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Nr. 40/2001 - 26. September 2001
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Politische Ökonomie des Terrors

Der globale Krisenprozess und die Weltmachtfrage. von robert kurz

So wild wie die Börsenkurse schwanken die Meinungen darüber, welche Auswirkungen der Terrorschlag in den USA auf die Weltwirtschaft haben könnte. Die Pragmatiker eines business as usual hoffen nach schnell absolvierter Trauerarbeit allen Ernstes auf einen hübschen Aufschwung durch Investitionen in die Sicherheitstechnologie, den »Wiederaufbau« in Manhattan und die Rüstungskonjunktur. Bin Laden hätte so die Weltwirtschaft gerettet und müsste den Nobelpreis bekommen, der dann dem Gewerbe seines Stifters endlich einmal voll und ganz entspräche.

Umgekehrt befürchten die Konjunkturpessimisten und Elegiker der schon seit 15 Monaten kranken Finanzmärkte, dass die schockierten US-amerikanischen Verbraucher plötzlich aus Verzweiflung zu sparen beginnen, statt die Waren der Welt in sich hineinzustopfen, um die planetarische Mühle am Laufen zu halten. In diesem Fall würde das flackernde Licht der Weltkonjunktur ausgeblasen und der bärtige Herr hätte den ganzen wunderbaren Kapitalismus ruiniert, so die vorsorgliche Legende.

Beides ist natürlich Unsinn. Tatsächlich befindet sich das Waren produzierende Weltsystem ganz unabhängig von umherschleichenden Wahnsinnigen und ihren Taten in einer prekären Situation. Kapitalistische Wirtschaft ist eben nicht zu 90 Prozent Psychologie, sondern zu 90 Prozent objektivierter Prozess. In dieser Hinsicht ist die globale Realakkumulation längst an ihre innere Grenze gestoßen. Dadurch wurden die Finanzblasen der neunziger Jahre hervorgetrieben. Das Zentrum dieses Prozesses bildet die Verschuldung der US-Ökonomie. Diese Blasenkonjunktur hat sich inzwischen erschöpft, wie der Zusammenbruch der New Economy und der schleichende Verfall der Standardwerte deutlich gemacht haben. In welchem Gemütszustand auch immer sich die überschuldeten Verbraucher und Unternehmen in den USA befinden mögen, sie werden das Geld weder ausgeben noch sparen können, das sie nicht mehr haben.

Früher oder später muss die Konsequenz einer globalen Depression hervortreten und die Grenzen des Systems auch an der Marktoberfläche erscheinen lassen, was natürlich die Funktionseliten nicht wahrhaben wollen. Mit der beispiellosen Maßnahme von nicht weniger als sieben Zinssenkungen innerhalb von acht Monaten versuchte die US-Notenbank (Fed), den Kursverfall aufzuhalten und die von »fiktivem Kapital« getriebene Konjunktur zu retten. Der durchschlagende Erfolg ist ausgeblieben.

Angesichts des erreichten Grades der Krisenreife können nahezu beliebige Störungen den finanzkapitalistischen GAU auslösen. Zu zehn Prozent ist die kapitalistische Wirtschaft eben auch Psychologie. Insofern war der Kamikaze-Angriff in seiner metaphysischen Dimension als Akt von starker Symbolik durchaus geeignet, zwar nicht zur Ursache, aber zum Anlass für den großen Crash zu werden; zuletzt musste die Wall Street in der Weltwirtschaftskrise für mehr als drei Tage dicht machen. Alan Greenspan hat die achte Zinssenkung in Folge als »monetäre Seelenmassage« (Neue Zürcher Zeitung) verordnet, die EZB und nahezu alle wichtigen Notenbanken folgten diesem Schritt. Patriotische Rituale gegen einen unsichtbaren Feind, der kaum fürchterlicher ist als die viel beschworene »unsichtbare Hand« der blinden Systemlogik, sollen ebenso zur Beruhigung beitragen wie die üblichen Appelle zur Besonnenheit an die längst mittellosen Kleinanleger.

Dennoch ist das Kursniveau in der ganzen Welt rapide gesunken. Es heißt, die Panik sei vermieden worden. Aber das bedeutet nur, dass in dieser Situation acht Prozent Kursverlust an einem Tag fast schon als Erfolg gelten. Am stärksten betroffen sind die Airlines, deren Papiere durchweg 50 Prozent verloren. Aber auch dieser Absturz samt den folgenden Massenentlassungen war schon seit Monaten programmiert. Wenn sich die Rauchschwaden der Katastrophe verzogen haben, wird ökonomisch nichts anderes sichtbar werden als jene Krisentendenz, die es schon gab, um einige Grade verschärft.

Der Kamikaze-Angriff als Auslöser eines nicht mehr aufzuhaltenden Finanzbebens bleibt aber in einer anderen, weiter gehenden Hinsicht aktuell. Diese Initialzündung kann nämlich nicht nur unmittelbar auf der Ebene der Aktienmärkte wirksam werden, sondern auch vermittelt auf der Ebene der Devisenmärkte.

Zu den Paradoxien der Globalisierung gehört es, dass die molekulare Auflösung der Betriebswirtschaft in transnationale Strukturen (Outsourcing, Kapitalexport als Funktion der Rationalisierung etc.) gebunden bleibt an den nationalen Geldnamen der Währung. Die reale Metaphysik des Geldes ist nicht anders darstellbar als in nationalen Geldformen; eine unmittelbare Weltwährung kann es ebensowenig geben wie einen Weltstaat, es sei denn, die Rückkehr zum Goldstandard wäre möglich.

In dieser »archaischen« Form ist das Weltsystem aber auf dem erreichten Stand der Produktivkräfte monetär nicht mehr zu reproduzieren. Es braucht also eine national gebundene Leitwährung als finanzkapitalistisches Transaktions-, Welthandels- und Reservemedium, in dem sich alle anderen Währungen relativ zueinander darstellen können.

Zweifellos bildet der Dollar nach wie vor diese Leitwährung, weil deren Status an die Weltmachtposition gebunden ist und deshalb weder vom Yen noch vom Euro übernommen werden kann. Die Globalisierung, die als Funktion des inneren systemischen Krisenprozesses auch der äußeren Form nach an die Grenzen des Systems heranführt, lässt sich in kapitalistischer Gestalt überhaupt nur durchhalten, solange der Dollar hält.

Die Weltmachtposition der USA hat jedoch längst keine ökonomischen Grundlagen mehr, sondern nur noch eine militärische. Der Ausgangspunkt dieses Niedergangs wegen des horrenden Weltmachtkonsums war schon 1973 die Preisgabe der Goldkonvertibilität des Dollar durch Präsident Richard Nixon. Seither besteht das »Gold« der US-Währung in der Potenz der US-Militärmaschine. In der dritten industriellen Revolution werden die USA von der inneren Krise der Akkumulation ebenso aufgezehrt wie die übrige Welt. Entgegen allen Legenden liegt die reale Produktivität der US-Ökonomie unter der europäischen und japanischen. Den Beweis liefert die historisch beispiellose Außenverschuldung.

Die Rolle der Vormacht ist damit noch stärker an das militärische Potenzial gebunden. Es war der Rüstungskeynesianismus der Reagan-Ära, der die Voraussetzung für die finanzkapitalistische Blasen- und Verschuldungskonjunktur der neunziger Jahre schuf, und auch sie war nicht denkbar ohne die Führungsrolle in den Weltordnungskriegen am Golf und in Jugoslawien.

Gleichzeitig mit dem globalistischen Krisenprozess einer Ökonomisierung der Politik haben wir es also auf der Ebene der Geldform umgekehrt mit einer Politisierung oder quasi Militarisierung der Leitwährung zu tun. Nur deshalb strömt das Geldkapital der Welt weiter in die USA und ermöglicht ihnen die Aufnahme und Verknusperung der globalen Warenüberschüsse, weil die Militärmaschine der letzten Weltmacht als Weltpolizist agieren kann und die USA als »Hafen der Sicherheit« in einer destabilisierten Krisenwelt gelten.

Man kann also ermessen, welchen Schlag der Kamikaze-Angriff diesem weltökonomisch notwendigen Nimbus versetzt hat. Schon in den ersten Reaktionen schoss der Goldpreis ebenso wie Yen und Euro im Verhältnis zum Dollar nach oben - zur Verzweiflung der Japaner, die nur noch am Strohhalm ihres Exportüberschusses hängen. Der Dollar ist reif für den Absturz, ohne dass eine andere Leitwährung an seine Stelle treten könnte. Umso stärker wird jetzt der Druck, auf Biegen und Brechen den status quo ante wieder herzustellen. Deshalb hat ein Militärschlag auch eine unmittelbare und sogar entscheidende ökonomische Dimension.

Das Dumme ist nur, dass die Sache ein hohes Risiko enthält. Bombardieren die USA nicht, bleibt der Makel mangelnder Zugriffsgewalt eines Weltpolizisten, der zuhause Schläge einstecken muss. Eine bloße Auslieferung bin Ladens ohne die Demonstration eines Militärschlags wäre wahrscheinlich noch zu wenig für eine Rehabilitation. Bombardieren sie aber, dann wird es massenhaft zivile Opfer, Flüchtlinge usw. geben. Im Interesse einer Erhaltung des globalen Währungsankers wird man natürlich jedes Menschenopfer in Kauf nehmen.

Allerdings bleibt die Frage, ob die Finanzmärkte diesmal ein Bombardement aus sicherer Höhe als den »Sieg« akzeptieren, der unbedingt her muss. Angesichts der qualitativ neuen, nicht mehr allein staatlich zu definierenden Feindlage muss vielleicht auch die Fähigkeit zum infantristischen Zugriff bewiesen werden, was bekanntlich in den Bergen Afghanistans mit einem Desaster enden kann - ganz abgesehen von der Gefahr politisch-militärischer Kettenreaktionen im »islamischen Krisenbogen« von Pakistan bis Mauretanien.

Der Schuss kann also nach hinten losgehen, und die weltwirtschaftliche Spätzündung des Terrorschlags als Auslöser des fälligen Finanzcrashs kann noch kommen. Die von der stummen, nicht verhandlungsfähigen Logik des Finanzkapitals getriebenen Akteure lauern auf die Reaktion der USA, bereit zur Flucht in den Abgrund wie zum vorläufigen Aufatmen.



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