http://www.proletarische-briefe.de/artikel?id=38 Proletarische Briefe: Multitude im Empire: Befreiung als Ideologie – Kritik der Befreiungsphilosophie von Michael Hardt und Antonio Negri

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Politik

Multitude im Empire: Befreiung als Ideologie – Kritik der Befreiungsphilosophie von Michael Hardt und Antonio Negri

Zwei „affektiv“ arbeitende Professoren, Michael Hardt, amerikanischer Literaturprofessor an der Duke Universität und Antonio Negri, ein politischer Philosoph aus Italien, machen den Unterdrückten und Ausgebeuteten eine Reihe netter Komplemente:
Eure Kämpfe, sagen sie, waren erfolgreich, denn die Sache, für die ihr eintratet, hat sich trotz eurer Niederlagen durchgesetzt.Durch eure einstigen Kämpfe habt ihr dazu beigetragen, dass sich die Arbeitswelt grundlegend wandelt. Ihr seid keine lohnabhängigen Fabrikarbeiter mehr sondern stattdessen selbständige, flexible und kreative Dienstleister, Multitudes, wie ich euch nennen werde. Ihr verrichtet immaterielle Arbeit mit der Besonderheit, dass das fremde Privateigentum an Produktionsmitteln technisch keine Rolle mehr spielt. Ihr seid ökonomisch bereits emanzipiert und müsst nur noch die politische Befreiung, eine „globale Demokratie“, durchsetzen. Der Leser wird in diesem Aufsatz erfahren, dass die politische Befreiung eine ungewisse Angelegenheit bleibt, während die soziale Befreiung schon gar nicht mehr nötig ist. Endlich im Empire angekommen, ist die Arbeit von jeder unmittelbaren Fessel befreit. Postmoderne ‚Multitudes' können deshalb keine revolutionären Subjekte mehr sein.
Sie sind kleinbürgerliche Liberale geworden, bei denen die soziale Befreiung keine Rolle mehr spielt und denen es lediglich darum gehen kann, mehr Demokratie zu wagen. Ihr Projekt, das „Projekt der Multitude“, wie Hardt/Negri es gern nennen möchten, drückt nur noch den „Wunsch nach Freiheit und Gleichheit“ aus und „verlangt eine offene und alle einbeziehende demokratische globale Gesellschaft.“ (Multitude, S. 7) Das freie Unternehmertum wird durch die umfassende affektive Arbeit der beiden Gelehrten in ein kommunistisches Netzwerk verfälscht. Sie mystifizieren die Verhältnisse, verdrehen die Tatsachen.

Zwei „affektiv“ arbeitende Professoren, Michael Hardt, amerikanischer Literaturprofessor an der Duke Universität und Antonio Negri, ein politischer Philosoph aus Italien, machen den Unterdrückten und Ausgebeuteten eine Reihe netter Komplemente: Eure Kämpfe, sagen sie, waren erfolgreich, denn die Sache, für die ihr eintratet, hat sich trotz eurer Niederlagen durchgesetzt, wenngleich unter anderem Namen. Die Entstehung des heutigen Empire ist eine Antwort auf den „proletarischen Internationalismus“.
Natürlich habt auch ihr etwas davon. Zwar unterwirft das Empire euch unter seine Herrschaft, hat seine Macht in eure Herzen und Körper gepflanzt und eine „Kontrollgesellschaft“ errichtet, beutet euch in seinen Netzwerken aus, jedoch im Vergleich zum früheren Imperialismus ist diese globale Macht ein Fortschritt, indem sie neue Bedingungen der Befreiung schafft.
Durch eure einstigen Kämpfe habt ihr dazu beigetragen, dass sich die Arbeitswelt grundlegend wandelt. Ihr seid keine lohnabhängigen Fabrikarbeiter mehr sondern stattdessen selbständige, flexible und kreative Dienstleister, Multitudes, wie ich euch nennen werde. Ihr verrichtet immaterielle Arbeit mit der Besonderheit, dass das Privateigentum an Produktionsmitteln technisch keine Rolle mehr spielt. Ihr seid ökonomisch bereits emanzipiert und müsst nur noch die politische Befreiung, eine „globale Demokratie“, durchsetzen. Völlig legal und auf dem üblichen Operationsfeld globaler Netzwerke könnt ihr nach und nach ein Gegen-Empire mit „kommunistischen Netzwerken“ errichten. „Globalisierer aller Länder vereinigt euch“, sollte eure Losung lauten, wenn ihr gegen die „negativen Kräfte der Globalisierung“ kämpft.
Fangt endlich an, fordern ungeduldig Michael Hardt und Antonio Negri sowohl in ihrem Buch „Empire. Die neue Weltordnung“ (nachfolgend zitiert als „Empire“) als auch in dem Nachfolgeband „Multitude. Krieg und Demokratie im Empire“ ( zitiert als „Multitude“).
Bevor wir die praktischen Ratschläge der beiden gelehrten Herren befolgen und uns voller Tatendrang und Freude in die Welt der Netzwerke einloggen, um die ersehnten kommunistischen Gemeinschaften endlich aufzubauen, sollten wir besser einen kritischen Blick auf diese „Philosophie der Befreiung“ werfen. Denn wir möchten doch gern verhindern, dass wir auf einen falschen Ratschlag hereinfallen, von denen es leider sehr viele gibt. Wir gönnen uns und dem Leser keinen Augenblick der Selbsttäuschung. Auch wenn Hardt/Negri „Bestseller der Linken“ schreiben, bedeutet dies längst nicht, dass sie auch die richtige Sache über die Befreiung verkünden. Schon zu oft wurde kapitalistische Lohnsklaverei verharmlost, verfälscht oder gar als Befreiung umgedeutet. Sehen wir uns deshalb genau die neuen „revolutionären Subjekte“ an, die angeblich fröhlich frei kommunistische Gemeinschaften schaffen können. Wer sind die Multitudes, die das Gegen-Empire errichten sollen? Welche Ziele müssen sie gegen wen durchsetzen?
Wir wollen die beiden Gelehrten auf der für sie ungewöhnlichen Reise in die - wie sie es nennen - „verborgenen Stätten der Produktion“ kritisch begleiten, um selbst zu sehen, „welche Gestalten dort am Werk sind“. (Empire, S. 217)


1. Fabrikarbeit als immaterielle Arbeit

Seit dem Mittelalter meinen Hardt/Negri drei ökonomische Paradigmen ausmachen zu können (vgl. Empire, S. 291ff, Multitude, S. 125ff): die beherrschende Stellung der Landwirtschaft, die Dominanz der Industrie und schließlich die der Dienstleistungen. Der Übergang zur Vorherrschaft der Industrie soll den Prozess der Modernisierung, der Wechsel zur beherrschenden Stellung von Dienstleistungen und Information den Prozess der Postmodernisierung charakterisieren. In der Interpretation von Hardt/Negri handelt es sich dabei nicht nur um eine quantitative Verschiebung, sondern vor allem um eine qualitative Veränderung, um einen Wechsel der Hierarchie der Sektoren zueinander . Die Industrie soll in der Postmoderne ihre einstige dominante Stellung eingebüßt haben und unter die Dienstleistungen subsumiert sein.
„Sie (die industrielle Produktion) wurde so informatisiert, sie hat die Kommunikationstechnologie so inkorporiert, dass sich der industrielle Produktionsprozess selbst transformiert (!). Die Fertigung haltbarer (!) Güter wird nun wie eine Dienstleistung (!) angesehen und die materielle Arbeit, die zu ihrer Produktion notwendig ist, vermischt sich mit der immateriellen Arbeit, sie geht selbst in Richtung der neuen immateriellen(!) Arbeitsform.“ (Empire, S. 305)
Der Umdeutung der kapitalistischen Fabrikarbeit in immaterielle Arbeit liegt eine fehlerhafte Auffassung der betrieblichen Kooperation sowie des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital zugrunde. Im tatsächlichen Produktionsprozess stehen die Lohnarbeiter in einem arbeitsteiligen Zusammenhang und sind in unterschiedlicher Weise an der Produktion beteiligt. Die einen verrichten mehr Handarbeit, die anderen Kopfarbeit, die einen stehen sehr fern dem unmittelbaren Arbeitsprozess, sind mit verwaltenden oder vorbereitenden Tätigkeiten (Buchführung, Programmieren, Planung, Organisation etc.) beschäftigt, andere wiederum wirken direkt oder indirekt über die Maschinerie auf den Arbeitsgegenstand ein, um dessen Formen zu verändern.
Die vielfältigen kombinierten Tätigkeiten vergegenständlichen sich im Gesamtprodukt, dem Fabrikat der Fabrik. Jede einzelne Tätigkeit bildet dabei ein Glied des Gesamtarbeiters.
Hardt/Negri lösen diesen Gesamtarbeiter auf. Sie verselbständigen die Teilfunktionen, indem sie die verschiedenen Glieder des Gesamtarbeiters in ein Netzwerk von Produktion und Zirkulation auseinander reißen. In diesem Netzwerk erscheinen die kombinierten Tätigkeiten nicht mehr unmittelbar subsumiert unter das Kapital, sondern als selbständige Tätigkeiten, als die Tätigkeit von Selbständigen, die nicht länger als abhängige Lohnarbeiter zusammenwirken. In diesem Selbstkonstruierten, sich zurecht gelegten Produktionsprozess kauft dann der Fabrikant nicht mehr die verschiedenen individuellen Arbeitskräfte, um sie für seine Zwecke als gesellschaftliche Produktivkraft wirken zu lassen, sondern er kauft die jeweilige Arbeit als Gebrauchswert, kauf also den Nutzeffekt oder den Dienst, den er zur Herstellung des Fabrikats benötigt. Er tut dies in vergleichbarer Weise, wie er die nötigen Büro- und Produktionsräume, Maschinen, Rohstoffe und Halbfabrikate erwirbt.
Das Eigentum an solchen materiellen Voraussetzungen der Produktion wird allerdings durch den Begriff „immaterielle Arbeit“ heruntergespielt. Denn der behauptete Wandel der Fabrikarbeit hin zur immateriellen Arbeit bedeutet in letzter Konsequenz eine Entgegenständlichung der Arbeit, eine Beseitigung der materiellen Voraussetzungen der Produktion. In dieser Wunderökonomie wären Gebäude, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstände überflüssig. All solche materiellen Dinge braucht eine immaterielle Arbeit nicht, die sich gerade in keinem gegenständlichen Verhältnis dazu verhalten darf, will sie ihren immateriellen Charakter nicht verlieren. Wir werden später sehen, wie Hardt/Negri das Privateigentum noch in anderer Weise aus der kapitalistischen Welt herauskatapultieren, so dass im Empire die eigentliche soziale Frage, die die Arbeiterklasse seit Jahrhunderten quält, als ein für allemal erledigt erscheint.
Die Umdeutung der konkret nützlichen Lohnarbeiten in selbständige Dienste ändert die spezifisch gesellschaftliche Form des Arbeitsprozesses. Hier ist entscheidend, ob der Fabrikant die Arbeitskraft kauft und dann nur den Wert der Arbeitskraft, d. h. den Lohn, nicht jedoch den Wert bezahlt, den die Arbeit tatsächlich unter seinem Kommando schafft, oder ob er statt der Arbeitskraft den Dienst eines selbständigen Dienstleisters kauft. Im ersten Fall ist der Arbeitsprozess ein kapitalistischer Produktionsprozess, bildet die Verwertung des als Kapital vorgeschossenen Werts den Zweck, im zweiten Fall handelt es sich um eine einfache Warenproduktion selbständiger Dienstleister. Im ersten Fall tauscht sich die Arbeitskraft gegen (variables) Kapital, im zweiten Fall dient das Geld als bloßes Kaufmittel für Dienste, ohne tatsächlich als Kapital zu fungieren.
Dieser Formunterschied muss sich natürlich in der Einkommensrechnung des Fabrikanten niederschlagen. Kauft er Dienste, dann bezahlt er deren Tauschwerte. Wie der Tauschwert anderer Waren bestimmt sich dieser Tauschwert durch den Wert der im Dienstleistungsprozess verbrauchten Produktionsmittel plus den Wert, den die Arbeit des Dienstleisters neu schafft. Unter der Annahme des Äquivalententauschs wird der selbständige Dienstleister also vollständig bezahlt, erhält in voller Höhe den Wert zurück, den er als Dienst erbracht hat. Auf der anderen Seite erhält der Fabrikant für das Geld, das er für den Kauf des Dienstes verausgabt hat, einen gleich großen Wert in Form der Dienstleistung zurück, der als eigenständiger Wertbestandteil in den Preis des Fabrikats eingeht.
Das Netzwerk selbständiger Dienste, in das Hardt/Negri die postmoderne Fabrikarbeit verfälscht haben, endet mit der Wegdefinition des Unternehmers als Aneigner von Mehrwert. Ein solcher Überschuss kann nun nicht mehr anfallen, da der Wert der gekauften Waren (Dienste, Rohstoffe, Halbfabrikate etc.) exakt dem Gesamtwert des Fabrikats entspricht, so dass sich das Geschäft für den Fabrikanten überhaupt nicht mehr lohnt. Kein müder Euro bleibt übrig, es sei denn, der Fabrikant selbst hat sich als Dienstleister wirklich nutzbar gemacht. Dann erhält er aber lediglich den Wert, den er als Dienstleister zuvor geschaffen hatte.
In der wirklichen kapitalistischen Ökonomie wird sich kein Fabrikant auf eine derartige Dienstleisterei einlassen. Er wird statt der Dienste lieber die Arbeitskräfte selbst kaufen, die ihm einen ganz besonderen Dienst verrichten. Dieser besteht allein darin, dass er die Arbeiter täglich beispielsweise acht Stunden arbeiten lässt und vermittelt über den Lohn tatsächlich vielleicht den Gegenwert von nur einer Stunde bezahlt. Die daraus entstehende Wertdifferenz (Mehrwert) zwischen dem neu produzierten Wert und dem Lohn eignet sich der Unternehmer als Überschuss über seine Kosten, d. h. als Profit an. Diese Gratisbereicherung bildet den Grund dafür, warum mit der Fortentwicklung der kapitalistischen Gesellschaft die Dienste tendenziell in Lohnarbeit verwandelt werden, also dem Kapital als neue Anlagesphäre dienen.
Hardt/Negri haben in ihrer Netzwerkökonomie das spezifische Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital unkenntlich gemacht. Sie schmuggeln eine neue gesellschaftliche Form hinein, die der kleinen, selbständigen Warenproduzenten. Sie benutzen dabei den Netzwerkgedanken und die gängigen Vorstellungen von der Dienstleistungsgesellschaft, um die Lohnarbeit in Dienste umzumünzen. Sie erzeugen den falschen Schein bereits freier Arbeit, um dahinter die bittere Lohnknechtschaft zu verbergen. Der Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital wird schlicht wegdefiniert, so dass sich die einstigen Konflikte in Harmonie auflösen. Statt Aufklärung betreiben sie Vernebelung, beschönigen sie die Verhältnisse, produzieren sie Ideologie, verwirren sie die Unzufriedenen, lenken sie notwendige emanzipatorische Aktivitäten auf illusorische Pfade.
Die Umdeutung der Lohnarbeit in Dienste wird nicht nur für die Fabrikarbeit sondern generell vorgenommen, so dass aus allen Diensten, die Hardt/Negri im Weiteren unterscheiden, die spezifische Form der Lohnarbeit heraus fällt.


2. Weitere Typen der immateriellen Arbeit: Symbolisch analytische Dienstleistungen und affektive Arbeit

Wichtiger als die „informalisierte industrielle Produktion“ sollen zwei weitere Typen der immateriellen Arbeit sein: Die mit „höherer Wertschöpfungskraft“ ausgestatteten, dem Computer angelehnten symbolisch analytischen Dienste, mit den Aufgabengebieten Problemerkennung, Problemlösung und strategische Makleraktivitäten. „Diese Art immaterieller Arbeit bringt Ideen, Symbole, Codes, Texte, sprachliche Figuren, Bilder und Ähnliches hervor“. (Multitude, S. 126) Die Krönung aller Arbeiten soll aber die „affektive Arbeit“ sein, die sich auf die „Herstellung von zwischenmenschlichen Kontakten und Interaktionen“ (Persönliche Dienstleistungen, fürsorgliche Arbeit, Gesundheitsdienste, Unterhaltungsindustrie und verschiedene andere Kulturindustrien) bezieht und ein „Gefühl des Behagens, des Wohlergehens, der Befriedigung, der Erregung oder der Leidenschaft“ vermitteln würde. (Multitude, S. 126ff) Bereits bei dieser allgemeinen Bestimmung zeigt sich, wie weit das Feld der affektiven Arbeit reichen muss, wenn man sie ohne Rücksicht auf die tatsächliche Erwerbsarbeit entlang reproduktiver Tätigkeiten zu bestimmen versucht.
Der Umfang des Arbeitsbegriffs, der darin angedeutet ist, wird uns im nächsten Kapitel noch beschäftigen. Zunächst werfen wir einen Blick auf die Wertschaffende Seite. Die affektive Arbeit nimmt einen bevorzugten Platz ein: „Tatsächlich ist die affektive Arbeit als eine Komponente der immateriellen Arbeit in eine dominante Position mit höchster Wertschöpfung innerhalb der gegenwärtigen informationellen Ökonomie eingerückt“. Warum dies so sein soll, erfahren wir nicht. Nirgends in ihrem Buch haben Hardt/Negri die Wertschöpfung und ihre Quellen thematisiert.
Das Argument von der besonderen Wertschöpfungskraft affektiver Arbeit rechtfertigt die hohen Einkommen, die dort teilweise verdient werden. Wer viel bekommt, scheint auch viel geleistet zu haben. Da fallen einem natürlich nicht nur die Autoren ein, die affektive Arbeit auf besonders „hohem Niveau“ ausüben, indem sie die intellektuelle „Menge“ mit ihren Einfällen unterhalten und sie „biopolitisch“ herrichten, sondern ebenso die Politiker, die hochbezahlten Unterhalter der Gesellschaft, das Show- und Sportbusiness. Die Herren Professoren sprechen für andere und in eigener Sache. Dabei sind sie keinesfalls originell, auch wenn ihre Gedankenlosigkeit überraschen muss, mit der sie die besondere Wertschöpfungskraft behaupten, ohne sich um eine Erklärung zu bemühen.
Bereits vor etwa 150 Jahren schrieb Karl Marx in Anlehnung an den Vater der politischen Ökonomie, Adam Smith, das Nötige zu den „zweitrangigen Burschen“ seiner Zeit, zu den „schulmeisterlichen Kompilatoren“ und „schönschreibenden Dilettanten“, denen es nur darum gehen würde, den Unterschied von produktiver und unproduktiver Arbeit zu verwischen, um ihr Parasitentum zu vernebeln.
„Der großen Masse sogenannter ‚höherer' Arbeiter – wie der Staatsbeamten, Militärs, Virtuosen, Ärzte, Pfaffen, Richter, Advokaten usw. -, die zum Teil nicht nur nicht produktiv sind, sondern wesentlich destruktiv, aber sehr großen Teil des ‚materiellen' Reichtums teils durch Verkauf ihrer ‚immateriellen' Waren, teils durch gewaltsame Aufdrängung derselben sich anzueignen wissen, war es keineswegs angenehm (...) bloß als Mitkonsumenten, Parasiten der eigentlichen Produzenten (oder vielmehr Produktionsagenten) zu erscheinen (...). Es war also Zeit (...), die ‚Produktivität' aller nicht direkt unter die Agenten der materiellen Produktion eingeschlossenen Klassen anzuerkennen. (...) Sowohl die Nichtstuer als ihre Parasiten mussten ihren Platz in der besten Weltordnung finden.“
Eine Hand wäscht die andere: Der Ideologe wertet die Parasiten der Gesellschaft zum wertvollsten und unverzichtbaren Teil der Gesellschaft auf, dafür räumen ihm seine Schützlinge als Gegenleistung Privilegien, wie hohes Gehalt, Anerkennung, komfortable Lebensumstände ein. Für eine Philosophie der Befreiung kann eine solche Kumpanei natürlich nur als schlechtes Omen für eine wirkliche Emanzipation gewertet werden. Statt, wie erforderlich, die Gegensätze der bürgerlichen Welt klar zu formulieren, um sie dann in dieser Offenheit unerträglich werden zu lassen, verlangt das Treueverhältnis, die Gegensätze wegzureden, sie zu vernebeln. Diese „affektive Arbeit“ verrichten sie auf „biopolitisch“ hohem Gelehrten-Niveau.
Hatten Hardt/Negri zunächst den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital weggeredet, indem sie die Lohnabhängigen in harmonisch miteinander kooperierende Dienstleister ummünzten, so verwandeln sie nun parasitäre Tätigkeiten in produktive und dazu die höher bezahlten in besonders produktive Arbeit. Herrschafts- und Ideologiefunktionen sind dann Arbeiten von höchster Wertschöpfungskraft. Solche Tätigkeiten erscheinen als besondere Sparten gesellschaftlicher Produktion und deshalb als ebenso an der Reichtumsproduktion der Gesellschaft beteiligt wie die Tätigkeiten der Maurer, Bäcker, Autobauer etc.


3. Affektive Arbeit, Biomacht, Empire

Hardt/Negri verleihen der affektiven Arbeit einen doppelten Charakter: Auf der einen Seite ist sie, wie sie meinen, „direkt produktiv für das Kapital“, indem sie die Formen der Biomacht produziert und damit für die Reproduktion des gesamten Empire sorgt, auf der anderen Seite liefert sie das Potenzial für eine Subversion, sowie für einen „elementaren Kommunismus“. Zunächst soll die System-Erhaltende Kraft der affektiven Arbeit analysiert werden.
Den Begriff der Biomacht haben Hardt/Negri vom französischen Strukturalisten Michel Foucault übernommen. Anknüpfend an die Interpretationen von Gilles Deleuze verbinden sie die Postmodernisierung mit dem Übergang von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft. Danach sei die Fabrikgesellschaft der Moderne eine Disziplinargesellschaft gewesen, in der Institutionen der äußeren Disziplin (Schule, Gefängnisse etc) nötig waren. In der heutigen Postmoderne sei diese Disziplin vorwiegend internalisiert, sei zu einer Art inneren Antriebs geworden, der von unserem Willen ununterscheidbar, unserer Subjektivität immanent und ihr somit untrennbar verbunden ist.
„Macht drückt sich als Kontrolle aus, die Bewusstsein und Körper der Bevölkerung(!) und zur gleichen Zeit die Gesamtheit(!) sozialer Beziehungen durchdringt“ (Empire, S. 39)
Die Macht soll also in uns selbst stecken, wir reproduzieren sie stumm und unbewusst durch die affektive Arbeit. Sie versklavt uns alle, gleichgültig, welche Stellung der einzelne in der Gesellschaft einnimmt. Hardt/Negri sprechen deshalb nicht ohne Grund von „Bevölkerung“ und verzichten im Zusammenhang mit dem Begriff Macht, einen Klassenbezug herzustellen.
Als anonyme, blind wirkende Macht besitzt die Biomacht keinen besonderen Träger, keinen Nutznießer, in dessen Interesse die Machtmaschine funktionieren soll. Sie ist klassenlos, gesichtslos. Sie steht, wie dies Hardt/Negri in „Multitude“ formulieren, „über der Gesellschaft, transzendiert, als souveräne Gewalt, und zwingt ihr ihre Ordnung auf“ (Multitude, S. 114). Die Macht ist zum Subjekt geworden und subsumiert alle Personen unterschiedslos unter sich.
Dass hier die herrschende Klasse unsichtbar gemacht wird, korrespondiert mit dem Begriff der Arbeit: Beseitigt man nämlich die Lohnarbeit als besondere historische Form der Arbeit, dann muss das dazugehörende unmittelbares Kapitalverhältnis ebenfalls ausgelöscht sein, dann existiert natürlich auch kein Funktionär des Kapitals, der die Arbeit unmittelbar für sich verwertet.
Es passt deshalb zum Konzept der Biomacht, wenn Hardt/Negri dem Kapital eine merkwürdig abstrakte Rolle zuweisen. Das Kapital spielt keine tatsächliche Rolle im Produktionsprozess, es hat keine Lohnarbeit nötig, es gliedert die Gesellschaft nicht nach Klassen, zerreißt sie also auch nicht in die spezifisch kapitalistischen Widersprüche und Gegensätze. Hardt/Negri reduzieren das Kapital auf eine externe, globale Macht, die im Weltmarkt zu stecken scheint. In diesem Zusammenhang unterstellen sie Marx eine verworrene Ansicht, wonach das Kapital nicht die Arbeit sondern die gesamte Gesellschaft unter sich subsumieren würde.
„Die Entstehung der globalen Kontrollgesellschaft, die die Einkerbungen der Nationalgrenzen glättet, geht mit der Verwirklichung des Weltmarktes(!) und der globalen reellen Subsumtion der Gesellschaft(!) unter das Kapital Hand in Hand“. (Empire, S. 341) Sämtliche Glieder der Gesellschaft, alle Menschen also, werden gleichermaßen unter das Kapital subsumiert, gehören demnach zu den Beherrschten, den Ausgebeuteten, sind also Opfer ein und derselben Macht, so dass an eine Klassengesellschaft nicht mehr zu denken ist.
Wie eine Macht ohne menschliche Träger, in deren Interessen sie wirkt, existieren kann, und wie sie in dieser unpersönlich, abstrakten Gestalt das Werk verrichten soll, eine Gesellschaft unter sich zu subsumieren, bleibt ein unausgesprochenes Geheimnis. Das Kapital herrscht, ohne Herrscher, es übt Macht über andere aus, ohne dass es Personen gibt, die die Macht für ihre Zwecke einsetzen. Die Macht erhält einen überirdischen Charakter; die Mächtigen, die davon profitieren, entschwinden ins Metaphysische, sind unangreifbar gemacht für diejenigen, die sich davon befreien wollen.
Historisch gesehen ist die These falsch, die postmoderne Kontrollgesellschaft sei ein Kind des Weltmarktes bzw. der Subsumtion unter das Kapital. Weltmarkt und Subsumtion der Arbeit unter das Kapital charakterisieren die gesamte kapitalistische Epoche und eignen sich schon deshalb nicht dazu, den Grund für die gegenwärtige, als postmodern deklarierte Phase zu liefern. Wie sollte das postmoderne Empire durch Ereignisse hervorgebracht worden sein, die gerade nicht typisch für diese Phase sind?
Hardt/Negri teilen die in der Globalisierungsdebatte weit verbreitete These, wonach der globale Weltmarkt und ein dem Begriff nach „grenzenloses Kapital“ die Globalisierung erzwingen und den Nationalstaat als exogene Barriere einer an sich globalen Ökonomie tendenziell beseitigen würden. Während der Imperialismus der Moderne den „freien Fluß des Kapitals, der Arbeitskraft wie der Waren blockierte“, hätte sich im heutigen Empire der Weltmarkt in Gestalt einer ihm adäquaten Globalität der Ökonomie durchgesetzt und die Trennung von „Innen“ und „Außen“ beseitigt. Durch den „globalisierten Kapitalfluss“ sei ein „Niedergang nationalstaatlicher Macht“ eingeleitet, wobei die staatliche Souveränität allerdings nicht verschwinden würde, sondern eine geheimnisvolle Liaison mit der Macht des Kapitals eingehe und dann als „Machtmaschine“ die Gesellschaft beherrsche und durchdringe. „Die volle Entfaltung des Weltmarktes ist das Ende des Imperialismus“ (Empire, S. 342)
Dass hier der Charakter des Kapitals nicht verstanden wird, dass man die notwendigen territorialen Bindungen vor allem des fixen Kapitals und die damit einhergehende räumliche Fokussierung der Interessen ausklammert, dass man schließlich das Kapital mehr als Ding und nicht als ein gesellschaftliches Verhältnis – nicht nur als Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital sondern zusätzlich als ein äußeres Verhältnis der Kapitale gegeneinander – ansieht, wurde an anderer Stelle im Zusammenhang mit der Kritik der Globalisierungsthese ausführlich entwickelt und durch eine positive Darstellung des Zusammenhangs von Nationalökonomie und Staat ergänzt (Vgl. Guenther Sandleben, Nationalökonomie und Staat, VSA-Verlag 2003).
Die These vom Ende des Nationalstaats steht im Widerspruch zur tatsächlichen Entwicklung. Weder haben die Nationalstaaten ihre Souveränität verloren, noch ist deren Zahl geschrumpft. Im Gegenteil: Hardt/Negri hätte auffallen müssen, dass gerade mit der Einführung kapitalistischer Verhältnisse in Osteuropa neue Nationalstaaten entstanden und dass größere einheitliche Wirtschaftsgebiete wie die Sowjetunion oder Jugoslawien volkswirtschaftlich zerstückelt worden sind. Nationalstaat und Kapitalverhältnis scheinen also einander zu entsprechen.
Hardt/Negri interpretieren den Weltmarkt als globales Netzwerk, worin die Produktion Knotenpunkte setzt, die durch Kommunikation und Transport miteinander verbunden sind. Sie übersehen - wie schon bei der Fabrikarbeit - die spezifisch gesellschaftliche Seite. Dass Güter und Informationen transportiert werden und dass solche Transport- und Informationswege netzwerkmäßig miteinander verbunden sind, bildet gerade nicht das Spezifische eines Weltmarkts.
Der Weltmarkt ist nicht einfach die Übertragung von Gütern aus der Hand der Produzenten in die der Konsumenten, sondern bildet die notwendige Form, unter der die zunächst privat verausgabte Warenproduzierende Arbeit ihren gesellschaftlichen Charakter erhält. Die Eigenschaft, Arbeit für andere gewesen zu sein, drückt sich erst aus, nachdem sich die Arbeit vergegenständlicht hat, so dass dieser gesellschaftliche Ausdruck nur als ein Verhältnis von fertigen Waren, letztendlich von Ware und Geld, existieren kann. Kauf bzw. Verkauf sind spezifische Aneignungsformen, die aus dem besonderen gesellschaftlichen Charakter Warenproduzierender Arbeit hervorgehen. Das besondere gesellschaftliche Aufeinander-Wirken der kapitalistischen Warenproduzenten erzeugt die anonymen Mächte des Marktes, die dann als fremde, unkontrollierbare Macht den Marktteilnehmern tatsächlich gegenübertritt.
Hardt/Negri nehmen diesen äußeren Schein, die anonyme Marktmacht, und verwandeln ihn in eine „Machtmaschine“ des Empire. Adam Smith' 200 Jahre alte Metapher von der „unsichtbaren Hand der Märkte“ wird nur neu aufgelegt, erhält als Biomacht eine andere Ausdrucksweise und dient in neuem Kostüm als Beweismittel einer neuen Epoche. Und wie die ökonomischen Klassiker und die heutigen Neoliberalen nichts wissen von den Gegensätzen und Widersprüchen des Weltmarktes, so wissen auch Hardt/Negri nichts darüber. Sie kennen deshalb auch keine zyklischen Krisen, worin die Widersprüche und Gegensätze eskalieren und auf diese Weise eine vorübergehende Lösung finden, um sich dann erneut zuzuspitzen. In ihren Netzwerken verläuft die Reproduktion störungsfrei, friedlich, harmonisch.
Die Biomacht haben wir als umfassende Macht kennen gelernt: Sie schafft, verwaltet und kontrolliert die Bevölkerung, sie bringt das gesellschaftliche Leben zustande und lenkt es. Wenn die affektive Arbeit Biomacht produziert und zugleich das Empire reproduziert, dann muss affektive Arbeit ein umfassendes Tätigkeitsspektrum beinhalten. Ein „Innen“ und „Außen“ soll es in einem auf Biomacht gestützten Empire nicht mehr geben, so dass damit zugleich die einstige Trennung von Produktion und Reproduktion, von Ökonomie und Kultur, von Freizeit und Arbeitszeit, von privat und öffentlich beseitigt ist. Affektive Arbeit herrscht deshalb überall: als Hausarbeit, Gebärarbeit, als mütterliche Tätigkeit, sie herrscht im Kindergarten, in der Freizeit, im Biergarten, am Fließband etc. Alle verrichten sie, ob arbeitslos, erwerbstätig oder wohnungslos. Der Begriff der Arbeit verliert sämtliche gesellschaftliche Formbestimmungen.
Hardt/Negri verschleiern nicht nur die Form der Lohnarbeit und mogeln sie in selbständige Tätigkeit um, sie erklären nicht nur die Arbeit der gesellschaftlichen Parasiten als besonders wertvoll, sie vernebeln zusätzlich den Charakter von Erwerbsarbeit, lösen die Arbeit in allgemeine Lebenstätigkeit auf.


4. Zum Klassencharakter der Multitude

Die drei Typen immaterieller Arbeit führen direkt zu deren Trägern, zur Multitude, wie Hardt/Negri diese bunte Menge nennen, die sehr unterschiedliche Dienste verrichtet. Wir wissen bereits, dass diese Multitude aus kleinen selbständigen Dienstleistern besteht. Die eigentliche Lohnarbeit haben Hardt/Negri per Federstrich ausgeräumt, entsprechend verlieren die Produktionsbedingungen ihre kapitalistische Form und sind in der „Neuen Weltordnung des Empire“ nicht länger unmittelbare Verwertungsbedingungen des Kapitals.
Die Eigentumsfrage wurde dabei heruntergespielt. Es schien, als hätten in der Welt „immaterieller Arbeit“ die materiellen Produktionsvoraussetzungen kaum noch Bedeutung.
Wir kommen jetzt zu einem weiteren Punkt, wodurch Hardt/Negri die Eigentumsfrage entschärfen und ihr die einstige Brisanz nehmen. Wiederum liefert die immaterielle Arbeit die Argumente. Nun wird wichtig, dass die immaterielle Arbeit die Kooperation als besonderes Merkmal zu besitzen scheint: „Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbar soziale Interaktion und Kooperation (...) die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent.“ (Empire, S. 305; ausführlich dazu Multitude, S. 168ff) Multitudes produzieren das Gemeinsame, und dieses Gemeinsame dient als Grundlage künftiger Produktion, „eine spiralförmige, sich ausweitende Bewegung.“ (Multitude, S. 222) Das Gemeinsame taucht an beiden Enden der biopolitischen Produktion auf. „Es ist sowohl Endprodukt als auch Vorbedingung der Produktion. Das Gemeinsame ist sowohl natürlich als auch künstlich (…) In diesem biopolitischen Gewebe verknüpft sich die Multitude mit anderen Multituden, und aus den Tausenden von Verknüpfungspunkten, aus den Tausenden von Rhizomen, die diese Produktion der Multitude miteinander verbinden (…) entsteht unausweichlich das Leben der Multitude.“ (Multitude, S. 384)
Der angeblich erst neu entstandene gemeinschaftliche Charakter der immateriellen Arbeit soll rein technisch das souveräne Privateigentum aushöhlen, es in einen nur noch „abstrakten und transzendentalen Begriff“ (Empire, S. 314) verwandeln, dem lediglich „juridische Macht“ aber keine tatsächliche ökonomische Macht mehr zufallen soll. „Privateigentum an Produktionsmitteln ist heute, im Zeitalter der Hegemonie kooperativer und immaterieller Arbeit, nur noch eine längst verfaulte und tyrannische Sache von gestern.“ (Empire, S. 417)
Wir können als besonderes Merkmal festhalten, dass alle Multitudes beliebigen Zugriff auf die Produktionsmittel besitzen, also nicht von diesen getrennt sind. Jeder, der Arbeiten möchte, so die Botschaft, findet Zugang zu den entsprechenden Produktionsbedingungen.
Indem die Multitudes über ihre eigenen Produktionsbedingungen verfügen, sind sie im Großen und Ganzen ökonomisch bereits befreit, und können nur noch durch das Empire jenseits ihrer Arbeit unterdrückt und ausgebeutet werden.
Diese Entfernung von Herrschaft und Ausbeutung aus dem unmittelbaren Produktionsprozess spiegelt nur die Auflösung des Eigentums wider: Verliert nämlich der kapitalistische Privateigentümer sein uneingeschränktes Herrschaftsrecht über die Produktionsbedingungen, dann kann er diese auch nicht mehr als Kapital einsetzen; er verliert die Macht über die Produktion und damit zugleich über die lebendige Arbeit. „Die Menge“, schreiben Hardt/Negri in Abgrenzung zum früheren „Massenarbeiter“ der Moderne, „das ist biopolitische Selbstorganisation.“ (Empire, S. 417; vgl. ähnlich S. 305) - Also bereits Selbstorganisation, nur unter den allgemeinen Bedingungen der imperalen Machtmaschine.
Hardt/Negri haben mit dem Begriff der „Selbstorganisation“ den Unterschied zur kapitalistischen Form der Kooperation herausgestellt. Während in der tatsächlichen kapitalistischen Welt der Unternehmer die individuellen Arbeitskräfte kauft und sie dann unter seiner Regie und Kontrolle für seine Zwecke kooperieren lässt, organisieren im Empire die Produzenten ihre Produktion selbst.
Solche Kooperationsformen werden also nicht mehr durch das Kapital initiiert. „Unternehmertum organisiert sich über die Kooperation von Subjekten und über den ‚General Intellect'“ (Empire, S. 417), wobei darunter die Massenintellektualität verstanden wird, ein Hauptbestandteil der vorrangig intellektuell und kommunikativ geprägten immateriellen Arbeit. Statt dem Verwertungsprozess des Kapitals unterworfen zu sein, verwertet die Multitude ihre Arbeit für sich selbst.
Solche verführerische Mythen wurden bereits im Zusammenhang mit dem „Wandel der Fabrikarbeit“ kritisiert. Sie stimmen einfach nicht mit der kapitalistischen Wirklichkeit überein, die sich keinesfalls vom Privateigentum und der Subsumtion der Arbeit unter das Kapital verabschiedet hat. Die große Masse muss unverändert ihre Arbeitskraft verkaufen, um leben zu können.
Durch Verfälschung der Wirklichkeit leisten Hardt/Negri einen positiven Beitrag zur Herrschaftsideologie, verrichten sie, wie sie es vielleicht nennen mögen, „biopolitische Produktion“. Sie helfen, das bestehende System gegen mögliche Angriffe und Kritik zu schützen.
Hardt/Negri täuschen sich, wenn sie das „kooperative Vermögen der Arbeitskraft“ als etwas Neues, als besondere Eigenschaft der immateriellen Arbeit interpretieren, um daraus dann den Niedergang des Privateigentums abzuleiten. Tatsache ist, dass die Menschen schon immer miteinander kooperierten, geistig wie körperlich, und dass sie dies unter sehr verschiedenen Eigentumsformen taten. Die im großen Maßstab organisierte Kooperation, die es im Mittelalter nur ausnahmsweise gab, bildet schließlich die allgemeine Grundlage kapitalistischer Produktion. Während ihrer Entstehung entwickelte sich das moderne, exklusive Eigentumsrecht erst heraus, das schließlich alle Gemeinschaftsformen, die es im Mittelalter noch besaß, ablegte. Kooperation und die Entstehung des modernen, privatrechtlichen Eigentums gingen damals Hand in Hand. Weshalb sollte das „kooperative Vermögen der Arbeit“ das moderne Privateigentum nun plötzlich wegzaubern?
Schon von ihrem Ursprung her hat die ‚Multitude' nichts mit einer proletarischen Klasse zu tun. Hardt/Negri lassen sie nämlich aus dem Volk entstehen, das seine politische Kohärenz durch die Umwandlung der nationalen Souveränität in die imperale Souveränität verloren haben soll.
Wir haben es bei der Multitude auf der einen Seite nicht mehr mit proletarischen Massen zu tun, die wegen ihrer Trennung von den Produktionsbedingungen gezwungen wären, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und die dann unmittelbar unter die als Kapital fungierenden fremden Produktionsbedingungen subsumiert werden. Die Multitudes besitzen demgegenüber freien Zugang zu den notwendigen Produktionsmitteln, können also statt der Arbeitskraft ihre Dienste bzw. ihre fertigen Arbeitsresultate veräußern. Auf der anderen Seite kaufen sie selbst keine Arbeitskräfte und unterscheiden sich in dieser Hinsicht von den kapitalistischen Unternehmern. Sie sind also weder Bourgeois noch Proletarier; sie nehmen dazu eine mittlere Stellung ein. Durch die angebliche Verbundenheit ihrer immateriellen Arbeit mit den Produktionsvoraussetzungen ähnelt ihre Lage die der Kleinbürger, worin sich nun alle Klassen aufgelöst zu haben scheinen.
Zwischen dem klassischen Kleinbürgertum und der von Hardt/Negri konstruierten ‚Multitude' gibt es etliche Parallelen: Während sich die klassischen Kleinbürger von Staat und Großunternehmen irgendwie ausgebeutet glaubten, bestätigen Hardt/Negri im Großen und Ganzen dieses Gefühl, theoretisieren sie die einstige Unzufriedenheit, konstruieren sie einen vergleichbaren Ausbeutungszusammenhang in Gestalt des Empire. Spielte damals die Ausbeutung in den kleinbürgerlichen Arbeitsprozessen keine besondere Rolle, so soll sich dies bei der heutigen Multitude wiederholen. Zusammen mit der privatrechtlichen Macht des Privateigentümers verdampft das einst im Produktionsprozess unmittelbar vorhandene, unbeschränkte Herrschaftsrecht des kapitalistischen Unternehmers und kondensiert sich irgendwo im Empire. Besaßen die klassischen Kleinbürger einst keinen klaren Klassengegner, so ist auch der postmodernen Multitude der konkrete Klassengegner abhanden gekommen. Dünkte sich das klassische Kleinbürgertum über den Klassengegensatz erhaben, so sind in der ‚Multitude' die Gegensätze abgeschwächt und in Harmonie verwandelt. Glaubte der klassische Kleinbürger, dass die besonderen Bedingungen seiner Befreiung die allgemeinen Bedingungen wären, sehen die ‚Multitudes' in ihren Lebensweisen bereits die allgemeinen Bedingungen der Befreiung. Mussten sich ihre klassischen Vorfahren noch die Häme gefallen lassen, als „Übergangsklasse“ keine Zukunft zu besitzen, haben sie nun als ‚Multitude' den Sieg davon getragen.
Wenn wir in der postmodernen Multitude das Gesicht der einstigen Kleinbürger erblicken, dann bezieht sich dies vor allem auf ihr Verhältnis zu den Bedingungen ihrer Arbeit. Daneben tun sich Unterschiede auf, die aus der speziellen Art der Arbeit hervorgehen.
Hardt/Negri's Multitudes unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Kooperation, ihrer Flexibilität, Weltoffenheit und Mobilität von ihren eher bodenständigen, traditionsbewussten und spießigen Vorfahren. Die Multitudes sollen Weltbürger einer globalisierten Ökonomie sein, die keine Nationalstaaten mehr kennt. Sie operieren gemeinsam in globalen Netzwerken, so dass auch ihre Befreiung nur auf einer globalen Ebene erfolgen kann. Isolierte, partikulare Gemeinschaften, die häufig das Idealbild traditioneller Kleinbürger bildeten, kommen als Ziel nicht mehr in Frage.
Hatten die Herren Professoren ihre eigene Existenz vor Augen, als sie das Bild der Multitude entwarfen? Ihre hohe Meinung von der affektiven - vor allem von ihrer eigenen - Arbeit, ihre eigene relative Selbständigkeit, die Leichtigkeit, mit der sie kooperieren, sich global vernetzen und „Wissen“ produzieren können, die vergleichsweise geringe Bedeutung von Arbeitsmitteln, die sie benutzen müssen, und nicht zuletzt ihre eigenen Reise- und Umzugsgewohnheiten, die sie als Teil einer allgemeinen Migration und als Ausdruck besonderer Mobilität deuten mögen, werden auf die Menschheit übertragen. Die Herren Professoren fühlen sich - wie sie es für die Multitudes vorsehen - einzigartig, vielgestaltig, als etwas Besonderes. Sie zeichnen sich weder durch gemeinsame Identität noch durch Uniformität aus. Sie waren, wie ihr kleines Netzwerk in Form der Buchprojekte praktisch zeigte, darum bemüht, ein „Gemeinsames“ zu entdecken, indem sie miteinander in Beziehung traten und gemeinsam handelten.
Ihre eigenen Gewohnheiten charakterisieren exakt die Multitudes. Diese sind ihr eigen Fleisch und Blut, bloßes Resultat professoraler Spießbürgeransichten. Der kleinbürgerliche Charakter, der sich dort zeigt, wird der eigenen Existenzweise entnommen. Durch ihre besonders „hochwertige“ affektive Arbeit gehören die Herren Professoren gewissermaßen zu den Kerntruppen der Multitude und scheinen schon deshalb besonders befähigt zu sein, dem gesamten Kleinbürgertum die künftige Marschrichtung vorzugeben.
„Wir müssen“, verkünden die Professoren, „durch das Empire hindurch, um auf die andere Seite zu gelangen (...) Der Globalisierung muss mit Gegen-Globalisierung begegnet werden, dem Empire mit einem Gegen-Empire.“ (Empire, S. 218f)

5. Befreiung als Herrschaftsideologie

Es wurde gezeigt, wie Hardt/Negri die Multitudes zu faktischen Besitzern der Produktionsmitteln machen und sie damit in die Traditionslinie des Kleinbürgertums stellen. Wenn sie dennoch gelegentlich vom Proletariat sprechen, dann verstehen sie darunter aber nicht mehr die Klasse der Lohnabhängigen, wie man der Bezeichnung eigentlich entnehmen müsste. „Wir verwenden einen weiten Begriff vom Proletariat und fassen in dieser Kategorie all jene, deren Arbeitskraft direkt oder indirekt ausgebeutet wird und die in Produktion und Reproduktion kapitalistische Normen unterworfen sind.“ (Empire, S. 66)
Vom Verkauf der Arbeitskraft und einer damit einhergehenden „Lohnabhängigkeit“ ist hier ebenso wenig die Rede wie vom Kapital, das die Lohnarbeit unter sich subsumiert, sie für seine Zwecke verwendet. Das spezifisch proletarische Element gehört also nicht zum „weiten Begriff vom Proletariat“. Das Eigentum an Produktionsmitteln spielt keine Rolle. Um „Proletarier“ zu sein, soll es genügen, dass die Arbeitskraft „direkt oder indirekt ausgebeutet“ wird und dass Produktion und Reproduktion „kapitalistische Normen“ unterworfen sind. Die Ausbeutung findet nach dieser Definition irgendwo im Empire statt und steht nicht mehr im Zusammenhang mit der Produktion. Das gesamte Leben ist davon betroffen, alle werden irgendwie ausgebeutet.
Auch das Unterworfensein unter „kapitalistische Normen“ bildet keine spezifisch proletarische Bestimmung. Alle sind darunter subsumiert; jeder, der Waren kauft oder verkauft, ist Glied der kapitalistischen Konkurrenz und jeder muss Gesetze beachten, wobei schon nicht mehr hinterfragt wird, wem die Gesetze nützen.
Dass der „weite Begriff vom Proletariat“ neben der Produktion zusätzlich die Reproduktion ausdrücklich erwähnt, passt zusammen mit der „affektiven Arbeit“ und zeigt, dass der Umfang des Proletariats ebenso wie die affektive Arbeit kaum eine Menschenseele ausschließt. Bei genauer Betrachtung gehören praktisch alle zum Proletariat, da jeder irgendwo in der Produktion oder Reproduktion des Lebens tätig ist. Anders als der traditionelle Begriff Arbeiterklasse ist Multitude, wie Hardt/Negri auch hervorheben, „ein offenes und inkludierendes Konzept (…) Die Multitude setzt sich potenziell aus all den verschiedenen Gestalten der gesellschaftliche Arbeit zusammen.“ (Multitude, S. 10f) Es sind „biopolitische Gestalten“ wie Industriearbeiter, immaterielle Arbeiter, in der Landwirtschaft tätige, Arbeitslose, Migranten und so weiter, die „unterschiedliche Lebensformen an konkreten Orten repräsentieren.“ (Multitude, S. 179)
Obwohl Hardt/Negri die gesamte Bevölkerung unter ein und dieselbe Kategorie, die der ‚Multitude' („Proletariat“) subsumieren, meinen sie dennoch, eine „Klasse“ vor sich zu haben, die „innerhalb des Kapitalverhältnisses“ steht und „es aufrecht erhält.“ (Empire, S. 67; Multitude, S. 121ff)
Kann eine Klasse überhaupt existieren, ohne eine andere neben beziehungsweise gegen sich zu haben? Wo ist der Klassengegner?
Das angesprochene „Kapitalverhältnis“ wird nicht wirklich personell aufgefasst, nicht als tatsächliches soziales Verhältnis, wo auf der einen Seite die Träger des Kapitals und auf der anderen Seite die Proletarier stehen. Das Kapitalverhältnis erweist sich als globale, abstrakte Herrschaftskonstruktion, worin sich die „anonyme Macht“ des Weltmarktes mit der einstigen nationalen Souveränität vereinen. Hardt/Negri stellen sich ein solches Empire als weltumspannendes Netzwerk, bestehend aus nationalen Regierungen und supranationalen Institutionen (Uno, IWF, internationale Konzerne, NGOs) vor. Sie gehen ausführlich auf diese „imperale Machtmaschine“ ein, beschreiben deren Konstitutionsprozess, die verschiedenen Ebenen der Macht, ohne dass eine soziale Klasse als Träger der herrschenden Macht sichtbar wird, die der proletarischen Klasse gegenübersteht.
Es macht keinen Sinn, eine Klasse zu definieren, der dann alle angehören.
Diese faktische Beseitigung des Klassenbegriffs folgt systematisch aus der Theorie des Empire. Der Begriff der Klasse steht zunächst im Widerspruch zum Konzept der Biomacht, die alle Menschen unterschiedslos verinnerlicht haben sollen. Die Macht wird, wie Kapitel drei gezeigt hat, als anonyme Machtmaschine versubjektiviert, während die Subjekte entmachtet werden und dann gemeinsam das Schicksal teilen, von dieser Macht in gleicher Weise beherrscht zu werden. Einen Widerspruch zum Begriff der Klasse bildet ebenso die Vorstellung von der prinzipiellen Auflösung der Unterschiede von „Innen“ und „Außen“, von Produktion und Reproduktion, von Ökonomie, Kultur und Politik. Auch die Betonung der Differenzen und Vielschichtigkeit der Multitude passt nicht so recht zur Klasse.
Demgegenüber hebt ein Klassenbegriff gerade das „Innen“ und „Außen“ hervor, nennt die Gemeinsamkeiten in den Existenzbedingungen einer Klasse, ihre Verkehrsformen, ihre ökonomische Situation und formuliert vor allem ihre gemeinsamen Interessen, die daraus entstehen, im Unterschied und im Gegensatz zu den Interessen der anderen.
Hardt/Negri erfinden für ihre neuen Multitudes gerade solche sozialen Existenzbedingungen, die jede Art von Klassenbildung ausschließen. Durch den freien Zugang zu den Bedingungen der Arbeit ist nämlich die unmittelbare Macht des kapitalistischen Eigentums gebrochen; eine Subsumtion der Arbeit unter das Kapital kann gar nicht mehr stattfinden. Schließlich können die Multitudes, wenn sie nur wollen, spontan und ohne Schwierigkeiten kommunistische Netzwerke errichten. „No admittance except on business“ steht nicht länger an den Fabriktoren und Drehtüren der Büros. Die immaterielle Arbeit kann durch eine geheimnisvolle, unsichtbare Macht die einst souveränen Eigentumsgrenzen problemlos überwinden. Wir sind in der neuen Gesellschaftsordnung bereits angekommen, ohne es bemerkt zu haben.
„Was Marx für die Zukunft voraussagte, erleben wir heute. Diese radikale Veränderung von Arbeitskraft und die Einbeziehung von Wissenschaft, Kommunikation und Sprache in die Produktivkräfte haben die gesamte Phänomenologie der Arbeit und den weltweiten Horizont der Produktion neu definiert.“ (Empire, S. 372)
Selbst die Geißel der Konkurrenz, die allen früheren Inseln des „Kommunismus“ die unerbittliche kapitalistische Welt schon äußerlich aufzwang, spielt in der „Befreiungsphilosophie“ keine Rolle mehr. Die Autoren klammern die Konkurrenz als problematischen Faktor kommunistischer Netzwerke vollständig aus.
Hatten einst Generationen von Arbeitern für den Zugriff auf die Bedingungen ihrer Arbeit kämpfen müssen, wurden dazu Genossenschaften und Arbeiterkooperative ins Leben gerufen, schrieb man dicke Bücher darüber, wie die Produktionsmittel – also die Voraussetzungen der Arbeit – in gemeinschaftlichen Besitz genommen werden könnten, erklären Hardt/Negri das Problem der sozialen Befreiung per Federstrich für gelöst. Die soziale Befreiung erfolgte gewissermaßen automatisch, kam auf leisen Sohlen daher – stetig, graduell soll sie sich als Anhängsel der immateriellen Arbeit bereits durchgesetzt haben. Statt Klassenkampf zu führen , müssen sich die Multitudes nur noch individuell in Netzwerken einbringen und schon gehört ihnen die einst entfremdete Welt der Produktivkräfte.
Die Multitude ist also eine sozial befreite Klasse, ohne dass sie eine andere Klasse unterdrückt. Alle Klassen haben sich in dieser Menge aufgelöst. Es ist ein Selbstwiderspruch, dennoch an dem Klassenbegriff festzuhalten.
Wenn aber die Multitude bereits sozial befreit ist, dann spielt natürlich auch die soziale Revolution keine Rolle mehr. Alle sozialen Forderungen haben sich erledigt. Es bleibt demnach gar nicht mehr viel zu tun: Die „Philosophie der Befreiung“ schrumpft auf politische Ziele zusammen.
Dem Kern nach geht es hierbei nur noch um „globale Demokratie“, um die Entwicklung einer „neuen konstituierenden Macht“, die uns „eines Tages durch und über das Empire hinaus bringen wird.“ (Empire, S. 13) Die Multitudes sollen in den Besitzt der „uneingeschränkte demokratischen Macht“ gelangen. „Wenn dies geschieht, würde die kapitalistische Herrschaft über die Produktion, über die Zirkulation und die Kommunikation gestürzt.“ (Empire, S. 352) Zu den nächsten Zielen der Multitude gehört die Durchsetzung einer „globalen Staatsbürgerschaft“ und die „Selbstregulierung“ der weltweiten Migrationströme, die Forderung nach „Grundeinkommen“ und „das Recht auf Wiederaneignung“ des Wissens, der Informationen und der Sprache.
Die Frage ist nur, wie selbst diese peinlich zahmen Ziele von einer Menge durchgesetzt werden können, die als heterogen, vielgestaltig und einzigartig charakterisiert wird. Ihre inneren Differenzen führen nicht nur zu einer entsprechenden Vielfalt der Interessen, auch die Möglichkeit, die Interessen gemeinsam zu organisieren, wird dadurch erschwert. „Zusammenhängende internationale Kampfzyklen“ soll es deshalb auch nicht mehr geben. Die neuen Kämpfe der Multitude würden in einzelne und dazu sehr verschiedene Aktionen zersplittert.
Statt aber die offenkundige Schwäche solcher Kämpfe einzugestehen, verwandeln Hardt/Negri die Schwäche in eine neue Kraft, die darin bestehen soll, dass die Kämpfe von der lokalen Ebene sofort in die globale Arena springen und dort die gesamte Konstitution des Empire angreifen würden. Als Grund dieser besonderen Verletzbarkeit des Empires führen sie dessen Globalität an. Gerade weil das Empire allumfassend ist, kein „Innen“ und „Außen“ mehr hat, soll es überall verwundbar sein. Wenn aber ein zersplitterter Widerstand auf eine allumfassende, einheitliche Macht stößt, dann sollte in jedem Fall die etablierte Macht den Sieg davontragen.
Multitudes haben es aufgrund ihrer Heterogenität und der fehlenden Identität besonders schwer, als kollektives Subjekt auch wirklich zu agieren. Hardt/Negri entwickeln nicht die Voraussetzungen für die Macht der Menge, die „res gestae“, wie sie diese Macht vorzugsweise übersetzen. Es fehlt eine Analyse der Widersprüche, worauf die Kämpfe beruhen sollen. Es bleibt ungewiss, ob die Macht jemals stark genug sein wird, um das Empire politisch zu besiegen; die politische Befreiung hört auf, eine historische Notwendigkeit zu sein. Die Kämpfe haben keinerlei Tendenzen, sich zu verschärfen.
Es bleibt letztendlich den Wünschen und dem Willen der Multitude überlassen, ob sie sich für ihre politischen Ziele auch tatsächlich engagiert und ihr „schöpferisches Vermögen“ dafür einsetzt.
Man hat also gesehen, dass die politische Befreiung eine ungewisse Angelegenheit bleibt, während die soziale Befreiung schon gar nicht mehr nötig ist. Endlich im Empire angekommen, ist die Arbeit von jeder unmittelbaren Fessel befreit. Postmoderne Multitudes können deshalb keine revolutionären Subjekte mehr sein. Stattdessen sind sie kleinbürgerliche Liberale, bei denen es nur noch darum gehen kann, mehr Demokratie zu wagen. Ihr Projekt, das „Projekt der Multitude“, wie Hardt/Negri es gern nennen möchten, drückt den „Wunsch nach Freiheit und Gleichheit“ aus und „verlangt eine offene und alle einbeziehende demokratische globale Gesellschaft.“ (Multitude, S. 7)
Hardt/Negri mystifizieren die Verhältnisse, verdrehen die Tatsachen. Durch ihre umfassende affektive Arbeit verfälschen sie das freie Unternehmertum in kommunistische Netzwerke. Sie münzen die Lohnarbeit in freie Arbeit um, den Zwang der Konkurrenz lösen sie in Harmonie frei vernetzter Multitudes auf, die Klassen lassen sie samt der Gegensätze im diffusen Kleinbürgertum verschwinden, die Proletarier werten sie zu faktische Eigentümer der Produktionsmittel auf, die sich nun in der Arbeit verwirklichen können. Im Arbeitsleben ist alle Knechtschaft ausgeräumt.
Solche von Hardt/Negri erfundenen Veränderungen dienen als Nachweis der künftigen Unwandelbarkeit. Denn weshalb sollte das Arbeitsleben noch revolutioniert werden, wenn die soziale Befreiung bereits stattgefunden hat? Eine schöne Apologie des kapitalistischen Produktionsregimes! Hier zeigt sich der „besondere Wert“ affektiv-wissenschaftlicher Arbeit, der darin besteht, die Verhältnisse schön zu reden, sie vor dem Feuer der Kritik zu schützen und zu verewigen.
Durch Verschleierung der Wirklichkeit, durch Täuschungen und Verdrehungen, legitimieren Hardt/Negri nicht nur die bestehenden Verhältnisse, sondern sie desorientieren auch den Widerstand, kanalisieren ihn, lenken ihn auf harmlose Ziele.
Sie versuchen den Widerstand bereits dadurch zu brechen, indem sie die Multitudes auffordern, gefälligst arbeiten zu gehen, um dabei das „Himmelreich auf Erden“ zu errichten. Über eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nachzudenken, scheint angesichts der kommunistischen Arbeitsmöglichkeiten eine völlig überflüssige Angelegenheit zu sein. Soziale Änderungen braucht es nicht mehr zu geben. Für einen Jungunternehmer mit guten Absichten gewiss keine schlechte Ermunterung, in seinem Geschäft nun so richtig zur Sache zu gehen, um neben dem persönlichen Erfolg die allgemeine Befreiung durchzusetzen.


Berlin im Herbst, 2004

Guenther Sandleben

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