15. Kapitel

Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert

Mit der gesellschaftlichen Trennung der Arbeitskraft von den gegenständlichen Bedingungen ihrer Betätigung bleibt ihr Kauf und damit ihr Wert Voraussetzung für die Produktion von Mehrwert, doch ist der "Wert der gewohnheitsmäßig notwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters" (MEW 23/542) selbst eine Größe, die von der Anwendung der Methoden der Mehrwertproduktion, mithin von der Verausgabung der Arbeitskraft abhängt. Der Wert der Arbeitskraft wechselt mit der Kombination der verschiedenen Faktoren, die die Mehrwertrate bestimmen: der dem Verwertungsprozeß vorausgesetzte Preis der Arbeitskraft - der Geldausdruck ihres Werts - und der in der Produktion geschaffene Mehrwert sind relative Größen, die durch "drei Umstände" bedingt werden:

"1. die Länge des Arbeitstags oder die extensive Größe der Arbeit;2. die normale Intensität der Arbeit oder ihre intensive Größe, so daß ein bestimmtes Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird;3.endlich die Produktivkraft der Arbeit, so daß je nach dem Entwicklungsgrad der Produktionsbedingungen dasselbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein größeres oder kleineres Quantum Produkt liefert!' (MEW 23/542)[1]

Die Kombination dieser Faktoren hat verschiedene Wirkungen auf den Wert der Arbeitskraft, den Mehrwert und ihr Verhältnis zueinander. Die Methoden der Mehrwertproduktion verändern beständig ihre eigenen Bedingungen, sie schließen als Revolutionierung der den Verwertungsprozeß bestimmenden Faktoren daher Abweichungen des vorausgesetzten Preises der Arbeitskraft von ihrem jeweiligen Wert ein und rufen Prozesse hervor, durch die sich beide Größen einander angleichen.

I. Die Veränderung der Produktivkraft der Arbeit ändert nicht die absolute Größe des Wertprodukts (erstes Gesetz), sondern die gegebene Mehrwertrate (zweites Gesetz), von welcher damit der proportionelle Größenwechsel von Wert der Arbeitskraft und Mehrwert abhängt. Die Vergrößerung der Mehrwertrate verdankt sich der direkten Wirkung auf den Wert der Arbeitskraft (drittes Gesetz), so daß die Größe des Mehrwerts davon abhängt, wie weit der Preis der Arbeitskraft an deren "neue Wertgrenze" angeglichen wird. "Der Grad des Falls… hängt von dem relativen Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von der einen Seite, der Widerstand der Arbeiter von der anderen Seite in die Waagschale wirft." (MEW 23/545) und ist nicht identisch mit einer Verminderung der Konsumtion seitens der Arbeiter; die Masse Lebensmittel kann sogar steigen bei sinkendem Preis der Arbeitskraft - "Relativ aber, d.h. verglichen mit dem Mehrwert, sänke der Wert der Arbeitskraft beständig, und erweiterte sich also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist." (MEW 23/546)

II. Die Veränderung der Intensität der Arbeit vergrößert das Wertprodukt auf grund der Abweichung vom gesellschaftlichen Durchschnitt und reproduziert daher den Wert der Arbeitskraft in kürzerer Zeit, so daß ein Wachstum des Mehrwerts einen höheren Preis der Arbeitskraft nicht ausschließt. Insofern der höhere Verschleiß der Arbeitskraft die Reproduktionskosten steigert, kann unter Umständen selbst ein gestiegener Preis der Arbeitskraft ihren beschleunigten Verschleiß nicht kompensieren. (MEW 23/547) Zwar führt die Intensivierung zu einer Vergrößerung des Mehrwerts unabhängig vom Produktionszweig, doch fällt ihre besondere Wirkung fort, sobald der "neue höhere Intensitätsgrad zum gewöhnlichen gesellschaftlichen Normalgrad" geworden ist.

III. 1. Da die Verkürzung des Arbeitstages dem Zweck des Kapitals zuwiderläuft, tritt sie nur als Konsequenz der Zerstörung der Arbeitskraft im Produktionsprozeß (Produktivitätssteigerungen, Intensivierung) auf und fordert zugleich den verstärkten Einsatz jener Mittel heraus. Der Veränderung des Arbeitstages kommt also selbständige Bedeutung nur zu, sofern durch ihre 2. Verlängerung die Größe der Mehrarbeit und dadurch die Mehrwertrate wächst. Der damit verbundene erhöhte Verschleiß des Arbeiters hat zur Folge, daß selbst gestiegener Preis der Arbeitskraft unter deren Wert liegen kann. Ab einem gewissen Punkt wird der Verkauf der Arbeitskraft durch ihre Verausgabung sogar verunmöglicht, da der größere Verschleiß überhaupt nicht mehr kompensiert werden kann. "Der Preis der Arbeitskraft und ihr Exploitationsgrad hören auf, miteinander kommensurabel Größen zu sein." (MEW 23/549)

IV. In der kombinierten Anwendung der verschiedenen Methoden der Mehrwertproduktion verfügt das Kapital über die Mittel, die mit der jeweiligen Stufe der Produktion gegebenen Schranken zu überwinden. Dabei zwingt es die Arbeitskraft zu stets größerer Verausgabung ihrer Potenzen, wobei ihm deren Entfaltung selbst nur dazu dient, die Mehrarbeit auszudehnen. Die Senkung der zur Produktion einer Ware gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit geschieht nur um der Reduktion der Arbeitszeit willen, in der der Arbeiter das Äquivalent seiner Arbeitskraft reproduziert. Weil das Kapital in der "notwendigen Arbeitszeit" nur die Basis und Schranke für die Mehrarbeit vorfindet, zielt die ständige Revolutionierung der Produktivkräfte auf die Perpetuierung einer Produktionsweise in welcher die Reproduktion der unmittelbaren Produzenten abhängig bleibt von der Schaffung des Oberflusses in der Form des Kapitals, die Vermehrung des Reichtums auf der Beschränkung der Arbeitenden beruht.[2] Der Gegensatz der notwendigen Arbeitszeit zum "Reich der Freiheit" das "der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion" liegt (MEW 25/828), verliert daher mit der Beseitigung des Kapitalismus seine antagonistische Gestalt und löst sich auf In die bewußte Organisation der gerade durch das Kapital ins Leben gerufenen Produktivkräfte, in die zweckmäßige Bewältigung der "ewigen Naturnotwendigkeit" -

"Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, unter sonst gleich bleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve‑ und Akkumulationsfonds nötige Arbeit." (MEW 23/552) -,

die auch "die maßloseste Verschwendung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte" hinfällig macht und alle "überflüssigen Funktionen", die für die kapitalistische Produktionsweise notwendig sind, erübrigt. Die gleichmäßige Verteilung der Arbeit unter alle "werkfähigen Glieder der Gesellschaft" die "Allgemeinheit der Arbeit" macht mit den Verhältnissen ein Ende, in denen "eine Gesellschaftsschicht die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab‑ und einer anderen Schicht zuwälzen" kann, deren gesamte Lebenszeit in Arbeitszeit verwandelt wird. (MEW 23/552)

Fußnoten:

[1]Da von den Veränderungen des unmittelbaren Produktionsprozesses nicht direkt berührt‚ bleiben Entwicklungskosten und Naturdifferenzen an den Arbeitskräften hier unberücksichtigt. Auch hat der hier entwickelte Zusammenhang nichts zu tun mit der Abweichung dei Warenpreise von ihrem Wert und der Tendenz des Kapitals, den Preis der Arbeitskraft beständig unter ihren Wert zu senken: "Wir unterstellen. 1. daß die Waren zu ihrem Wert verkauft werden. 2. daß der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über ihren Wert steigt, aber nie. unter ihn sinkt."

[2]Vgl. GR/596: "Die Arbeitszeit als Maß des Reichtums setzt den Reichtum selbst als auf der Armut begründet und die disposable Zeit als existierend im und durch den Gegensatz zur Surplusarbeitszeit oder Setzen der ganzen Zeit eines Individuums als Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum bloßen Arbeiter Subsumtion unter die Arbeit."