http://www.farberot.de/texte/Besinnliches zum Papsttod.htm Besinnliches zum Papsttod:

Besinnliches zum Papsttod:

Vom schädlichen Unsinn der Frage nach dem Sinn des Lebens

 

Mal im Ernst: So ganz im Ernst glaubt doch heutzutage kein Mensch an die Geschichte vom Gotteslamm, das sein liebender Vater für die Sünden der Menschheit hat umbringen lassen.

Schon gar nicht an die seltsame Legende, sein Mutter wäre Jungfrau geblieben und mit diesem Leib jetzt „im Himmel“.

Und als Schaf möchte sich kein guter Katholik vorkommen, obwohl der Papst aus Rom als guter „Hirte“ gelobt wird, welcher kaum ohne Herde zu denken ist, die orientierungslos über die Weide stolperte, wäre er nicht da.

 

Na, gut: Es mag Leute geben, die haben Gott erlebt oder die mystische Kraft des Heiligen Vaters gespürt oder sind von der Allerseligsten getröstet worden.

Es gibt ja auch Leute, die sind in den Kanzler verliebt, manche werden beim Anblick eines Popstars ohnmächtig, machen senkrechte Skiabfahrten zu ihrem Lebenszweck oder halten sich für den Kaiser von Amerika.

Wo der Wahnsinn zum Erlebnis geworden ist – egal ob mit oder ohne Opium ‑, da hat der Verstand sein Recht verloren.

 

Aber ein normaler Mensch muss seinen Verstand doch immer wieder ziemlich anstrengen, um den Kuttenmännern aus den Pfarrhäusern und dem aus Rom und ihrer Botschaft von einem entsetzlich kleinlichen lieben Gott und seiner unter tausend Vorbehalten gewährten Gnade etwas abzugewinnen. Am Ende kommen dann zwar doch einige Zehntausende zusammen, um dem obersten Priester zuzuschauen; früher dabei, wie er dutzendweise Verstorbene zu Heiligen befördert; in den vergangenen Wochen, um mitzuerleben, wie der Papst das eigenen Sterben vorführt und zelebriert.

Was sie allerdings zusammenströmen, gaffen, frohlocken oder Betroffenheit zeigen lässt, ist ein Bedürfnis, dessen Pflege nicht nur dem Verstand schadet.

 

Es geht um die Nachfrage nach dem Artikel „Sinn“.

Diese Nachfrage stellt sich an beliebigen Stellen ein, und das nachgefragte Gut soll überall gleich gut passen – schon das höchst verdächtig.

-          Der Frieden ist eine wackelige Sache, es herrscht Krieg an den verschiedensten Ecken des Globus, dauernd werden irgendwo Leute im Staatsauftrag umgebracht; wonach suchen wir da?

-          Ein Mensch, dem es gut geht, langweilt sich; was geht ihm ab?

-          Die meisten Zeitgenossen strengen sich ihr Leben lang tüchtig an, gönnen sich nichts und sind am Ende erst recht ausgelaugt; was fehlt ihnen in Wirklichkeit?

-          Ein Arbeitsloser verbringt den Tag auf dem Sofa; was enthält man ihm vor?

-          Die junge Mutter stirbt bei einem Autounfall; was vermissen die Waisen – oder jedenfalls das Publikum, das durch „Bild“ von dem „Schicksalsschlag“ erfährt?

-          Nicht nur beim Papsttod – wonach fragt sich jeder, vor allem in den „dunklen Stunden seines Lebens“?

Die Antwort ist überall dieselbe: Ein Sinn muss her.

 

Ein seltsames Bedürfnis! Für alles, was passiert, wünscht sich der wirklich oder in Gedanken Betroffene ein Weiß-warum und Wozu, dem er beipflichten kann. Eine solche beruhigende und allgemeingültige Auskunft soll ausgerechnet und ganz besonders dort fällig sein, wo gerade Bedürfnisse, die einer wirklich hat, und ganz schlichte Zwecke, die man sich setzt, brutal und unwiderruflich durchkreuzt werden. Wenn alles schief geht; wenn die Bilanz eines halben oder ganzen Lebens ergibt, dass es sich nicht gelohnt hat – außer für andere, die es besser getroffen haben ‑; dann soll man ausgerechnet in der Vorstellung Trost suchen, gerade im Scheitern läge zumindest eine tiefere Weisheit begraben, die man jetzt begriffen hat und die für jeden ausgebliebenen Erfolg locker entschädigt.

Derselbe Gedanke ist gleich auch noch für die Beschwichtigung aller Neidgefühle gut: „Geld allein macht nicht glücklich!“ behaupten Leute, die genau wissen, dass sie mit einem Tausender mehr pro Monat ihre gröbsten Sorgen schon mal los wären.

 

Ein Sinn ist da tatsächlich billiger zu haben. Er besteht tatsächlich bloß in der leeren Versicherung, man bräuchte sich auf das, was wirklich los ist, nur einen Reim zu machen. Und zwar einen, der sich durch seine Entdeckung menschlich-allzumenschlicher Übel an jedem Geschehnis bewährt. Diese Versicherung taugt für die brutalste Sorte Trost: Es kann so wüst zugehen, wie es will – wer nach dem „Sinn“ fragt, will ganz einfach daran glauben, irgendwie ginge jedes verpfuschte Leben, jede Enttäuschung schon in Ordnung.

Umgekehrt lässt sich mit der „Sinnfrage“ jedes Vorhaben madig machen: was immer sich jemand zu seinem Vorteil vornimmt, es ist ein „bloß“ und taugt nichts, solange er keinen eingebildeten Auftrag, also eine Haltung der Selbstlosigkeit und Dienstbarkeit, der Verantwortung dazu vorweisen kann.

 

Die ‚Vorteile‘ einer solchen Haltung, die man sich selbst zulegt und anderen abverlangt, liegen auf der Hand. Niemand hat sie konsequenter vorgeführt als der verstorbene Papst und seine gläubigen und auch seine weniger gläubigen Bewunderer. Diese Leute wissen, wie man mit den „Übeln dieser Welt“ fertig wird.

Erstens reihen sie alles, woran auch Ungläubige nur Nachteile und Bedrohliches entdecken, in die große Klasse menschlicher Verfehlungen ein. Mit diesem genial erfundenen Verursacherprinzip warnen sie vor Kriegen und Gentechnologie; wenden sich entsetzt vor jeder Gewalthandlung ab, die ihnen auffällt; behaupten allen Ernstes, dem „Menschen“ stünde es nicht zu, die Natur zu versauen oder das Geschlechtliche ohne den verpflichtenden Segen zu genießen. Mit dieser Sorte Anklage macht sich jeder Christ zum Generalstaatsanwalt, der über einen einzigen Schuldigen herzieht – den Menschen, der sein geringes Gewicht und sein minderes Recht vor Gott dem Allmächtigen vergisst. Unterschiedslos entdeckt er im 21. Jahrhundert nach Christus an Gemeinheiten und Drangsalen der unterschiedlichsten Art, an jeder Menge Not und Gewalt immerzu denselben Grund.

 

Ein Christ hat es nicht nötig, einmal wirklich einen Verursacher auszumachen und ihn höchstoffiziell von seinen Opfern zu unterscheiden – da könnte ja glatt statt des Bedauerns der Opfer Kritik herauskommen!

Nein, dem Aufruf, auch einmal ein Opfer zu vermeiden, indem man den wirklichen Herren dieser Welt das Handwerk legt, können Christen nichts abgewinnen. So etwas steht nämlich den armen Sündern auch nicht zu; und die Warnung vor Gewalt, die der letzte Papst auf seinen vielen Reisen zu den Hungerleidern dieser Welt immer wieder gepredigt hat, galt allemal den Versuchen von Leuten, die sich einmal etwas nicht gefallen lassen wollten.

Der Universalgesichtspunkt des Glaubens, der die Sündernatur, den bösen Charakter von uns allen noch in allem aufspürt, ist eine ebenso allumfassende wie ignorante Beschuldigung. So ist es kein Wunder, dass für den Papst ein feucht-fröhlicher Abend mit anschließendem vorehelichem Geschlechtsverkehr darin genauso bedeutsam ist wie der Beginn eines Krieges.

 

Wenn unterschiedslos alle als Menschen ihre Schuld auf sich laden, führt dies auch über die Beschuldigung hinaus. Entschuldigt sind all die, welche tatsächlich nach den irdischen Gesetzen von Geld und Gewalt zuständig sind. Von ihnen verlangt die Christenheit gar nicht viel: Sie sollen ihre Verantwortung bedenken, sich bewusst werden, dass auch ihr Tun eitel Menschenwerk ist und nicht fehlerlos, und im Übrigen ihre „Verantwortung“ – dies das christliche Wort für Macht – so ausüben, dass ein Gewissen dabei ist.

Wer das Sagen hat im Staat und im Kommerz, wird von den Moralbolzen des ‚Sinnes‘ auf Erden doch glatt in die Pflicht genommen: Er muss sich zu seinen anderen durchaus nicht zuträglichen Taten einen guten Sinn und Zweck dazudenken und nach diesem guten Gewissens weitermachen.

Entschuldbar ist freilich auch alles, was die übrigen Menschenkinder so treiben. Allerdings auch nur, wenn sie sich ihrer eigenen Unzulänglichkeit bewusst sind. Das dürfen sie sich nicht anmaßen: ihre Herren tatkräftig zum Abdanken bringen – bloß wegen dem , was die ihnen so einbrocken. Was ein Volk von seiner Obrigkeit verlangen darf, ist nach christlichem Recht etwas ganz anderes: das „Umdenken“, diese billige Gewissenspose.

Die Selbstgerechtigkeit des christlichen Sinnprogramms erlebt immer dann ihre schönsten Feierstunden, wenn viele garantiert selbst unschuldige Opfer zu beklagen sind. Dann sind die Menschen ganz selbstbewusst das, was ihnen ansteht: Betroffene; und in dieser Untertanenpose dürfen sie unter päpstlicher Anleitung auch auf der Verantwortung ihrer Herrschaften bestehen. Im Gebet, versteht sich, im gemeinsamen.

 

Auf das Gebet und die übrigen Techniken der Christengemeinde, sich dem „Sinnverlust“ der Welt entgegenzustellen, meinen manche moderne Bürger verzichten zu können. Auf das Programm einer Weltanschauung, die nichts ohne verpflichtende Werte geschehen lassen will und die noch den banalsten Berechnungen um Geld und Macht solche Ehrentitel ablauscht, freilich nicht. Die Kirche hat heute viele Konkurrenzgemeinden zur Seite, die genau wie sie Sinn stiften und geistige Orientierung geben und dafür Nachfrager finden.

Was für einen höheren Dienstherrn sich einer einbildet:

-          Ob er seine sinnstiftenden Aufträge von einem „höheren Wert“ wie der „Familie“, „der Zukunft“ oder „der Nation“, der „Natur“ bzw. „Umwelt“

-          oder von einem „höheren Wesen“ wie der „Jungfrau Maria“ oder dem „Herrn Jesus“ empfangen haben will;

-          im Schoße welcher Übermacht einer Trost findet oder seine Anklagen los wird:

Das ist im Grunde ja auch herzlich gleichgültig. Es geht allemal nur darum, sich irgendeine Autorität – und zwar eine, die man sich als unwidersprechlich vorstellt – zum eigenen Tun, Lassen und Leiden hinzu zudenken.

Und für einen modernen Menschen geht der normale Weg zur „Sinnfindung“ sowieso nicht darüber, dass ihn die Ehrfurcht vor irgendwelchen weihevollen Größen packt, sondern darüber, dass er irgendeinen Sinn für angebracht  hält. Der Wunsch nach einem Tröster und Vorschriftenmacher schafft sich allemal die passende Einbildung, wenn man ihn einmal hegt; und da ist ja wirklich eine so gut wie die andere. Denn alle haben dieselbe Funktion, die gerade Christen gerne als den unverzichtbaren Dienst ihres Glaubens, als seine jegliche Vernunft überschreitende und überflüssig machende Brauchbarkeit loben.

 

Dieser Sinn des Glaubens an einen Sinn ist fatal. Er besteht nämlich erstens darin, den sinnsuchenden Menschen von jeder richtigen Betätigung seines Verstandes abzubringen.

Gerade wenn man mit einem Vorhaben scheitert, ist doch eine Analyse der wirklichen Gründe das einzig Angebrachte. Der eine stirbt an Bazillen, der andere an Hunger; das eine liegt am Erreger, an mangelnder Hygiene und/oder an der sowieso beanspruchten Gesundheit, das andere an gewissen weltwirtschaftlichen ‚Errungenschaften‘. Und wenn in unserem blühenden Europa die meisten Leute regelmäßig mit dem schlichtesten Vorhaben scheitern, nämlich damit, durch Arbeit genug Geld für ein sorgenfreies Leben zu verdienen, dann liegt der Grund dafür nicht in einer tiefsinnigen oder „sinnlosen“ Einrichtung des Weltlaufs, sondern in seiner kapitalistischen: Vom Lohn, den der, der ihn zahlt, als Kostenfaktor berechnet und nur für Gewinnzwecke ausgibt, lässt sich logischerweise nicht anständig leben.

So etwas zu wissen, ist unerlässlich, um richtig damit umzugehen; und genau das ist das Zweite, was die Sinnsucherei verhindert. Man muss schon aufhören, über den Sinn einer Krankheit zu grübeln, um die Bazillen zu entdecken – und es ist schlimm genug, dass inzwischen auch die Medizinmänner den Rückweg von der Wissenschaft zur Guru-mäßigen Quacksalberei antreten, weil sie festgestellt haben, dass ihre Pillen gegen die Folgen mancher Arbeit oder einer chronischen Vergiftung durch eine Industrie auf Weltniveau nicht helfen.

Wer die marktwirtschaftliche Notwendigkeit von Hungersnöten in „Rohstoffländern“ begreift, nimmt die Opfer nicht als Chance für eine gute Tat. Sondern der tut sich mit anderen zur Beseitigung gewisser, auch weltwirtschaftlich wirksamer Interessen zusammen.

Und wer über den Lohn Bescheid weiß, der bildet sich nicht mehr ein, durch seine Arbeit reich zu werden, sondern kümmert sich um eine paar Veränderungen anderer Art.

Das Richtige zu tun, ist zwar noch lange keine Erfolgsgarantie: Die besten Medikamente können versagen, und im Konflikt gegensätzlicher Interessen können auch die anderen sich durchsetzen. Das Richtige zu lassen, ist aber eine Garantie für lebenslange Niederlagen. Und wer über deren Sinn grübelt, der hat sie schon hingenommen, noch bevor sie stattgefunden haben.

 

Die Nachfrage nach einem „Sinn des Lebens“ ist also allemal die Entscheidung gegen die eigenen materiellen Interessen und gegen vernünftiges, also materialistisches Nachdenken über deren Hindernisse.

Das Angebot wird daher von Sinnstiftern wie dem Papst, die andere zur bescheidenen Sinnsuche raten, locker erledigt. Wer so sinniert, will ja schon an ein Prinzip glauben, das noch über Mord und Totschlag hinwegtröstet, indem es ihn einordnet.

Auf diesem Willen gedeiht jeder weltanschauliche Mist; also auch jeder religiöse Wahn. Dann heißt der Sinn „Gott“ mit Nachnamen und umfasst viele Geschichten, die alle viel zu denken geben – nämlich immer dasselbe. Die Knechtsgesinnung heißt hier „Glaube“. Den teilt ein modernen Christ ohne Ergriffenheit; eher in der blödsinnigen Berechnung, dass man schließlich ohne Sinn um vielen ärmer wäre – fehlen täten ein paar falsche Gedanken und das Gefühl, in einer schwer missratenen Welt zu Hause zu sein und mitschuldig dazu.

Diesen Un-Sinn hat Herr Wojtyla als Stellvertreter Gottes ausgenutzt und bedient. Die maßgeblichen Autoritäten in Staat und Öffentlichkeit versichern, das ohne ihn die Welt ärmer ist und wissen, dass der nächste Papst die Sache auch hinbekommen wird. Das Publikum ist angemessen betroffen. Einige fordern die sofortige Heiligsprechung des Verstorbenen, damit sie ihn anrufen und anbeten können Manche sind ganz kritisch und wünschen sich einen fortschrittlicheren Papst als Nachfolger, weil sie so einem lieber folgen würden.

Die eher Ungläubigen sind interessiert, manchmal genervt, auf ihre Weise aber auch ein wenig stolz, dass sie ihre Sinnfrage ohne Papst und leibhaftigen Gott auch in genau demselben Sinn gelöst haben.

Und wenn alle sich selbstzufrieden bescheinigen, moralisch gesehen doch ziemlich gut intakt zu sein, dann haben sie recht – leider.