. der Friedensbewegung oder den Anti-AKW-Auseinandersetzungen verhielten. So wurde gemeinsam mit dem autonom-unabhängigen Flügel der Friedensbewegung im Frühjahr 1983 der Vorschlag für eine zentrale Herbstaktion der Friedensbewegung gegen die US-Air-Base in Form von Massenblockaden entwickelt, der sich jedoch nicht durchsetzen konnte.
Aus der kontinuierlichen Arbeit entstand die Idee einer Aktionswoche gegen die Inbetriebnahme der Startbahn im April 1984. Dabei intervenierten noch einmal kirchliche, sozialdemokratische und grüne Kräfte massiv in die Bewegung. Für sie diente die Aktionswoche dazu, ihren Protest gegen dieses Projekt endgültig zu Grabe zu tragen. Demgegenüber stand das Konzept weiter Teile der Startbahn-BI und der regionalen autonomen Gruppen, den Widerstand auch weiterhin fortzusetzen. So kam es während der Aktionswoche in Frankfurt zu Demonstrationen gegen den Knast Preungesheim, gegen die Justizbehörden und die multinationalen Konzerne, die wesentlich von den autonomen Gruppen getragen wurden. In einem Redebeitrag von Frankfurter Autonomen zu diesen Aktionen heißt es:
»Unser weiterer Widerstand wird ein langer Kampf sein, der auf die Veränderung des gesamten gesellschaftlichen und politischen Klimas der Grundstrukturen dieses Gesellschaftssystems gerichtet werden muß. Die Qualität unseres Widerstandes wird sich deshalb nicht an der Durchsetzung unserer Hauptforderungen messen, auch nicht an der Höhe des Sachschadens oder der tatsächlichen Behinderung des Flugverkehrs, sondern danach, inwieweit ... die Vorstellungen von mehr und mehr Menschen anfangen, aus ihrer Vereinzelung und Entfremdung auszubrechen und (sie) beginnen, ihr Leben und ihren Widerstand selbst und gemeinsam mit anderen zu gestalten« (aus: BI-Dokumentation).
An der Abschlußdemonstration gegen die Einweihung der Startbahn nahmen schließlich rund 10.000 Menschen teil, darunter auch viele bundesweit mobilisierte Autonome. Auch wenn die Inbetriebnahme der Startbahn eine Niederlage für die Bewegung war, so setzte doch der gelungene Abschluß der Aktionswoche das von Teilen der Startbahn-BI und der von regionalen autonomen Gruppen getragene kontinuierliche Widerstandskonzept durch.

In einer deutschen Friedensbewegung werden
die Autonomen isoliert
Zeitgleich und teilweise überlagernd zu der Startbahn- und Hausbesetzerbewegung fand in den Jahren 1980­83 ein Zyklus der Friedensbewegung statt, die zur größten außerparlamentarischen Massenbewegung in der Geschichte der BRD wurde. Sie löste mit ihren Inhalten und ihrem Charakter innerhalb der autonomen Gruppen kontroverse Diskussionen über den politischen Stellenwert derartiger Bewegungen für eine Politisierung und Radikalisierung von Menschen gegen die in der BRD herrschenden Verhältnisse aus.
Die traditionelle Friedensbewegung der 60er und 70er Jahre war hauptsächlich von pazifistischen, kirchlichen, sozialdemokratischen und kommunistischen Kräften besetzt. Nach einem Schattendasein im Gefolge der sogenannten »Entspannungspolitik« erhielt sie durch die geplante Raketenstationierung von Erstschlags- und Angriffswaffen der NATO Ende der 70er Jahre wieder Auftrieb. Autonome Gruppen waren in dieser Zeit noch nicht in den organisatorischen Strukturen der Friedensbewegung präsent.
Das änderte sich jedoch schlagartig mit der Bundeswehrrekrutenvereidigung am 6. Mai 1980 im Bremer Weserstadion. Die SPD/F.D.P.-Bundesregierung versuchte, ihren Aufrüstungskurs propagandistisch durch eine Reihe von öffentlichen Rekrutenvereidigungsshows zu verankern. Gegen diese militaristischen Jubelfeiern richtete sich am 6. Mai in Bremen die Demonstration von einem breiten Bündnis der politischen Linken. Im Verlauf dieser Demo übernahmen die Autonomen die Spitze des Zuges und brachten in einer stundenlangen Straßenschlacht am Weserstadion die Bullen in eine enorme Bedrängnis. In einer Broschüre schrieben sie dazu:
»Zum anderen waren auf dieser Demonstration viele von uns entschlossen, diese NATO-Jubelfeier auch praktisch zu verhindern. Diese Entschlossenheit hat sich einmal daraus entwickelt, daß viele autonome AKW-Gegner erkannt haben, daß es nicht nur darum geht, hier gegen AKWs zu kämpfen, sondern daß der Kampf gegen dieses System insgesamt geführt werden muß. Viele von uns, die aus der Anti-AKW-Bewegung kommen, haben erkannt, daß der Kampf gegen AKWs und der Kampf gegen Atomwaffen zusammengehören, und haben in ihren Zusammenhängen (Anti-AKW BIs) die inhaltliche Auseinandersetzung darum geführt. Deshalb waren an der Vorbereitung auf die Demo am 6.5. viele von uns beteiligt, die ihre Geschichte in der Anti-AKW-Bewegung haben, und konnten auch auf die Erfahrungen mit z.B. den Demos in Brokdorf zurückgreifen. Zum anderen hat diese Entschlossenheit auch damit zu tun, daß es hier in Hamburg im April '80 gelungen war, eine spontane Demonstration gegen den Überfall der USA auf den Iran zu organisieren, bei der PANAM praktisch (mit Steinen und Mollis) angegriffen worden ist. Insgesamt haben wir in Bremen die Erfahrung gemacht, daß wir nicht nur Opfer sind in der Auseinandersetzung mit der Gewalt des Staates, sondern daß wir auch handeln können. Unsere Militanz hatte sich als wirksame Waffe im politischen Kampf erwiesen, obwohl wir noch weit davon entfernt waren, sie organisiert und politisch bewußt und bestimmt einzusetzen. Obwohl der 6. Mai in Bremen im wesentlichen regional vorbereitet ... worden ist, war er doch bundesweit Anstoß dazu, alle nachfolgenden Rekrutenvereidigungen anzugreifen und klar zu machen, daß viele Menschen hier gegen Militarisierung und Krieg praktisch handeln« (»Anti-NATO-Demo 11.6. in West-Berlin«).
Die Bedeutung dieser Demonstration bestand darin, daß sich die nach dem »Deutschen Herbst« verbliebenen Ansätze des Linksradikalismus in Form autonomer Gruppen, mit den Anfängen der weitgehend von Jugendlichen getragenen Sozialrevolte verbanden. Das schlug sich in der Folgezeit in einer Welle von Störungen gegen weitere Rekrutenvereidigungen (z.B. in Flensburg, Bonn, Hannover) und Hausbesetzungen nieder.
Innerhalb der linksradikalen Szene löste der 6. Mai Diskussionen über den Beginn einer neuen antiimperialistischen Anti-Kriegs-Bewegung aus. Eine an Bremen anknüpfende regionale Orientierung für den Herbst 1980 gegen die NATO-Manöver im Raum Hildesheim zeitigte jedoch nicht die erhoffte Resonanz. Eine mit großem Aufwand vorbereitete antiimperialistische Demonstration mobilisierte lediglich 2.000 Menschen, die daran entwickelten organisatorischen Strukturen fielen nach diesem Mißerfolg bald wieder auseinander. Dagegen kam es in Bremen von Seiten der dortigen Linksradikalen und Autonomen auf Grundlage verbliebener Strukturen der BBA (Bremer Bürgerinitiativen gegen Atomanlagen) zu einer Gründungswelle von »Krieg dem Krieg«-Gruppen. Sie entwickelten eine regionale Orientierung gegen die NATO-Munitionstransporte, die in dem nach Frankfurt zweitgrößten US-amerikanischen Militärstützpunkt in der BRD, in Bremerhaven/Nordenham, umgeschlagen werden.
Im Zeitraum von 1981 bis zum Sommer '82 kam es zu drei größeren Aktionen einer von Autonomen getragenen Anti-Kriegs-Bewegung. Im September '81 fand eine Demonstration gegen den Besuch des damaligen US-amerikanischen Außenministers Haig in West-Berlin statt (O-Ton Haig: »Es gibt wichtigeres als den Frieden.«), im Frühjahr 1982 wurde die in Hannover stattfindende Militärelektronikmesse IDEE gestört, und am 11.6.82 wurde eine eigenständige Demo gegen den Besuch des US-Präsidenten Reagan in West-Berlin durchgeführt. Insbesondere der Ablauf der Haig-Demo wurde von den daran beteiligten Autonomen als Erfolg gewertet.
Nach dem Ende einer Demonstration von 60.000 Menschen versuchten rund 5.000 Linksradikale, ausgehend vom Winterfeldplatz, weiter zum Rathaus Schöneberg zu demonstrieren, um den dortigen Empfang für Haig zu stören. Dabei kam es zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Bullen, bei der diese teilweise die Initiative verloren. Diese Ereignisse beherrschten in den darauffolgenden Tagen die Berichterstattung der bürgerlichen Presse, wodurch sinnfällig der Bruch vom ursprünglich gerade in West-Berlin herrschenden Massenkonsens zwischen der Bevölkerung und den USA als »Schutzmacht« und dem »Garanten der Freiheit« demonstriert wurde. In einem Kommentar der WELT vom 19.9.1981 heißt es denn auch resignierend zum Medienbild eines »isolierten Haig«: »Haig fuhr durch leere Straßen, durch inner-berlinische Polizeimauern. Der Platz vor dem Schöneberger Rathaus, der alte Ort des Massenkonsens der Freiheit, glich einer Quarantäne, einem Quadrat der Berührungsangst. So entstand in den Medien (und in vielen Köpfen) der Eindruck eines »anderen Berlin«.«
Was machte die Stärke dieser Demonstration aus? Hamburger GenossInnen schrieben dazu in einem Papier aus dem Jahre 1983:
»Die Dynamik entwickelte die Anti-Haig-Demo, ... nicht aus den Imperialismusanalysen einzelner Gruppen, sondern aus der sozialen Bewegung des Häuserkampfes, die das 'Hinterland' für die Demos gebildet hatten. Ohne sie wäre alles anders gelaufen. Hier spielte ... die Erfahrung, die die einzelnen Leute in ihren alltäglichen Kämpfen mit dem System gemacht hatten, eine wichtige Rolle. Direkte Betroffenheit mobilisiert anders als theoretische Analysen und abstrakte Einsichten über den Charakter des US-Imperialismus. Die Häuserkampfbewegung in Berlin gab der Demo erst die Rückendeckung und Dynamik. Natürlich waren der Kampf gegen Imperialismus, NATO und Krieg auch Inhalte der Häuserkampfbewegung geworden und lösten so teilweise den Teilbereichscharakter dieser Bewegung auf. Hier stellt sich für uns grundsätzlich die Frage, ob es eine radikale Anti-Kriegsbewegung, die eine Perspektive haben soll, geben kann, die nicht in den sozialen Alltagskämpfen verwurzelt ist« (aus: »Überlegungen zur Anti-Kriegsbewegung«).
Diese Überlegungen sind ein Reflex auf die Situation der autonomen Gruppen zwischen einer zu diesem Zeitpunkt darniederliegenden Anti-Kriegsbewegung sowie einer boomenden Friedensbewegung. Bereits bei den Aktionen gegen die Waffenelektronikmesse IDEE in Hannover war es im Zusammenhang einer Bündnisdemonstration zur offenen Spaltung zwischen den Autonomen und weiten Teilen der Friedensbewegung gekommen. Auch wenn es den autonomen und antiimperialistischen Gruppen einen Monat später noch einmal mit 5.000 GenossInnen gelang, gegen den Reagan-Besuch in West-Berlin zu mobilisieren, so fand die »Schlacht am Nollendorfplatz« bereits in bewußter Abgrenzung zu den anderen Teilen der Friedensbewegung statt. Diese hatten am Tag zuvor in Bonn mit etwa 500.000 Menschen und in West-Berlin mit 100.000 Menschen gegen den Reagan-Besuch protestiert.
Zwar konnte vorläufig eine offene Spaltung zwischen den Autonomen und der Friedensbewegung vermieden werden, die weitere politische Entwicklung führte jedoch zu einer immer stärkeren Isolierung der autonomen Gruppen innerhalb der Friedensbewegung. Worin sind die Gründe für diese Entwicklung zu suchen?
Die weitestgehend von Autonomen getragene Anti-Kriegs-Bewegung war mit ihren regional entwickelten Initiativen nicht in der Lage, die an der Frage der NATO-Aufrüstung entstehende Massenbewegung antimilitaristisch und antiimperialistisch zu orientieren. Darüber hinaus kam es innerhalb der Autonomen und des weiten Spektrums des unabhängigen Teils der Friedensbewegung auf einem Treffen im Herbst 1982 in Osnabrück über die weitere politische Strategie zum Bruch, insbesondere an der Frage »Bündnispolitik mit allen anderen Teilen der Friedensbewegung«. Während die aus diesen Auseinandersetzungen entstehende »Bundeskonferenz unabhängiger Friedensgruppen« (BUF) danach weiter als Vertreter des »linken Flügels« im zentralen Bonner Koordinationsgremium der Friedensbewegung mitarbeitete, hielten sich die Autonomen zunächst aus weiteren Aktivitäten heraus.
Für die Entwicklung 1980­82 bleibt festzuhalten, daß der Ansatz einer radikalen Anti-Kriegs-Bewegung in nur kurzer Zeit durch den Einsatz des gesamten Organisationsapparates der DKP, der Grünen, Jusos und weiter Teile der pazifistischen und kirchlichen Strömungen an den Rand der gesellschaftlichen Diskussion gedrängt werden konnte. Die Friedensbewegung bestimmte mit ihren Inhalten und Formen in der Folge das Bild der Bewegung in der Öffentlichkeit. Nicht zufällig fanden ihre beiden ersten größeren Massenmanifestationen im Sommer '81 auf dem Hamburger Kirchentag und im Oktober in Bonn unter maßgeblicher Führung kirchlich-links-sozialdemokratischer Kreise statt. In der Folge bauten diese politischen Fraktionen bis zum Herbst 1983 über ein zentrales Bonner Koordinationsgremium ihre Macht und ihren Einfluß gegenüber der Bewegung in einem ungeahnten Ausmaß aus. Dabei entsprach es dem Selbstverständnis dieser Bewegungs-»Führer« im Interesse der Erhaltung eines »inneren Friedens«, gemeinsam mit den Bullen neue Kooperationsformen bei Aktionen auszuarbeiten, bei denen die Autonomen mit ihren inhaltlichen Vorstellungen und praktischen Ansätzen immer weiter an den Rand gedrängt werden sollten.

Organisierungsversuche
Um die Jahreswende 1982/83 wurde angesichts der sich im Herbst '83 abzeichnenden Raketenstationierung von Hamburger GenossInnen der Versuch unternommen, zu einer überregionalen Koordinierung der autonomen Gruppen zu kommen. Dafür wurden zwei Treffen in Hannover (Februar) und in Lutter (Juni) organisiert. Insbesondere die Debatten in Lutter fielen in eine Zeit, wo ein Niedergang des vorangegangenen Bewegungszyklus der Neuen Sozialen Bewegungen festzustellen war (Anti-AKW, Anti-Kriegs-Aktionen, Häuserkämpfe). So waren z.B. die zur Vorbereitung der Reagan Demonstration in West-Berlin gebildeten organisatorischen Strukturen kurz nach dem 11.6. völlig in sich zusammenfallen, was sich in einer unzureichenden Solidaritäts- und Betreuungsarbeit zu den Gefangenen dieser Aktionen zeigte. Erst unter großen Mühen konnte ein Mindestmaß an Unterstützungsarbeit für die Gefangenen und gegen die laufenden Prozesse organisiert werden.
Diese Entwicklung war mit einer zunehmenden Isolierung der Autonomen innerhalb der wachsenden Friedensbewegung verbunden, die die Notwendigkeit einer eigenen Standortbestimmung und gemeinsamen Strategiebildung erforderte. Der von den Autonomen wahrgenommene Stand der eigenen Bewegung wurde wie folgt beschrieben:
»Die Situation in den verschiedenen Städten stellte sich in den meisten Fällen sehr ähnlich dar: die linke Szene zersplittert, kaum noch einheitliche Plena und gemeinsame politische Diskussionen, Gruppen treffen sich zu Aktionen (meistens Demonstrationen) und fallen hinterher wieder auseinander. Wir reagieren auf die Schweinereien des Staates und bewegen uns von einer Aktion zur anderen und von einem politischen Schwerpunkt zum anderen ... Zusammenhang und Austausch zwischen den verschiedenen pol. Schwerpunkten ist kaum vorhanden, keine gemeinsame Einschätzung der Situation, keine gemeinsame Strategie, auf deren Grundlage wir unsere Schwerpunkte und Aktionen bestimmen und Kontinuität entwickeln können ...« (Vorbereitungsmaterialien)
In der Vorbereitungsgruppe wurde der Vorschlag entwickelt, das gemeinsame Selbstverständnis der Autonomen jenseits strategischer Debatten über die Perspektiven einer Anti-Kriegs-Bewegung hinaus zu diskutieren. Sie schrieben hierzu:
»Das Streben nach Autonomie ist vor allem der Kampf gegen politische und moralische Entfremdung von Leben und Arbeit ­ gegen die Funktionalisierung für Fremdinteressen, gegen die eigene Verinnerlichung der Moral unserer Gegner ­ der Versuch, sich das Leben wieder anzueignen ... Dieses Streben kommt zum Ausdruck, wenn Häuser besetzt werden, um menschenwürdig zu wohnen oder um die hohen Mieten nicht mehr bezahlen zu müssen, wenn Arbeiter krank feiern, weil sie die Fremdbestimmung am Arbeitsplatz nicht mehr aushalten, wenn die Arbeitslosen Supermärkte plündern .... Wenn sie sich nicht den bloßen Forderungen der Gewerkschaften nach Arbeitsplätzen anschließen, die ja doch nur Integration in Unterdrückung und Ausbeutung bedeuten. Überall da, wo Menschen anfangen, die politischen, moralischen und technischen Herrschaftsstrukturen zu sabotieren, zu verändern, ist es ein Schritt zum selbstbestimmten Leben. Unser Streben nach Autonomie muß einhergehen mit der öffentlichen politischen Auseinandersetzung mit Andersdenkenden ... und dem ständigen Bemühen, unsere Ideen zu vermitteln, die hinter unserem Leben und hinter unseren Aktionen stehen.«
Die Debatten auf dem bundesweiten Treffen in Lutter (vom 18.7.-24.7.83) waren jedoch wesentlich von den Kontroversen über die aktuelle Situation der Friedensbewegung geprägt. Sie standen stark unter dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse anläßlich einer Demonstration von autonomen und antiimperialistischen Gruppen in Krefeld.

Das Krefeld-Debakel
Dort fanden anläßlich des Besuches des US-Vizepräsidenten Bush zwei Demonstrationen statt. Die Friedensbewegung rief zu einer Kundgebung weit ab vom tatsächlichen Geschehen in einem Fußballstadion gegen die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen auf, an der 25.000 Menschen teilnahmen. Demgegenüber mobilisierten autonome Gruppen mit starker antiimperialistischer Ausrichtung bundesweit zu einer eigenständigen Demonstration, die inhaltlich gegen die NATO-Kriegsführungsdoktrin bestimmt war. Dabei wurde kein Versuch unternommen, in die Vorbereitungen der Massendemonstration der Friedensbewegung einzugreifen. Die Demo sollte durch die Krefelder Innenstadt direkt zu dem Ort des Empfanges für Bush führen. Schon kurze Zeit nach dem Beginn der Demo, an der rund 1.000 GenossInnen teilnahmen, wurde sie von SEK-Kommandos aufgehalten und vollständig zerschlagen. Auf Seiten der DemonstrantInnen kam es zu über 60 zum Teil schwer Verletzten und 138 Festnahmen, die später zu über 50 Verurteilungen, angefangen von Bußgeldern, Strafbefehlen, bis hin zu zweijährigen Gefängnisstrafen, führten. Weite Teile der Friedensbewegung distanzierten sich bereits im Verlauf ihrer Kundgebung von dieser Demonstration.
Das Debakel von Krefeld verdeutlicht, wie ein Mißerfolg einer falsch eingesetzten politischen und praktischen Militanz dazu führen kann, das staatliche Kalkül von allgemeiner Einschüchterung und politischer Spaltung zu verstärken. Die danach folgenden Auseinandersetzungen zeigten die autonomen Gruppen in doppelter Weise nicht nur als Opfer der staatlichen Repression, sondern zugleich auch als ein eher hilfloses Objekt einer innerhalb der Friedensbewegung gegen sie aufgeworfenen polarisierenden »Gewaltdebatte«. Im Sommer '83 wurde die »Gewaltdebatte« zudem noch durch lancierte Meldungen der Staatsschutzapparate (BKA, Generalbundesanwaltschaft, Verfassungsschutz usw.) und eine massive publizistische Beihilfe der liberalen Massenmedien in einem enormen Ausmaß verschärft. So erschien z.B. die Illustrierte STERN mit einem Titelbild, das die hocherhobene Hand eines Steinewerfers mit dem Untertitel: »Gewalt ­ Nein Danke!« zeigte.
In diesem Zusammenhang wurde von Hamburger GenossInnen in einem Beitrag für das Lutter-Treffen selbstkritisch vermerkt:
»Die weitergehende Zielsetzung der autonomen Gruppen (Abschaffung des kapitalistischen Systems, nicht nur des Atomprogramms) hat sich oft in der Frage der Widerstandsformen verselbständigt und wurde an der Konfrontation mit dem Polizeiapparat zugespitzt. Gerade in der letzten Zeit wurde dies zum scheinbaren Verbindungsglied zwischen den unterschiedlichsten Gruppen (Hausbesetzer, Anti-AKW-Gruppen, antiimperialistische Gruppen usw.) und hat neben dem Unverständnis und dem Mißtrauen vieler anderer Gruppen den Begriff 'autonome Gruppen' zu einem Begriff gemacht, den der Staat sehr bewußt und systematisch gebraucht, um unsere Inhalte auf die Gewaltfrage zu reduzieren.«
In den Diskussionen um die Frage eines Eingreifens in die Friedensbewegung schälten sich im wesentlichen zwei Standpunkte heraus. Von der Autonomie-Redaktion Hamburg wurde eine eher skeptische Beurteilung bezüglich einer Beteiligung von Autonomen an den Herbstaktionen der Friedensbewegung vertreten:
»Bei den jüngsten Ereignissen in Krefeld ist deutlich geworden, wie gering die Chancen dafür sind, daß die Friedensbewegung in ihrer Vielfalt zu einer gegenseitigen Potenzierung unterschiedlicher Aktionsformen kommen und zu einem wirklichen Faktor gegen die Raketenstationierung werden kann.«
Demgegenüber sprachen sich einige andere autonome Gruppen für eine Beteiligung an den Herbstaktionen der Friedensbewegung aus, die mit ihren im norddeutschen Raum geplanten Blockadeaktionen und deren »Konfrontationscharakter« als »radikalisierend« eingeschätzt wurden:
»Wichtig erscheint uns, die NATO in ihrer Struktur und ihren militärischen Einrichtungen an möglichst vielen Punkten auf den unterschiedlichsten Ebenen zu bekämpfen. Nur dadurch wird ein Bewußtsein über die Komplexität dieses militärischen Machtapparates geschaffen, in dem auch der Widerstand gegen die Mittelstreckenraketen seine strategische Bedeutung erhält. Unseren Widerstand gegen die Bombenzüge betrachten wir als einen Schritt in diese Richtung. Er bietet die Möglichkeit der kontinuierlichen und konkreten Auseinandersetzung antimilitaristischer Gruppen ... Ein offensives Verhalten zur Stationierung im Herbst wird letztlich ohne eine Grundlage antimilitaristischer Arbeit auf regionaler und lokaler Ebene nicht möglich sein, dabei wird den Bombenzügen auch in diesem Zusammenhang eine wichtige Bedeutung zukommen« (Autonome Gruppen aus Hannover in: Vorbereitungsmaterialien).
Die Ergebnisse der Diskussionen in Lutter konnten für die Autonomen keine weiteren Organisierungsfortschritte im Hinblick auf den »Raketenherbst« ermöglichen. Der von einigen GenossInnen, insbesondere aus Jobber- und Arbeitslosengruppen, vertretene Ansatz, sich gemeinsam gegen den laufenden Krisenangriff auf dem sozialen Terrain (Soziallohnabbau) zu konzentrieren, wurde nicht weiter aufgegriffen. Zwar war es den Autonomen immer wieder gelungen, sich für eine bestimmte Aktion auch überregional zu organisieren. Die dabei entwickelten Strukturen fielen aber meistens nach dem anvisierten Ereignis rasch wieder auseinander. Ein Grund dafür lag darin, daß eine Organisierung über kontinuierlich stattfindende bundesweite Treffen sich stets von neuem mit der Schwierigkeit konfrontiert sah, letztlich eine Organisierung »von oben« zu bewerkstelligen, was einem zentralen Punkt des Selbstverständnisses vieler Autonomer widersprach. Diese Versuche waren von der Entwicklung begleitet, daß die bundesweiten Treffen oftmals als Ersatz für fehlende lokale und regionale autonome Zusammenhänge verstanden wurden. Das machte es immer wieder von neuem schwierig, allgemeinverbindliche Einschätzungen und Strategien über bestimmte Ereignisse hinaus zu entwickeln. Seit dem Jahre 1983 hat es denn auch keinen Versuch einer bundesweit umfassenden Organisierung der autonomen Gruppen ­ mit Ausnahme der IWF-Kampagne ­ mehr gegeben.
Die politische Entwicklung ist bis zum »Raketenherbst« dadurch gekennzeichnet, daß es der ­ weitgehend von zentralistischen Großorganisationen dominierten ­ Friedensbewegung mit einer ideologisierten Gewaltfreiheit gelang, jede antiimperialistische und sozialrevolutionäre Dimension des Protestes auszugrenzen. Ihr Minimalkonsens richtete sich lediglich gegen bestimmte Waffensysteme und mit ihren Aktionen versuchte sie, gegenüber den Herrschenden den Wunsch nach der Beibehaltung des »Friedens« oder anders formuliert: des »imperialistischen Normalzustandes« zum Ausdruck zu bringen. Dabei erstarrten die als Protest gemeinten Handlungen zu polizeilich vorausberechenbaren leeren symbolischen Unterwerfungsgesten an die staatlichen Instanzen. Das Konzept führte zu einer faktischen Ausgrenzung der autonomen Gruppen, die mit ihren Vorstellungen das Harmoniebedürfnis der Friedensbewegung störten. In diesem Zusammenhang entwickelte die Friedensbewegung vorher nicht gekannte Formen der Zusammenarbeit mit den staatlichen Instanzen (Loccumer und Stuttgarter Gespräche zwischen den Bullen und »Bewegungsführern«, Standleitungen zwischen den Bullen und den Demoleitungen), die dem Ziel dienten, die Autonomen nicht nur zu kontrollieren, sondern wenn nötig auch (offensiv) an die Bullen auszuliefern.

»Heißer Herbst« und kalter Kaffee
Im Rahmen der Aktionswoche der Friedensbewegung vom 13.-22. Oktober '83 kam es trotz aller Widersprüche zu einer massiven Beteiligung von Autonomen an den Blockadeaktionen in Bremerhaven/Nordenham und am Springer-Verlagsgebäude in Hamburg. Grundlage für beide Mobilisierungen war die kontinuierliche Arbeit der in der Region Unterweser arbeitenden antimilitaristischen Gruppen, die sich z.B. in Bremen in dem »Komitee gegen die Bombenzüge« (KGB) zusammengeschlossen hatten, sowie die autonomen Strukturen in Hamburg.
In beiden Aktionen übten jedoch die bürgerlichen und traditionellen Kräfte der Friedensbewegung die politische Hegemonie aus. Selbst der regional antimilitaristisch gegen die alltägliche NATO-Infrastruktur orientierte Ansatz der KGB-Gruppen konnte in die Bündniskonzeptionen des traditionellen Teils der Friedensbewegung integriert und im »Raketenherbst« politisch wirkungslos gemacht werden. Zwar gelang es den Autonomen auf der Bremerhavener Großdemonstration ­ ähnlich wie am 6. Mai '80 in Bremen ­, die Spitze des Demonstrationszuges zu übernehmen, eine geschickte Demoführungsregie aus den Reihen der Friedensbewegung sorgte jedoch dafür, daß der Autonomenblock getrennt von der Masse der anderen DemonstrationsteilnehmerInnen durch die Straßen der Stadt lief. Dabei stieß der praktisch und politisch völlig isolierte Autonomenblock auf einen gemeinsam von Bullen und gewaltfreien SitzblockiererInnen versperrten Hafeneingang am »Roten Sand«. In der danach folgenden Phase der Desorientierung zog der autonome Demoblock in einem stundenlangen Fußmarsch völlig erschöpft und zersplittert durch die Stadt und wurde in den Abendstunden, als er die amerikanischen Kasernen im Hafengelände erreichte, in einem abgelegenen Gebiet zum Spielball einer riesigen Polizeiübermacht. Der ganze deprimierende Ablauf der Bremerhaven-Demonstration war kennzeichnend für die verfahrene Situation in dem Verhältnis zwischen den Autonomen und der Friedensbewegung.
Die ungelöste »Gewaltfrage« hatte bereits im Vorfeld alles blockiert, so daß die darüber nicht geführten inhaltlichen Auseinandersetzungen im nachhinein nicht mehr aufgeholt werden konnten. So blieb dann ihre Beteiligung an den Aktionen der Friedensbewegung quasi »putschistisch« aufgesetzt, fremd und letztlich isoliert, was der Ablauf der Bremerhaven-Aktion sinnfällig demonstrierte. Die seitens vieler Autonomer gehegte Hoffnung, doch eine »Radikalisierung« der Friedensbewegung erreichen zu können, scheiterte. Zutreffend und voller Sarkasmus wurde dann auch in einem Auswertungsflugi von West-Berliner Autonomen kommentiert: »Zwischen Bremen und Bremerhaven liegen 60 Kilometer und drei Jahre.«
Allerdings bewahrheiteten sich auch nicht ursprünglich geäußerte Befürchtungen von eine »Falle Bremerhaven« oder einer »Abräumaktion italienischen Ausmaßes« im Raketenherbst. Die völlige politische Isolation der autonomen Gruppen machte derartige staatliche Repression überflüssig. Als beispielsweise kurz vor der Massenkundgebung der Friedensbewegung am 22. Oktober in Hamburg eine Solidaritätsdemonstration für die Hafenstraße von den Bullen aufgemischt und über 150 GenossInnen festgenommen wurden, kam es seitens der Friedensbewegung zu keinerlei Reaktionen. Was hatte die Hafenstraße auch mit ihrer Sehnsucht nach Frieden zu tun? Sie bekundete mit dem Ablauf der Aktionswoche ihre Angst vor neuen Atomraketen und ging anschließend nach Hause, und einen Monat später wurde ohne nennenswerten Widerstand die Stationierung vollzogen und durchgesetzt. Im Januar 1984 stellten die Revolutionären Zellen/Rote Zora in einem fulminanten Kritikpapier an dieser Bewegung unter dem Titel: »Krise ­ Krieg ­ Friedensbewegung« fest:
»Die neuen sozialen Bewegungen ­ das hat die Friedensbewegung auf den Punkt gebracht ­ verlaufen zunehmend quer zur Klassenfrage, überlagern soziale Inhalte und entwickeln sich in Teilen nach rechts. Als ausschließlicher Bezugspunkt einer revolutionären Praxis werden sie fragwürdig. Jenes 'Ab in die Bewegung', das die Frage der Mobilisierung vor ihre Inhalte und Ziele stellt, reicht als Kriterium nicht länger.«

Der Rückzug der Autonomen und der Zerfall der Friedensbewegung
Trotz der deprimierenden Erfahrungen aus dem »Raketenherbst« arbeiteten Autonome noch eine Weile in der Friedensbewegung mit. Im Herbst 1984 mobilisierten sie zur Behinderungen von NATO-Manövern im Raum Hildesheim. Im Februar 1985 fand noch einmal im Unterweserraum eine Blockade der Bombenzüge statt. Aber auch mit diesen Aktionen gelang es nicht mehr, eine inhaltliche Radikalisierung einer sich bereits im Abschwung und Zerfall befindlichen Bewegung zu erreichen. Die Friedensbewegung hatte mit ihrer Orientierung auf einen verbalen Protest gegen die Stationierung bestimmter Waffensysteme bereits im Herbst 1983 ihren Mobilisierungshöhepunkt überschritten. Sie konnte auch danach nicht mehr aus ihrer Fixierung auf die von staatlichen Instanzen betriebene »Friedens- und Abrüstungspolitik« ausbrechen. Mit dem Nicht-Eintreten der von ihr prognostizierten Kriegsgefahr (»Fürchtet euch, der Atomtod bedroht uns alle!«; »Es ist 5 vor 12!«) und den sich auf internationaler Ebene abzeichnenden Tendenzen zur Rüstungskontrolle zerfiel eine wesentliche Legitimationsbasis der von ihr propagierten Katastrophenpolitik. Auf der anderen Seite hatte sich mit der reibungslosen Durchsetzung der Raketenstationierung die Wirkungslosigkeit ihrer legalistischen Strategie eines appellativen Massenprotests an die herrschende Klasse gezeigt. Mit der Wiederholung von wirkungslosen und ritualisierten Massenaktionen (Ostermarsch '84, Volksbefragung) konnte sie nach dem »Raketenherbst« ihren Auflösungsprozeß nicht mehr aufhalten. Aus diesem Grunde trafen die in den Jahren 1984/85 von Autonomen organisierten Aktionen nicht mehr auf das Forum einer breit untereinander kommunizierenden Bewegung. Auch wenn die Aktionen in Hildesheim und in der Unterweserregion keine ausgesprochenen Mißerfolge waren, so wurden sie doch aufgrund der fehlenden öffentlichen Resonanz zum Endpunkt der größeren autonomen Aktivitäten auf dem Terrain der Friedensbewegung.