16. Kapitel

Verschiedene Formeln für die Rate des Mehrwerts

Die Mehrwertrate wird durch den Zusammenhang der getrennten Akte - Kauf der Arbeitskraft zu ihrem vorgegebenen Wert und Anwendung dieser Arbeitskraft im beständig revolutionierten kapitalistischen Produktionsprozeß, die auf den vorausgesetzten Wert der Arbeitskraft zurückwirkt - konstituiert. Das Nebeneinander der selbständigen Existenzweisen der Mehrwertrate wird in den verschiedenen, den "Wirklichen Exploitationsgrad der Arbeit oder die Rate des Mehrwerts" (MEW 23/553) wiedergebender Formeln erfaßt: einerseits als Verhältnis von Werten, andererseits als "Verhältnis von Zeiten, worin diese Werte produziert werden" (MEW 23/553). Als "einander ersetzende Formeln" (MEW 23/553) drücken sie zugleich die Zusammengehörigkeit der mit ihnen begriffenen Verhältnisse aus.

Die Formeln, mit denen die klassische politische Ökonomie die Mehrwertrate zu erfassen sucht, lassen dagegen erkennen, daß sie den Zusammenhang von Verkauf der Arbeitskraft und ihrer vom Kapital bestimmten Verausgabung als Grund der Mehrwertrate nicht versteht. Sie nimmt den Mehrwert nur als Resultat der Produktion auf, als Verhältnis "der Arbeitszeiten oder Werte, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese Werte existieren" (MEW 23/553). Sie hält also die formell selbständigen, aber zusammengehörigen Akte Kauf und Verausgabung der Arbeitskraft gegeneinander fest und setzt sie in eine äußerliche Beziehung: sie vergleicht die jeweiligen Wertgrößen miteinander. Der Mehrwert erscheint ihr als Oberschuß eines als fix betrachteten Arbeitstages über die in den Prozeßeingehenden Werte und damit als Teil des gesamten Wertprodukts des Arbeitstages. Bei solchem Vergleich, der das vorgeschossene variable Kapital und den Mehrwert nur als Teile des (Wert)produkts betrachtet, wird der Ursprung des Mehrwerts verschleiert[1] und der Exploitationsgrad falsch wiedergegeben:

"Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruchteilen des Wertprodukts - eine Darstellungsweise, die übrigens aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren Bedeutung sich später erschließen wird - versteckt den spezifischen Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen Kapitals mit der lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden Ausschluß des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines Assoziationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältnis seiner verschiedenen Bildungsfaktoren teilen." (MEW 23/552)[2]

Die Formel Unbezahlte Arbeit/Bezahlte Arbeit, die an der Verausgabung der Arbeitskraft ein Wertverhältnis festhält, die verschiedenen Existenzformen der Mehrwertrate also in eins fallen läßt, gibt dennoch unmittelbar den Zusammenhang zwischen dem der Produktion vorausgesetzten Kauf der Arbeitskraft und der auf diesen zurückwirkenden Verausgabung der Arbeitskraft wieder. Das Verhältnis der Teile des Arbeitstages bestimmt sich gemäß dem vorausgesetzten Kauf der Arbeitskraft - ein Teil des Arbeitstages dient der Reproduktion dieses Werts. Zugleich wird es bestimmt durch die Konsumtion der Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozeß - in ihm wird der Wert reproduziert gemäß dem sich wandelnden gesellschaftlichen Produktivitätsgrad und dementsprechend darüberhinaus wachsend Mehrwert geschaffen durch Einwirkung auf den vorausgesetzten Wert der Arbeitskraft.

Weil das Kapital durch den Kauf der Arbeitskraft die "Verfügung über die lebendige Arbeitskraft" (MEW 23/556), erlangt, kann es durch ihre Anwendung im kapitalistischen Produktionsprozeß die Mehrwertrate erzeugen. Es produziert selbst das Verhältnis von Mehrwert zum vorausgesetzten Wert der Ware Arbeitskraft, indem es diese über die der Reproduktion des Werts der Arbeitskraft dienende Verausgabung hinaus Wert schaffen läßt für den in der Zirkulation kein Äquivalent vorgeschossen wurde. Weil also das Kapital nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft bezahlt, und diese unter seinem Kommando wirken läßt, gilt:

"Das Geheimnis von der Selbstverwertung des Kapitals löst sich auf in seine Verfügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit." (MEW 23/556)

Fußnoten:

[1]"Der Gesamtarbeitstag ist größer als der Teil des Arbeitstages, der zur Produktion der wages erheischt. Warum? tritt nicht hervor." (TÜM II/408)

[2]Vgl. Gr. 228; TÜM II/419: Zwar begreift Ricardo noch den Wert, den der Kapitalist in Zirkulation 1 zu zahlen hat, als "Quantität Arbeit, die in den Lebensmitteln des Arbeiters vergegenständlicht ist" (TÜM II/409), doch da er "nicht unmittelbar einen Teil des Arbeitstages als der Reproduktion des Werts seines eigenen Arbeitsvermögens" bestimmt (TÜM II/407 ff), geht der Zusammenhang des Werts der Ware Arbeitskraft mit ihrer Verausgabung ‑ "er produziert Ware vorn Wert seiner Lebensmittel, oder er produziert den Wert seiner Lebensmittel. D.h. also. wenn wir seinen täglichen Durchschnittskonsum betrachten: Die Arbeitszeit, die in den täglichen necessaries enthalten ist, bildet einen Teil seines Arbeitstages […] Es hängt vom Wert dieser necessaries ab (also von der gesellschaftlichen Produktivität der Arbeit, nicht von der Produktivität des einzelnen Zweigs, in dem er arbeitet), ein wie großer Teil seines Arbeitstages der Reproduktion oder Produktion des Werts, i.e. des Äquivalents für seine Lebensmittel gewidmet ist." (TÜM II/407) ‑ und damit der Ursprung des Mehrwerts verloren.