2. Kapitel

Der Austauschprozeß

Der Widerspruch der Ware hatte die Notwendigkeit eines selbständigen Wertausdrucks ergeben und in der Entwicklung der Bestimmungen dieser Wertform, die im Bezug der Waren aufeinander existiert, zum Geld geführt. - Das Geld ist das gesellschaftlich gültig fixierte allgemeine Äquivalent, in dem alle Waren ihr Wertdasein objektiv ausdrücken. Die Waren müssen sich daher jetzt auf das Geld beziehen im Austausch. Die Untersuchung der Formseite dieses Prozesses - die Entwicklung der Bestimmungen des Geldes - gibt den weiteren Fortgang im 3. Kapitel. Gegenstand des 2. Kapitels ist der Austauschprozeß als gesellschaftliches Verhältnis der die Warenbeziehungen vermittelnden Subjekte. Schon im 1. Kapitel zog MARX Schlüsse aus den entwickelten Bestimmungen der Ware auf Handeln und Bewußtsein der Individuen. In diesem Sinne führt er nun weiter aus, wie sich die Beziehung der Waren aufeinander im Handeln der gesellschaftlichen Subjekte vollzieht [1].

Daß die Waren Dinge sind, die

"nicht selbst zu Markte gehen" (MEW 23/99),

heißt, daß sie als Sachen dem willentlichen Handeln von Subjekten unterworfen sein müssen. Sie sind von Subjekten angeeignete Dinge, ihr gesellschaftlicher Kontakt vermittelt sich über diese Subjekte, die Warenbesitzer. Damit erscheint die Beziehung der Waren als eine der Subjekte. Gleichwohl liegt die Identität dieses Prozesses in den ökonomischen Gegenständen. Die Formbestimmungen des Austauschs haben sich ja aus dem ergeben, was Ware und Geld sind, nicht aus dem Willen und Bewußtsein der Warenbesitzer; der gesellschaftliche Charakter des Prozesses ist in den ökonomischen Gegenständen objektiv. Diese zwingen also den Subjekten ihr Tun auf, die Warenbestimmungen sind Bedingungen ihres Handelns. Die Subjekte beziehen sich folglich nur vermittels ihrer Waren aufeinander; sie stehen hier in keinem unmittelbaren gesellschaftlichen Kontakt, sondern treten sich gegenüber als Personen, die den Willen des anderen in versachlichter Form, in seiner Ware liegend vorfinden und anerkennen: sie sind Privateigentümer. Die gegenseitige Anerkennung der Subjekte als Privateigentümer, über die sich der Austausch der Waren vermittelt, drückt sich aus in der Form des Vertrags.

"Der Inhalt dieses Rechts‑ oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben."(MEW 23/99)[2]

Daß die Subjekte sich als gleiche anerkennen ist identisch damit, daß sie sich nur als "Repräsentanten" der Ware gegenüberstehen.

"Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikation der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenüberstehen."(MEW 23/99 f.)[3]

Daß Dinge als Waren in einen gesellschaftlichen Kontakt miteinander treten, daß ihnen die gesellschaftliche Eigenschaft Wert objektiv zukommt, impliziert, daß die gesellschaftliche Identität der Subjekte - obwohl sie Herren über die Dinge sind-ganz in diesen Dingen liegt. Als besondere Subjekte stehen sie sich gleichgültig gegenüber; sie abstrahieren von ihrer jeweiligen Besonderheit, d. h. die Subjektivität reduziert sich in diesem gesellschaftlichen Verhältnis auf ein abstraktes Willensverhältnis, dessen Inhalt ganz in den ökonomischen Gegenstand Ware fällt[4]. Weil die Subjekte in ihrem gesellschaftlichen Bezug aufeinander nur das durchsetzen, was in der Ware enthalten ist, bestimmt sich ihr Wille aus den versachlichten ökonomischen Verhältnissen.

Im Austauschprozeß als HandeIn warenbesitzender Individuen existiert der Widerspruch der Ware in verwandelter Form. Dementsprechend leitet Marx nun das Geld als eine Forderung der Warenbesitzer in ihrem wechselseitigen Bezug aufeinander ab. Ergab sich das Geld im 1. Kapitel aus dem Widerspruch der Ware, so tritt es hier als eine Voraussetzung auf, derer die Individuen zum Vollzug des Warentauschs bedürfen[5].

Die Warenbesitzer beziehen ihre Waren aufeinander, um sich wechselseitig die Gebrauchswerte zur Bedürfnisbefriedigung zu verschaffen. Die Ware ist Gebrauchswert für ihren Nicht‑Besitzer, Nicht‑Gebrauchswert für ihren Besitzer[6]. Der Warenbesitzer muß also erst die Wertbestimmung der Ware im Austausch realisieren, ehe sie als Gebrauchswert in die Konsumtion eingehen kann. Dies setzt aber umgekehrt voraus, daß sie sich als Gebrauchswert bewährt, daß ein Bedürfnis nach dieser bestimmten Ware existiert, was selbst wieder erst der Austausch erweisen kann.

Dieser Zirkel, der hier für die Realisierung der Warenbestimmungen durch den Tauschakt ausgedrückt ist, ergibt sich entsprechend in der Stellung der Warenbesitzer zum Austauschprozeß. Sie tauschen nur gegen fremde Ware, wenn dieser Gebrauchswert für ihr besonderes Bedürfnis ist - insofern ist der Austausch für sie bloß individueller Prozeß - , sie wollen andererseits ihre eigene Ware als Wert in jeder beliebigen anderen Ware realisieren, wofür ihnen der Gebrauchswert ihrer Ware bloße Bedingung ist - insofern ist der Austausch für sie gesellschaftlicher Prozeß[7]. Die Gesellschaftlichkeit des Prozesses ist also durch das atomistische Verhalten der Warenbesitzer charakterisiert, von denen jeder sich auf seine eigene Ware nur als Inkarnation von Wert bezieht, die sich gegen alle anderen Waren, die ihn nur als besondere Gebrauchswerte interessieren, austauschen können soll. Da jeder so nur den Standpunkt seiner besonderen Ware gegen alle anderen Waren vertritt, liegt die Gesellschaftlichkeit des Prozesses nicht unmittelbar in ihren bewußten Handlungen, sie muß vielmehr diesen vorgegeben sein, außerhalb ihrer objektiv existieren: Damit sich die Warenwerte durch die Aktionen der tauschenden Warenbesitzer realisieren können, muß ein gesellschaftlich gültiger Ausdruck des Warenwerts vorhanden sein, auf den sich die Warenbesitzer beziehen müssen.

Damit stehen wir vor dem Paradox, daß der gesellschaftliche Charakter des Austauschprozesses in den Warenbestimmungen liegt, daß diese sich aber erst realisieren können, wenn der Wert unabhängig von den besonderen Warengestalten gesellschaftlich gültig ausgedrückt ist; daß es die Handlungen der Warenbesitzer sind, die den gesellschaftlichen Austauschprozeß der Waren vermitteln, und doch dies kein unmittelbar gesellschaftlicher Bezug ist, sondern außerhalb ihrer Handlungen Objektivität besitzen muß, die aber selbst nur Produkt eines gesellschaftlichen Handelns sein kann:

"Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben" (MEW 23/101)

Der Inhalt dieses naturwüchsigen Handelns ist die Herstellung der Voraussetzung, die in der Wertformanalyse als Resultat des Warenwiderspruchs entwickelt worden war; die Bildung des Geldes. Es muß eine bestimmte Ware als allgemeines Äquivalent durch die "gesellschaftliche Aktion aller anderen Waren" (MEW 23/101) ausgeschlossen werden. Das Ergebnis der Wertformanalyse - daß sich der Wert der Ware nur in der Beziehung zum Geld adäquat ausdrückt - stellt sich hier dar als Ausschließung einer Ware aus der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung: sie soll nur noch den Austausch ermöglichen. Dieser Prozeß bestimmt sich als Handeln der Subjekte also ganz aus dem Widerspruch der Ware:

"Die Gesetze der Warennatur betätigen sich im Naturinstinkt der Warenbesitzer." (MEW 23/101)

Zugleich ist hierin noch einmal ausgesprochen, daß das Geld zwar willentliches, aber nicht bewußtes Produkt ihres Handelns sein kann.

Mit den Schlüssen des 2. Kapitels, die die Identität des Handelns der Individuen mit dem Inhalt der Warenbestimmungen zeigen, ist ein objektiver Zirkel bloßgelegt: Die Beziehungen der Waren aufeinander, ihre gesellschaftliche Aktion setzt Subjekte voraus, die in einem gesellschaftlichen Kontakt stehen, durch ihr Agieren die Waren aufeinander beziehen; das Handeln der Subjekte charakterisiert sich aber umgekehrt aus den objektiven Warenbestimmungen, ist also deren Resultat. Das Handeln soll die Warenbeziehungen konstituieren, zugleich soll es sich gemäß den Warenbestimmungen vollziehen. Dies wechselseitige Sich‑Voraussetzen kann nur Ergebnis eines Handelns sein, das die Warenbeziehung erst hervorgebracht hat und damit sich selbst den Warenbestimmungen unterworfen hat; es liegt hierin also der Verweis auf ein Handeln, das selbst noch nicht in diesem Verhältnis befangen war, sondern dieses erst konstituiert hat: Es geht also um die Entstehung des Austauschverhältnisses.

Wenn das Geld Resultat der Warenaktion, der ökonomischen Handlungen der Warenbesitzer ist, zugleich aber das Geld erst die Arbeitsprodukte zu Waren macht, d. h. Bedingung der (Gesellschaftlichkeit des Austauschprozesses und damit der Realisierung der Warenwerte ist, muß die historische Entwicklung die Verwandlung von Arbeitsprodukten in Waren und die darin eingeschlossene naturwüchsige Herausbildung des Geldes beinhalten; oder umgekehrt ausgedrückt: mit der allmählichen Herausbildung eines allgemeinen Äquivalents aus den Erfordernissen des Austauschs und mit seiner gesellschaftlich gültigen Fixierung verwandelt sich der Austausch von Produkten in wirklichen Warenaustausch. Der Inhalt des geschichtlichen Prozesses ist also nichts anderes als die historische Entfaltung des in der Ware schlummernden Gegensatzes.

"Der Geldkristall ist ein notwendiges Produkt des Austauschprozesses, worin verschiedenartige Arbeitsprodukte einander tatsächlich gleichgesetzt und dabei tatsächlich in Waren verwandelt werden. Die historische Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert. Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer selbständigen Form des Warenwerts und ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Ware in Ware und Geld. In demselben Maße daher, worin sich die Verwandelung der Arbeitsprodukte in Waren, vollzieht sich die Verwandlung von Ware in Geld."(MEW 23/102)[8]

Marx umreißt im folgenden die wesentlichen Stufen dieser Entwicklung. Als historisches Resultat dieser Entwicklung unterstellt die gesellschaftliche Gültigkeit des allgemeinen Äquivalents, daß der Austauschprozeß ein dauerhaftes, das ganze Gemeinwesen umgreifendes ökonomisches Verhältnis ist, kein sporadischer und lokal begrenzter Prozeß.[9] Die gesellschaftliche Produktion und Verteilung der Güter muß wesentlich durch den Austausch bestimmt sein. Für das Geld bedeutet dies, daß es nicht nur als eine bestimmte Ware für das ganze Gemeinwesen gültig und dauerhaft fixiert sein muß, sondern daß für diese Ware bestimmte Eigenschaften erfordert sind: Die edlen Metalle haben im Laufe der Geschichte überall die Rolle des Geldes übernommen, da ihre Natureigenschaften - gleichförmige Qualität jedes einzelnen Stücks und beliebige Teilbarkeit - den Funktionen des Geldes als allgemeinem Äquivalent entsprechen.

Resultat des zweiten Kapitels ist also auf anderer Ebene noch einmal dasselbe, was schon Ergebnis der Entwicklung der ökonomischen Formbestimmungen im 1. Kapitel war: In der Beziehung Ware‑Geld hat nun der gesellschaftliche Austauschprozeß seine Identität. Existiert das Geld, so bezieht sich jede Ware, d. h. auch jeder Warenbesitzer im Austauschprozeß auf das Geld als vorgefundenes gesellschaftlich gültiges Äquivalent. So reproduziert sich die gesellschaftliche Objektivität dieses Verhältnisses im bewußten Handeln der Individuen. Damit gewinnt der falsche Schein, den Marx im Warenfetisch als gesellschaftlich gültig erklärt hatte, in Geld seine Vollendung. Daß

"die Geldform nur an einer Ware festhaftende Reflex der Beziehung alter anderen Waren" (MEW 23/105)

ist, stellt sich dem tauschenden Warenbesitzer so dar, daß er, nur weil es Geld gibt, seine Ware als Wert ausdrücken und realisieren kann. Die Warenbesitzer müssen sich so verhalten - und dies spiegelt sich in ihrem Bewußtsein - als ob dem Geld naturgegeben die Eigenschaft zukommt, die Waren vergleichbar zu machen; denn sie beziehen sich auf das Geld nicht als Produkt ihrer eigenen Austauschbeziehungen, sondern als gegenständliche Voraussetzung, die ihnen das Eingehen solcher Beziehungen erst ermöglicht.

"Das bloß atomistische Verhalten der Menschen in ihrem gesellschaftlichen Produktionsprozeß und daher die von ihrer Kontrolle und ihrem bewußten individuellen Tun unabhängige, sachliche Gestalt ihrer eigenen Produktionsverhältnisse erscheinen zunächst darin, daß ihre Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen. Das Rätsel des Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende Rätsel des Warenfetischs." (MEW 23/107 f.)

Fußnoten:

[1] Das 2. Kapitel erbringt also keine den Gang der ökonomischen Analyse von Ware und Geld weiterführenden Formbestimmungen, sondern stellt dar, was mit ihnen über das gesellschaftliche Handeln der Subjekte folgt. Wer dagegen das 2. Kapitel als notwendige "Ergänzung" ausgibt, die erst die Realität der im 1. Kapitel entwickelten Bestimmungen beweise, übersieht zweierlei: Zum einen geht Marx im 1. Kapitel vom einfachsten ökonomischen Konkretum, der Ware aus, deren Bestimmungen noch als existent erweisen zu müssen, eine schlichte Tautologie wäre, sind sie doch als die eines existenten ökonomischen Gegenstandes aufgenommen. Das gesellschaftliche Handeln der Subjekte kann diese Realität schlechterdings nicht erst erbringen, würde doch damit die Objektivität des ökonomischen Gegenstandes Ware zurückgenommen. Zum andern führt das 2. Kapitel das Handeln der gesellschaftlichen Individuen zurück auf das, was als ökonomische Formbestimmungen der Ware, in denen die Identität der Gesellschaft liegen soll, entwickelt worden war. Allerdings ist das 2. Kapitel deswegen kein überflüssiges Beiwerk. Marx geht es vielmehr darum, schon hier zu zeigen, daß mit der Ware durchaus das bestimmte Handeln der Subjekte erklärbar ist. Die erneute "Ableitung" des Geldes im 2. Kapitel ist demnach nichts anderes als die Darstellung dessen, wie sich die Realität des Geldes im Verhalten der Warenbesitzer als Notwendigkeit darstellt. Wer diesen Stellenwert des 2. Kapitels übersieht und die Subjekte als zweite notwendige Ableitungsebene postuliert, verfällt in Tautologien und mißversteht das, was schon im Warenfetisch als Charakteristikum des Kapitalismus erschlossen wurde: daß das gesellschaftliche Bewußtsein und Handeln der Individuen sich von den versachlichten ökonomischen Verhältnissen bestimmen, die Subjekte als willentlich Handelnde Charaktermasken sind. Seine scheinbare Legitimation findet dieses Mißverständnis in der erneuten Darstellung der Notwendigkeit des Geldes im 2. Kapitel sowie in den verschiedenen Vorarbeiten von Marx zur endgültigen Fassung des Kapital, in denen er erst nach und nach die Formbestimmungen von den in ihnen eingeschlossenen gesellschaftlichen Charakteren der Subjekte streng geschieden hat.
Die "Projektgruppe Entwicklung des Marxschen Systems" verfällt in ihrer Darstellung der verschiedenen Fassungen von Wertformanalyse und Austauschprozeß in dem Buch "Das Kapitel vom Geld" trotz richtiger Einsichten in den bezeichneten Fehler. Zwar heben sie hervor: "Erst die vorausgesetzte Analyse der Warennatur, ausgehend von der einfachen Wertform bis hin zur Geldform, ermöglicht die Warenbesitzer als das darzustellen, was sie wirklich sind: für‑sich‑seiende Ware, d. h. mit Bewußtsein behaftete Ware, nur Personifikation der ökonomischen Verhältnisse […], als deren Träger sie sich gegenübertreten." (S. 173), doch hindert sie diese Aussage nicht, im selben Atemzug von zwei getrennten "Ableitungsebenen" zu sprechen (die Tautologie "theoretische Ableitung", bezogen auf die Wertformargumentation von Marx, kennzeichnet schon ihre falsche Auffassung vom Entwicklungsgang der Marxschen Darstellung). So nehmen sie dann auch die ausgesprochene Einsicht in die Bestimmtheit des gesellschaftlichen Handelns durch die ökonomischen Formbestimmungen wieder zurück: "Damit das Ausschließen einer spezifischen Warenart statthat, damit also die Verdoppelung der Ware in Ware und Geld abgeleitet werden kann, ist es notwendig, daß die Ware "nicht wie bisher analytisch bald unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchswerts, bald unter dem Gesichtspunkt des Tauschwerts betrachtet, sondern als ein Ganzes wirklich auf andere Waren bezogen wird. Die wirkliche Beziehung der Waren aufeinander ist aber ihr Austauschprozeß". (S. 161) Der Versuch, diese Aussage mit Marx‑Zitaten zu belegen erweist sich allerdings als brüchig und selbst philologischer Redlichkeit spottend.
Der Briefhinweis an Engels, daß er "dies über Geldform nur des Zusammenhangs wegen" eingefügt habe, den sie als Beleg dafür nehmen, daß das Geld noch nicht ins 1. Kapitel gehöre, bezieht sich bei Marx nur auf die zusätzlichen Reflexionen über die Besonderheit des Übergangs vom allgemeinen Äquivalent zum Geld. Der von Marx in den späteren Auflagen gestrichene letzte Satz des 1. Kapitels der Erstauflage des "Kapital", der auch in der oben zitierten Aussage als Beleg für die Unterscheidung von bloß theoretischer Beziehung der Waren im 1. Kapitel und ihrer praktischen Realität im 2. Kapitel herhalten muß, zielt bei Marx auf die Darstellung, die Art und Weise, wie die Ware von ihm betrachtet wird ‑ im 1. Kapitel werden ihre Bestimmungen analysiert, im 2. Kapitel der Prozeß, in dem diese Bestimmungen existieren (vgl. MEW 13/28). Das Problem der objektiven Existenz aller Formbestimmungen hatte Marx sicher nicht (vgl. MEW 13/637). Daß es sich bei der Warenanalyse um wirklich Kategorien handelt, nicht um "theoretische Ableitungen", die ihre Realität jeweils nachgeliefert bekommen, spricht Marx überall deutlich genug aus.
Die Argumentation der "Projektgruppe" schlägt dies alles endgültig in den Wind, wenn schließlich die Subjekte dazu erkoren werden, den inneren Widerspruch der Ware als äußeren darzustellen ‑ "Sie (die Warenbesitzer) stellen so den inneren Gegensatz der Ware als äußeren dar" (S, 177) ‑, obgleich im ersten Kapitel von Marx die Verdoppelung der Ware als notwendig entwickelt worden war. Der Schluß ‑ "Die Darstellung des Austauschprozesses ist somit Glied der logisch‑genetischen (!) Darstellung. Ohne sie wäre die Ableitung des Geldes und damit der preisbestimmten Ware nicht geleistet." (S. 177) ‑ und die Behauptung ‑ zwei Schritte seien die Voraussetzung der Entfaltung der Geldtheorie, "die Ableitung der allgemeinen Äquivalentform als Betrachtung des "inneren notwendigen Zusammenhangs zwischen Wertform, Wertsubstanz und Wertgröße", und die Ableitung des Geldes aus der Struktur des Austauschprozesses" (S. 203; sie beziehen sich hier affirmativ auf Aussagen von Reichelt, die denselben Fehler enthalten) ‑ sind die Konsequenz dieser falschen Auffassung vom Gang des Kapital.
Die andere verbreitete Auffassung, die das zweite Kapitel als Beschreibung einer vergangenen Phase eines einfachen bzw. ursprünglichen Warentausches im Unterschied zum entwickelten kapitalistischen Warentausches erklärt, beweist ihre Absurdität schon darin, daß sie die allererste Aussage von Marx. die Ware sei Elementarform des kapitalistischen Reichtums, schlicht negiert und auch alle weiteren Hinweise von Marx darauf, daß er von der Realität kapitalistischer Verhältnisse handelt, geflissentlich beiseite lassen muß. (Vgl. z.B. Brief vom 2. April 1858: "Diese einfache Zirkulation für sich betrachtet - und sie ist die Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft, worin die tieferen Operationen ausgelöscht sind - , zeigt keinen Unterschied zwischen den Subjekten des Austausches, außer nur formelle und verschwindende […] Kurz, es ist hier alles "scheene", wird aber gleich ein Ende mit Schrecken nehmen, und zwar in Folge (!) des Gesetzes der Äquivalenz.")

[2] Die hier von Marx getroffenen Aussagen über Privateigentum als rechtliche Form dürfen ebenfalls nicht als Ableitung in dem Sinn mißverstanden werden, als ob die weitere Entwicklung der ökonomischen Bestimmungen jeweils des Rückgriffs auf die Eigentumskategorie bedürften. Es sind vielmehr Reflexionen auf die Oberfläche, nicht der notwendige Übergang aus der Sphäre der Ökonomie in die des willentlichen Bezugs der Subjekte aufeinander (dieser setzt die entwickelten Konkurrenzbestimmungen voraus). Daß Schlüsse von der Warenbestimmung auf ihre spezifischen Durchsetzungsformen an der Oberfläche Inhalt des Kapitels sind, zeigt sich noch daran, daß Marx hier auf alle weitergehenden Ausführungen über die Oberflächenformen verzichtet, wie er sie in den Grundrissen z. B. im Hinblick auf die im Warentausch eingeschlossenen gesellschaftlichen Bestimmungen der Subjekte als freie und gleiche macht (vgl. GR/81,153 ff.,905 ff.). Im "Kapital" greift er diese nur in einer Fußnote, die die Vulgärsozialisten kritisiert, auf, beschränkt sich ansonsten aber streng auf die Momente des willentlichen Handelns. die unmittelbar die Warenbeziehung wie sie im 1. Kapitel entwickelt ist, repräsentieren. Auf den Austauschprozeß geht er jeweils an den Stellen ein, wo im Entwicklungsgang bestimmte ökonomische Kategorien auf ihn verweisen oder wo solche Schlüsse den erreichten Stand der Argumentation verdeutlichen können. Daher greift er Freiheit und Gleichheit als Bestimmungen der Subjekte im Austausch an der Stelle noch einmal zusammenfassend auf, wo sich aus dem Gang der ökonomischen Formanalyse eine Unterscheidung an den Subjekten ergeben hat (Kapitalist - Arbeiter), wo die ökonomische Analyse auf eine andere Sphäre verweist ‑ die Produktion als Konsumtion der Ware Arbeitskraft ‑, oder dort, wo die Untersuchung des Produktionsprozesses erwiesen hat, daß das Kapital als Resultat fremder Arbeit seine Voraussetzungen, die es in der Zirkulation vorfindet (die Ware Arbeitskraft und die Produktionsmittel) selbst produziert und reproduziert und somit in den Zirkulationsformen sich ein ganz anderer Inhalt vollzieht ‑ "Umschlag des Eigentumsgesetzes".
Das 2. Kapitel erklärt nicht, wie die verwandelten Oberflächenformen sich aus dem ökonomischen Entwicklungsgang ergeben ‑ dies ist Inhalt der fortschreitenden Analyse der ökonomischen Formbestimmungen. Auch wird noch nicht dargestellt, wie das im Warenbezug implizierte gesellschaftliche Verhältnis der Subjekte existiert - nämlich als staatlich garantiertes Rechtsverhältnis), da dies weitere Schlüsse auf andere Oberflächenformen notwendig machen würde.

[3] Vgl. MEW 13/28: "Es ist dies gesellschaftlicher Prozeß, den die voneinander unabhängigen Individuen eingehen, aber sie gehen ihn nur ein als Warenbesitzer; ihr wechselseitiges Dasein füreinander ist das Dasein ihrer Waren, und so erscheinen sie in der Tat nur als bewußte Träger des Austauschprozesses."

[4] Der Schluß von der Ware auf ein bestimmtes gesellschaftliches Verhältnis zwischen den Warenbesitzern ‑ Anerkennung als Privateigentümer, Vertrag ‑ ist bis in die parallelen Formulierungen eine implizite Kritik der Hegelschen Darstellung des Privateigentums in der Rechtsphilosophie. Während Hegel aus dem abstrakt freien Willen als Begriff des Willens überhaupt, der sich in Dingen eine äußerliche Existenz geben muß, die Beziehung der Subjekte aufeinander ableitet ‑ Hegel entwickelt also aus dem Verhältnis des freien Willens zu den Naturgegenständen vor jeder Gesellschaftlichkeit das Privateigentum als Begriff menschlicher Naturaneignung und leitet aus diesem Verhältnis Mensch Ding die gesellschaftliche Beziehung der Individuen (gegenseitige Anerkennung als Privateigentümer) als dem Wesen des Menschen adäquates Willensverhältnis ab, ‑ stellt Marx dar, daß die spezifische ökonomische Beziehung der Subjekte über Waren ihre gegenseitige willentliche Anerkennung als Privateigentümer impliziert. Privateigentümer‑Sein, abstrakt freier Wille ist gesellschaftliche Formbestimmung des Willens die nicht der "Natur" des Willens entspringt, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis voraussetzt, in dem die Subjekte sich ihren eigenen Produktionsverhältnissen unterwerfen, die in sachlicher Form den Zusammenhang zwischen den Individuen bestimmen.

[5] Vgl. MEW 13/29 L, wo Marx allerdings in der Darstellung die ökonomischen Formbestimmungen nicht streng von ihren Durchsetzungsformen im gesellschaftlichen Handelnder Tauschsubjekte trennt.

[6] Vgl. MEW 13/29; GR/74, 910 f. In den Grundrissen und angedeutet auch in MEW 13 finden sich in diesem Zusammenhang weitere Ausführungen einerseits über die voraus gesetzte Arbeitsteilung und ein entwickeltes System von Bedürfnissen, andererseits über das wechselseitige Zweck‑Mittel‑Verhältnis der Warenbesitzer in diesem Prozeß.

[7] Vgl. MEW 13/30: "Dieselbe Beziehung also soll Beziehung der Waren als wesentlich gleicher, nur quantitativ verschiedner Größen, soll ihre Gleichsetzung als Materiatur der allgemeinen Arbeitszeit und soll gleichzeitig ihre Beziehung als qualitativ verschiedene Dinge, als besondre Gebrauchswerte für besondre Bedürfnisse, kurz, sie als wirkliche Gebrauchswerte unterscheidende Beziehungen sein. Aber diese Gleichsetzung und Ungleichsetzung schließen sich wechselseitig aus."

[8] Der Unterschied der Darstellung in der 1. Auflage und den späteren Auflagen (vgl. Fußnote 1) liegt abgesehen von der Streichung des letzten Satzes des 1. Kapitel der 1. Auflage v. a, in der Änderung dieses Passus. Die 1. Auflage argumentiert an dieser Stelle noch ganz im Sinne der Wertformanalyse und bringt so die Oberflächenargumentation in der Darstellung unmittelbar zusammen mit der Analyse des Warenwiderspruchs in seinen entfalteten Formen: "Der Geldkrystall ist notwendiges Produkt des Austauschprozesses der Waren. Der immanente Widerspruch der Ware als unmittelbare Einheit von Gebrauchswerth und Tauschwerth, als Produkt nützlicher Privatarbeit die ein nur vereinzeltes Glied eines naturwüchsigen Gesamtsystems der nützlichen Arbeiten oder der Teilung der Arbeit bildet, und als Verdoppelung der Waare in Waare und Geld gestaltet hat. In demselben Masse daher, worin sich die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waaren, vollzieht sich die Verwandlung von Waare in Geld." (1. Auflage/48) Der Grund hierfür liegt darin, daß Marx in der 1. Auflage das allgemeine Äquivalent als Geld erst im 2. Kapitel dargestellt, diesen Mangel aber dann schon im Anhang zur 1. Auflage ausbessert. Seit der 2. Auflage sind die Ebene des Austauschprozesses und seiner historischen Entwicklung und die Ebene der Wertformanalyse klarer voneinander geschieden. Die Analogie der Wertformargumentation mit den wesentlichen Stufen der historischen Entwicklung, wie Marx sie im folgenden skizziert, darf nicht zu dem Fehlschluß führen, die Analyse der Ware sei nichts weiter als die logische Abstraktion des Entstehungsprozesses der Warenzirkulation. Im 1. Kapitel wird aus dem Widerspruch der existierenden "Elementarform" Ware darauf geschlossen, daß es Geld geben muß und in diesem die anderen Wertformen aufgehoben sind. Dagegen entwickelt sich historisch ‑ wie im 2. Kapitel dargestellt ‑ mit dem Geld auch erst der Produktentausch zum wirklichen Warentausch.

[9] Vgl. 1. Aufl./783: ".Man sieht, die eigentliche Geldform bietet an sich gar keine Schwierigkeit […]Es handelt sich nur noch darum, daß die Ausschließung objektive gesellschaftliche Konsistenz und allgemeine Gültigkeit gewinnt, daher weder abwechselnd verschiedene Waren trifft, noch eine bloß lokale Tragweite in nur besonderen Kreisen der Warenwelt besitzt."