9. Kapitel

Rate und Masse des Mehrwerts

Die staatliche Festlegung des Normalarbeitstages setzt als gesellschaftlich gültige Beschränkung der Mehrwertrate der Größe des Überschusses Grenzen, den das Kapital hervorbringen kann. Das Verhältnis der beiden Teile des Arbeitstages fungiert als Faktor für die Wirkung des Kapitalteils v, der zum Ankauf einer bestimmten Anzahl Arbeitskräfte ausgelegt wird. Die Gesetze, die das Verhältnis von Masse und Rate des Mehrwerts regeln, fassen die Abhängigkeit der Verwertung von den Bedingungen der Produktion ihrer quantitativen Seite nach zusammen.

(I) "Die Masse des produzierten Mehrwerts ist gleich der Größe des vorgeschoßnen variablen Kapitals multipliziert mit der Rate des Mehrwerts oder ist bestimmt durch das zusammengesetzte Verhältnis zwischen der Anzahl der von demselben Kapitalisten gleichzeitig exploitierten Arbeitskräfte und dem Exploitationsgrad der einzelnen Arbeitskraft." (MEW 23/321)

Insofern die Rate des Mehrwerts und die Zahl der angewandten Arbeiter gleichermaßen als Faktoren die Masse des Mehrwerts beeinflussen, kann die "Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andren ersetzt werden" (MEW 23/322), so daß ein Sinken des angewandten variablen Kapitals, d.h. der Arbeiteranzahl durch eine "Proportionale Erhöhung im Exploitationsgrad der Arbeitskraft" ausgeglichen werden kann. Die Steigerung der Mehrwertrate ist jedoch nur soweit möglich, wie es die Länge des Arbeitstages gestattet - in einem zweiten Gesetz ist daher die Schranke für die Wirkung dieses einen Faktors ausgedrückt:

(II) "Die absolute Schranke des durchschnittlichen Arbeitstages, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, bildet eine absolute Schranke für den Ersatz von vermindertem variablen Kapital durch gesteigerte Rate des Mehrwerts, oder von verringerter exploitieren Arbeiteranzahl durch erhöhten Exploitationsgrad der Arbeitskraft." (MEW 23/323)

Auch das dritte Gesetz ist nur eine Konsequenz des ersten. Es bezeichnet die unmittelbare Abhängigkeit des Kapitals von der Anzahl der Arbeiter, die es beschäftigt. Während Marx die Bedeutung des zweiten für die Erklärung von Tendenzen hervorhebt, die in der Natur der Mehrwertproduktion liegen und später als widersprüchlicher Umgang des Kapitals mit den Faktoren, welche die Größe seines Überschusses bestimmen, behandelt werden, schließt er an die Formulierung von

(III) "Die von verschiednen Kapitalen produzierten Massen von Wert und Mehrwert verhalten sich bei gegebenem Wert und gleich großem Exploitationsgrad der Arbeitskraft direkt wie die Größen der variablen Bestandteile dieser Kapitale, d.h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandteile." (MEW 23/325)

einen Hinweis auf den Widerspruch an, in den dieses Gesetz einerseits zur Erfahrung, die "auf dem Augenschein" gründet, andererseits zur Vulgärökonomie gerät. Letztere muß als eine Theorie, die dem praktischen Standpunkt verpflichtet ist, an die Stelle der Erklärung der Herkunft des vom Kapital erzielten Überschusses und seiner Größe das Interesse an den diversen Wirkungen setzen, welche von der Modifikation aller am Produktions‑‚und Zirkulationsprozeß des Kapitals beteiligten Faktoren ausgehen. So bleibt ihr nicht nur die Differenz zwischen konstantem und variablem Kapital verborgen; sie behauptet auch der klassischen Ökonomie völlig entgegenstehende Gesetze, wenn sie die Abhängigkeit des Überschusses von der Produktion formuliert.

Die Vermehrung des Kapitals - dies ist die Konsequenz des dritten Gesetzes - hat bei gegebener Länge des Arbeitstages an der Vermehrung der Arbeiteranzahl seine Grenze, die Masse des vom Gesamtkapital einer Gesellschaft produzierten Mehrwerts also am Wachstum der Bevölkerung. (Diese Grenze wird allerdings vom Kapital durch die Methoden der relativen Mehrwertproduktion in eine überwindbare Schranke verwandelt). Zugleich erweist sich mit der Abhängigkeit des Kapitals von der Masse der angewandten Arbeitskraft, daß "nicht jede beliebige Geld- oder Wertsumme in Kapital verwandelbar" ist. Eine Geldsumme wird Kapital und ein Käufer von Arbeitskraft Kapitalist nur unter der Bedingung, daß die in variables Kapital umgesetzte Wertsumme für die Produktion eines Überschusses über sich selbst hinreicht, der den Zweck des Kapitals, seine Selbstverwertung, auch zu verwirklichen gestattet, d.h. die Funktion des Kapitalisten auf die "Aneignung und daher Kontrolle fremder Arbeit" und den "Verkauf der Produkte dieser Arbeit" reduziert. Aus den Voraussetzungen in der Entwicklung der Produktivkräfte, die für die Dauer des Teils des Arbeitstages bestimmend ist, den die Arbeiter zur Reproduktion des Werts ihrer Arbeitskraft tätig sein müssen, ergibt sich ein "Minimum der Wertsumme, worüber der einzelne Geld- oder Warenbesitzer verfügen muß, um sich in einen Kapitalisten zu entpuppen" (MEW 23/327). Wo die technischen Bedingungen einer Sphäre die Anhäufung einer Wertsumme in einer Hand, die als Minimum für den kapitalistischen Betrieb der Produktion erforderlich ist, nicht vorfinden, sorgen Staatssubsidien für die Bildung von Kapital.

Der Arbeitsprozeß - dies geht aus den formulierten Gesetzen hervor - ist Produktionsprozeß von Mehrwert, Mittel für die Verwertung des Kapitals. Mit dem Kauf der Arbeitskraft erhält der Kapitalist das Kommando über die Arbeit und sorgt dafür, daß "der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehörigen Grad an Intensität' (MEW 23/328) verrichtet, sichert damit die wertbildende Funktion der unter seiner Kontrolle stattfindenden Arbeit. Durch die - mit Hilfe des Staates durchgesetzte - Verlängerung der Arbeit über den "gewissen Punkt' hinaus wird aus dem Kapital ein "Zwangsverhältnis, welches die Arbeiterklasse nötigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis ihrer eignen Lebensbedürfnisse" (MEW 23/328) vorschreibt. In diesem Produktionsprozeß betätigt sich der Kapitalwert als Subjekt; in Gestalt der Produktionsmittel, ohne die die Arbeitskraft nicht verausgabt werden kann, zwingt er den Arbeiter zur Ableistung von Mehrarbeit.

"Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven Tätigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen Lebensprozesses, und der Lebensprozeß des Kapitals besteht nur in seiner Bewegung als sich selbst verwertender Wert." (MEW 23/329)

Zugleich sind in den Gesetzen über das Verhältnis von Masse und Rate des Mehrwerts Beschränkungen formuliert, die das Kapital in der Natur der Arbeitskraft erfährt: seinem Verwertungsdrang wird in den Produktionsbedingungen eine quantitative Grenze gesetzt. Seine Abhängigkeit von der Größe der Arbeiterbevölkerung und der Länge des Arbeitstages steht der Verwandlung der Produktionsmittel 1n Rechtstitel und Zwangstitel auf fremde Arbeit und Mehrarbeit" gegenüber (MEW 23/329). Diese "der kapitalistischen Produktion eigentümliche und sie charakterisierende Verkehrung" des Verhältnisses von toter und lebendiger Arbeit, von Wert und wertschöpferischer Kraft liefert freilich auch die Grundlage für die Oberwindung der Schranke, die das Kapital in den jeweiligen Produktionsbedingungen vorfindet. Wenn sich das Kapital der vorgefundenen Produktionsweise bemächtigt, dann bestimmt es auch die Verausgabung der Arbeitskraft und ordnet sich nicht der notwendigen Arbeitszeit als einer gegebnen Größe unter.