Freie Zeit

von Karl Marx am 16. Juni 2003 07:29:18:

Freie Zeit
„Es versteht sich von selbst, dass die Arbeitszeit ... Basis der frei verfügbaren Zeit (ist) ...“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, 253.

„Arbeitszeit ... bleibt immer die schaffende Substanz des Reichtums und das Maß des Aufwandes, der seine Produktion verlangt. Aber freie Zeit, verfügbare Zeit, ist der Reichtum selbst - teils zum Genuss der Produkte, teils zur freien Tätigkeit, die nicht wie die Arbeit durch den Zwang eines äußeren Zwecks bestimmt ist, der erfüllt werden muss...“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, 253.

1. Das Kapital verwandelt (fast) alle Lebenszeit der Lohnarbeiter in Arbeitszeit, um die gesamte Lebenszeit der Kapitalisten in Freizeit zu verwandeln
Tatsache ist, „dass der Mensch nicht seine ganze Zeit braucht zur Produktion seiner Lebensbedürfnisse, dass er über die zum Lebensunterhalt notwendige Arbeitszeit hinaus freie Zeit zur Verfügung hat, also auch zur Mehrarbeit anwenden kann.“ Marx, Grundrisse, 535.

Aber: „Es ist keineswegs der Entwicklungsgang der Gesellschaft, dass, weil Ein Individuum seine Not befriedigt hat, es nun seinen Überfluss schafft;
sondern weil Ein Individuum oder eine Klasse von Individuen gezwungen wird, mehr zu arbeiten als zur Befriedigung seiner Not nötig - weil Mehrarbeit auf der einen Seite geschaffen wird - wird Nichtarbeit und Überflussreichtum auf der anderen geschaffen.
Der Wirklichkeit nach existiert die Entwicklung des Reichtums nur in diesen Gegensätzen.“ K. Marx, Grundrisse, 305, Anmerkung.

“In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I. MEW 23, 552.

„Die Schöpfung von viel freier Zeit außer der notwendigen Arbeitszeit für die Gesellschaft überhaupt und jedes Glied derselben ... diese Schöpfung von Nicht-Arbeitszeit erscheint auf dem Standpunkt des Kapitals, wie aller früheren Stufen, als Nicht-Arbeitszeit, freie Zeit für einige.“ K. Marx, Grundrisse, 595.

„Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten, dem Arbeiter abgepresst wird, unterscheidet die ökonomischen Gesellschaftsformationen, z. B. die Gesellschaft der Sklaverei von der Lohnarbeit.“ K. Marx, Kapital I, 231.

„Der Arbeiter braucht nur einen halben Arbeitstag z.B. zu arbeiten, um einen ganzen zu leben; ... Der Kapitalist, indem er ... den ganzen Arbeitstag sich aneignet, ... schafft so den Mehrwert seines Kapitals - im vorausgesetzten Fall einen halben Tag vergegenständlichte Arbeit.“ K. Marx, Grundrisse, 239.

„Der Arbeitstag ist also keine konstante, sondern eine variable Größe. Einer seiner Teile ist zwar bestimmt durch die zur beständigen Reproduktion des Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine Gesamtgröße wechselt mit der Länge oder Dauer der Mehrarbeit. ...
Allerdings ... erhalten wir eine Minimalschranke, nämlich den Teil des Tags, den der Arbeiter notwendig zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muss. Auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise kann ... der Arbeitstag sich ... nie auf dies Minimum verkürzen. (Weil dann die Mehrarbeitszeit, die Existenzgrundlage des Kapitals fehlte. wb)
Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er ist über eine gewisse Grenze hinaus nicht verlängerbar. Diese Maximalschranke ist doppelt bestimmt.
Einmal durch die physische Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann während des natürlichen Tags von 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben. ... Während eines Teils des Tages muss die Kraft ruhen, schlafen, während eines anderen Teils hat der Mensch andere physische Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu nähren, reinigen, kleiden usw.
Außer dieser rein physischen Schranke stößt die Verlängerung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedürfnisse, deren Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind.
Die Variation des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb physischer und sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber elastischer Natur und erlauben den größten Spielraum.“ K. Marx, Kapital I, 246.

„Der Kapitalist behauptet sein Recht als Käufer (der Arbeitskraft), wenn er den Arbeitstag so lang als möglich... zu machen sucht. Andrerseits schließt die spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums durch den Käufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkäufer (der Arbeitskraft), wenn er den Arbeitstag auf eine bestimmte Normalgröße beschränken will.
Es findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmäßig durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstags als Kampf um die Schranken des Arbeitstags dar - ein Kampf zwischen dem Gesamtkapitalisten, d. h. der Klasse der Kapitalisten, und dem Gesamtarbeiter oder der Arbeiterklasse.“ K. Marx, Kapital I, 249.

1.1 Neben ständigen Versuchen, den Arbeitstag der aktiven Arbeiter zu verlängern, reduziert das Kapital durch Technologieverbesserungen die Arbeitszeit, die für ein bestimmtes Produkt oder eine einzelne Dienstleistung zu leisten ist, auf ein Minimum und schafft so sowohl das Arbeitslosenheer wie auch die materielle Grundlage für eine gesellschaftliche Minimierung der Arbeitszeit.

„Es liegt in der Natur des Kapitals, einen Teil der Arbeiterbevölkerung zu überarbeiten und einen anderen (durch Arbeitslosigkeit) zu verarmen.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26.3, 300.

Durch Anwendung arbeitssparender Technologie „wird in der Tat das Quantum zur Produktion eines gewissen Gegenstandes nötige Arbeit auf ein Minimum reduziert, aber nur, damit ein Maximum von Arbeit in dem Maximum solcher Gegenstände verwertet werde.
Die erste Seite ist wichtig, weil das Kapital hier - ganz unabsichtlich - die menschliche Arbeit auf ein Minimum reduziert, die Kraftausgabe. Dies wird der emanzipierten Arbeit zugute kommen und ist die Bedingung ihrer Emanzipation.“ K. Marx, Grundrisse, S. 589.

„Das Kapital ... ist so... Instrument zur Schaffung der Möglichkeiten von gesellschaftlich verfügbarer Zeit, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduzieren, und so die Zeit aller frei für ihre eigene Entwicklung zu machen.
Seine Tendenz ist aber immer, einerseits verfügbare Zeit zu schaffen, andererseits diese in Mehrwertproduktion zu verwandeln. Gelingt ihm das ... zu gut, so leidet es an Überproduktion und dann wird die notwendige Arbeit unterbrochen, weil keine Mehrarbeit vom Kapital verwertet werden kann.
Je mehr dieser Widerspruch sich entwickelt, um so mehr stellt sich heraus, dass das Wachstum der Produktivkräfte nicht mehr gebannt sein kann an die Aneignung fremder Mehrarbeit, sondern die Arbeitermasse selbst ihre Mehrarbeit sich aneignen muss.
Hat sie das getan, - und hört damit die verfügbare Zeit auf, gegensätzliche Existenz zu haben - so wird einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andererseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft so rasch wachsen, dass... die verfügbare Zeit aller wächst. Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die verfügbare Zeit das Maß des Reichtums.“ K. Marx, Grundrisse, 595f.

2. In einer emanzipierten Gesellschaft selbstbestimmter Individuen kann die Arbeitszeit maximal verkürzt werden, einmal durch Verteilung der Arbeit auf Alle, andererseits durch Steigerung der Produktivität.
„Erst die durch die große Industrie erreichte ungeheure Steigerung der Produktivkräfte erlaubt, die Arbeit auf alle Gesellschaftsmitglieder ohne Ausnahme zu verteilen und dadurch die Arbeitszeit eines jeden so zu beschränken, dass für alle hinreichend freie Zeit bleibt, um sich an den allgemeinen Angelegenheiten der Gesellschaft - theoretischen wie praktischen - zu beteiligen. Erst jetzt also ist jede herrschende und ausbeutende Klasse überflüssig, ja ein Hindernis der gesellschaftlichen Entwicklung geworden...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 169.

„Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine Gesellschaftsschicht die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- und einer andren Schicht zuwälzen kann.
Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit.“ K. Marx, Kapital I, 552.

„Wenn alle arbeiten müssen, der Gegensatz von Überarbeiteten und Müßiggängern wegfällt - und dies wäre jedenfalls die Konsequenz davon, dass das Kapital aufhörte zu existieren, ... - und außerdem die Entwicklung der Produktivkräfte, wie das Kapital sie hervorgebracht hat, in Betracht gezogen wird, so wird die Gesellschaft den nötigen Überfluss in 6 Stunden produzieren, mehr als jetzt in 12, und zugleich werden alle 6 Stunden ‚Freizeit’, den wahren Reichtum haben; Zeit, die nicht durch unmittelbar produktive Arbeit absorbiert wird, sondern zum Genuss, zur Muße, so dass sie zur freien Tätigkeit und Entwicklung Raum gibt.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III., MEW 26.3, 252.

Seitdem Marx diese Gedanken niedergeschrieben hat, ist die Arbeitsproduktivität unter der Herrschaft des Kapitals rund um das 30fache gesteigert worden. Wären wir selber und nicht die Kapitalisten Herr über unsere Arbeitszeit und wären wir mit dem Lebensstandard von 1850 zufrieden, dann müsste jeder von uns weniger als 2 Stunden in der Woche arbeiten. Für den Lebensstandard von 1900 müssten wir alle weniger als 3 Stunden in der Woche arbeiten usw. wb.

„Die wirkliche Ökonomie - Ersparung - besteht in Ersparung von Arbeitszeit; ...
diese Ersparung ist aber identisch mit Entwicklung der Produktivkraft.
Also keineswegs Entsagen vom Genuss, sondern Entwickeln von ... Fähigkeiten zur Produktion und daher sowohl der Fähigkeiten, wie der Mittel des Genusses. Die Fähigkeit des Genusses ist Bedingung für die Entwicklung der Fähigkeit zur Produktion...
Die Ersparung von Arbeitszeit ist gleich Vermehren der freien Zeit, d.h. Zeit für die volle Entwicklung des Individuums...
Die freie Zeit - die sowohl Mußezeit als Zeit für höhere Tätigkeit ist - hat ihren Besitzer natürlich in ein anderes Subjekt verwandelt und als dies andere Subjekt tritt er dann auch in den unmittelbaren Produktionsprozess.“ K. Marx, Grundrisse, 599.

„Die freie Entwicklung der Individualitäten, und daher ... die Reduktion der notwendigen Arbeit der Gesellschaft zu einem Minimum, der dann die künstlerische, wissenschaftliche etc. Ausbildung der Individuen durch die für sie alle freigewordene Zeit und geschaffenen Mittel entspricht.“ K. Marx, Grundrisse, 593.

„Der wirkliche Reichtum der Gesellschaft und die Möglichkeit beständiger Erweiterung ihres Reproduktionsprozesses hängt ... nicht ab von der Länge der Mehrarbeit, sondern von ihrer Produktivität und von den mehr oder minder reichhaltigen Produktionsbedingungen, worin sie sich vollzieht.
Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.
Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen.
Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur am würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.
Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.“ K. Marx, Kapital III. MEW 25, 828.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 6.12.2001





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