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Freitag: Die Ost-West-Wochenzeitung  18

06.05.2005


 

Rainer Fischbach

Was hat die Eliteuni mit dem Hohenzollernschloss zu tun?

 



BILDUNG UND WETTBEWERB I*Über die Güte des Bildungsangebots entscheidet nicht die Nachfrage

Der Weg in die moderne Barbarei führt über die Gewöhnung an Widersprüche. "Krieg ist Frieden", diesen zentralen Punkt des Orwellschen Programms brachte die rot-grüne Koalition schon in ihren ersten Wochen hinter sich. Dass wir zum Wohle des Standorts erstens mit weniger Geld auskommen und zweitens endlich mehr konsumieren sollen, repetieren zwar lange schon die Medien, nur das doofe Publikum hat noch nicht kapiert, wie das geht. Deshalb stehen jetzt verschärfte bildungspolitische Maßnahmen auf dem Programm. Marktwirtschaftliche Prinzipien sollen in Zukunft das Bildungswesen ordnen, damit das knappe Gut Bildung nicht länger verschwendet, sondern im Wettbewerb effizient produziert und genutzt werde. Wie sich die Idee der Eliteuniversität, die nun auf Geheiß der Regierung entstehen sollen, damit verträgt, fragt niemand.

Die Eliteuni ist für die Bildungslandschaft der Berliner Republik, was das Hohenzollernschloss für die Berliner Stadtlandschaft: überflüssig, sauteuer und stockreaktionär, Ausdruck einer so verdrängungsseeligen wie nostalgietriefenden Sucht nach einer greifbaren, positiven Identität durch nationale Größe. Nein, es reicht nicht mehr, auch mal Fußball-Weltmeister gewesen zu sein, jetzt müssen auch noch das deutsche Buckingham und das deutsche Oxford her. Die refeudalisierte Republik bedarf emotionaler Schmierung.

Es ist eine Sache, zur Kenntnis zu nehmen, dass es in den heutigen Gesellschaften Menschen gibt, die wohlhabender, einflussreicher, gebildeter und prominenter sind als andere, und man kann die Gruppe der besonders Wohlhabenden, Einflussreichen, Gebildeten und Prominenten "Elite" nennen. Das entspricht einem funktionalen Elitebegriff. Zu behaupten, diese Gruppe sei durch Begabung, Initiationsrituale und das Durchlaufen bestimmter Eliteeinrichtungen vor allen anderen "auserwählt", markiert dagegen den Übergang zu einem reaktionären, essentialistischen Elitebegriff, der auf eine säkularisierte Form des Gottesgnadentums hinausläuft.

Oxford und Cambridge, die französischen Grandes Ecoles und die amerikanische Ivy League existieren nicht dank des Marktes, sondern dank ihrer Symbiose mit den herrschenden und wohlhabenden Schichten. Sie sichern nicht nur deren Reproduktion, sondern legitimieren auch deren Funktion. Und sie werden dafür alimentiert und begünstigt: durch horrende Studiengebühren, durch Zuwendungen ihrer Alumni und von Sponsoren aus der Wirtschaft, durch staatliche Subsidien und Privilegien, durch den bevorzugten Zugang ihrer Absolventen zu den höchsten Posten. Die Kooption geeignet erscheinender Individuen anderer Schichten ermöglicht zudem eine erweiterte Reproduktion oder wenigstens die Stabilisierung der Eliten beziehungsweise eines gewissen wissenschaftlichen Niveaus ihrer Ausbildung. Der massive Zustrom hoch qualifizierter Ausländer, von denen besonders die US-Eliteunis abhängen, ist eher ein Zeichen der Schwäche als eine Stärke des Modells und verweist darauf, dass es nicht verallgemeinerbar ist, weil es die Ausbeutung überseeischer Ressourcen einschließt. Ein Spiel, bei dem die Eliten der Berliner Republik wohl gerne mitspielen möchten.

In den Promotionsprogrammen, in den Labors und im Lehrkörper dieser Einrichtungen spielen Menschen, die ihre wissenschaftliche Ausbildung anderswo - auch in Deutschland - erhalten haben, längst eine unersetzliche Rolle. Das kann sicher nicht daran liegen, dass diese Ausbildung wesentlich schlechter ist als die, die dort zu haben ist. Überhaupt, es ist schon merkwürdig, dass deutsche Technik auf dem Weltmarkt einen Exportrekord nach dem anderen erzielt, wo doch an ihrer Entwicklung und Produktion die Absolventen der schlechtesten Unis wirken. Weshalb fahren auch die Absolventen amerikanischer Eliteunis lieber BMW, Audi oder Porsche anstatt der Autos, die ihre ehemaligen Kommilitonen konstruieren? Oder beschäftigen sich die gar nicht mit solch banalem Zeug? Wie konnte ein solches Gebilde aus Betrug und Inkompetenz wie Enron jahrelang bestehen, Investmentbanken und Rating-Agenturen täuschen, wo doch dort überall vor allem Absolventen von Eliteunis am Werke sind? Von Harvard oder Yale zu Goldman Sachs oder Standard & Poor, das gilt als normal. Auch die Personalpolitik bei Enron folgte konsequent der Talentphilosophie aus dem Hause McKinsey, die der von dort kommende, inzwischen inhaftierte Jeffrey Skilling durchsetzte.

Eliteunis sind eher Beispiele für Kartelle als für den freien Wettbewerb. Doch heißt das, dass letzterer das erstrebenswerte Gegenmodell wäre? Wettbewerb kann nämlich nicht funktionieren, weil ihm die Voraussetzungen fehlen. Anders als beim Markt für Brot oder Bier, wo jedermann durch Versuch und Irrtum über die Preiswürdigkeit des Angebots befinden kann, bleibt der "Bildungsmarkt" für die meisten "Kunden" intransparent; wobei die Transparenz mit wachsender Distanz zur Bildungssphäre abnimmt. Ein "Bildungsmarkt" bringt keine egalitären Verhältnisse hervor, sondern bevorzugt die Käufer mit Bildung und Vermögen sowie die Anbieter mit ererbter Reputation. Er führt nicht zu einem freien und fairen Wettbewerb, sondern befördert gerade die Oligarchisierungs- und Kartellbildungsprozesse, die Freiheit, Gleichheit und Solidarität zerstören.

Beide, das marktwirtschaftliche und das traditionelle elitäre Bildungsmodell basieren auf der Fiktion, dass man Wissen exklusiv aneignen und verwerten könne, sei es individuell als Ware, sei es als gehütetes Geheimnis durch eine auserwählte Gruppe. Beide Modelle befördern Haltungen, die nicht nur einer demokratischen Gesellschaft unwürdig, sondern ihrem materiellen Gedeihen unzuträglich ist: Der Trend zur Privatisierung von Wissen auf allen Ebenen verursacht Milliardenschäden. Doch das Schlimmste an diesen Modellen ist, dass sie alle betrügen und entmündigen, die sich ihnen unterwerfen: Bildung ist etwas, was ich weder als Kunde auf dem Markt, noch als Adept eines arkanen Kultes erlange, sondern indem ich im Austausch mit anderen und mit der Bereitschaft zur Selbstveränderung mich den Fragen widme, die mich und andere bewegen.

   
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