Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann
- aber vielleicht trotzdem etwas mit Kommunismus zu tun hat


Vortrag auf der 1. Oekonux-Konferenz in
Dortmund vom 28. - 30. 04. 2001


Von Sabine Nuss und Michael Heinrich

Inhalt:

I. Freie Software als "Anomalie"

II. Reaktionen

a) Freie Software als Keimform einer zukünftigen nicht-kapitalistischen Gesellschaft

b) Freie Software als Chance: versus soziale Ungleichheit im Informationskapitalismus

III. Entgegnungen

a) Entzieht sich Freie Software der Verwertung?

b) Keimform

c) Selbstentfaltung

 

I. Freie Software als "Anomalie"

Die Herausbildung weltweiter Verknüpfung von Computern und Computernetzen stellt nicht nur selbst eine neue Kommunikationstechnologie dar, sondern bringt auch sukzessive neue Informationsprodukte, Produktions- und Distributionsformen hervor. Musik, Literatur, Software oder Filme gab es zwar schon vor dem Internet, aber mittels der Digitalisierung können die "Netzinhalte" (Text, Klang, Bild, Algorithmen) als Bits ohne größeren Aufwand und verlustfrei (das Original "leidet" nicht) vervielfältigt und direkt an die computerisierten Nutzer verbreitet werden. Ein Zwischenhändler oder ein Distributor, der zugleich das Monopol auf die Verwertungsrechte der Inhalte hat, wird damit obsolet. So kann ein Musiker sein neues Stück direkt ins Netz stellen, ein Schriftsteller seinen Text, ein Programmierer seine Software. Weiterhin kann an einem Informationsprodukt, wie beispielsweise Software, weltweit und dezentral gearbeitet werden, vorausgesetzt die technische Infrastruktur und das Know-How sind gegeben.

Dieses Charakteristikum des Internet (Digitalisierung + weltweiter Transfer) stellt die Frage nach den kapitalistischen Verwertungsmöglichkeiten von Informationsprodukten neu. Zur Verwertung benötigt man nicht nur ein Produkt, welches auf ein zahlungswilliges und zahlungsfähiges Bedürfnis stößt, sondern auch die Gewißheit, dass dieses Produkt nirgendwo anders ohne großen Aufwand quasi umsonst zu haben ist: Verwertung braucht Knappheit. Das Internet bietet jedoch zumindest im gegenwärtigen Zustand einen "Überfluss" an Daten, oder besser: Die Abschliessung von Daten im Netz unter dem exklusiven Titel des privaten Eigentums ist technisch noch nicht umfassend realisiert.1 So schwirren und flirren von Rechner zu Rechner quer über Ländergrenzen hinweg Informationsprodukte in Form von Bits und Bytes und tun so, als hätten sie mit der Warenform nichts am Hut.

Während Unternehmen versuchen, die traditionellen Intellectual Property Rights (IPR) mittels technischer Sicherungsinstrumente (Kopierschutz) auch im Cyberland durchzusetzen und damit eine Art virtueller Enclosures2 (Aneignung von Datenland) initiieren, während zugleich die Staaten Nutzer und Anbieter von frei zugänglichen digitalen Inhalten illegalisieren, um auch das Cyberland der herrschenden Rechtsordnung zu unterwerfen, entstehen andererseits Produkte und Produktionsformen, die sich diesen Enclosures und der Verwertung (zu) entziehen (meinen?): Die Freie Software.

Freie Software ist Software, die sich von kommerzieller Software im wesentlichen dadurch unterscheidet, dass ihr Quellcode3 bei Weitergabe des Programms mitgeliefert, einsehbar und veränderbar ist. Die Nutzung Freier Software ist kostenlos (das heißt nicht, dass ihre Träger, wie z.b. CD-ROM, kostenlos sind). Die Produktion Freier Software erfolgt im wesentlichen dezentral (via Internet, örtlich ungebunden) von unterschiedlich organisierten Entwicklerteams und zumeist ohne finanzielle Entlohnung. Die Entwickler befinden sich mit dieser Tätigkeit (in der Regel) in keinen eigens dafür zweckbestimmten Lohnarbeitszusammenhängen, sondern programmieren in der Freizeit, während der regulären Arbeitszeit oder nach Feierabend; und bei Studenten im Rahmen oder während des Studiums. Der Zweck der Programmierarbeit ist nicht der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert: Es wird gearbeitet, um ein Produkt herzustellen, nicht um zu tauschen. Das Produkt, die Freie Software, wird ins Netz gestellt; zum einen kann so jeder Programmierer weltweit an der Entwicklung mitarbeiten, zum anderen können Anwender sich so ebenfalls weltweit das Produkt auf ihre Festplatte laden - ohne dafür zu bezahlen.

Privateigentum an Freier Software gibt es nicht. Das bekannteste rechtliche Instrumentarium, welches Freie Software vor einer Reprivatisierung schützen soll, ist die GNU General Public License (GPL) - auch "Copyleft" genannt4. Neben GPL entstanden und entstehen allerdings zahlreiche Lizenzen, die die strikten Regelungen der GPL aufweichen (vgl. ausführlich zu Freier Software: Grassmuck 20005). Zu den bekanntesten Freien Software-Programmen zählen u.a. das Betriebssystem Gnu/Linux, der Internet-Server Apache, der Compiler Gcc, die Programmiersprache Perl, das Desktop KDE, das Bildbearbeitungsprogramm Gimp, usw.

Auf neue technische Entwicklungen folgen in der Regel theoretische Reflexionen, die das Neue einordnen, interpretieren und begreifen wollen. Oftmals werden auf der gefundenen Deutung aufbauend Prognosen über die zukünftigen Konsequenzen des Neuen abgegeben. Bei der Freien Software sind die reflektierenden Publizisten, Wissenschaftler, Politiker, Künstler, Journalisten, Techniker usw. mit einer "Anomalie" konfrontiert, wie sie - in ganz anderen Zusammenhängen - von dem Wissenchaftshistoriker Thomas Kuhn ("Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen", 1962) beschrieben wurde. Kuhn betonte, dass die wissenschaftliche Entwicklung nicht einfach in einer Abfolge bestätigter oder falsifizierter Theorien besteht, sondern dass der Theoriebildung "Paradigmen" zugrunde liegen, Muster, nach denen Theorien überhaupt gebildet werden und in denen sich eine bestimmte Weltsicht niederschlägt. Paradigmen können durch Erfahrung nicht ohne weiteres widerlegt werden, da sie die Verarbeitung von Erfahrungen ganz wesentlich organisieren. Eine "Anomalie" ist ein Phänomen, das sich der üblichen Verarbeitung entzieht, es passt irgendwie nicht so richtig in das herrschende Paradigma hinein. Kuhn beschreibt verschiedene Arten, wie die wissenschaftliche Community auf solche Anomalien reagieren kann. Die Anomalie kann von vorneherein ignoriert werden (mitunter auch, weil sie gar nicht als Anomalie wahrgenommen wird). Wird sie wahrgenommen, dann wird normalerweise versucht, sie mit Hilfe zusätzlicher Annahmen doch irgendwie in das herrschende Paradigma zu integrieren. Wenn dies mißlingt, wird sie meistens als "ungelöstes Problem" zur Seite gelegt, in der Hoffnung, dass künftige Forscher das Problem lösen werden. Ein besonderer Fall liegt jedoch vor, wenn diese Anomalie in ein neues Paradigma paßt, das mit dem herrschenden Paradigma konkurriert. Dann wird die Anomalie von den Anhängern des neuen Paradigmas begierig als "Bestätigung" aufgegriffen.

Zu den paradigmatischen Grundlagen der bürgerlichen Ökonomie gehört die Auffassung, dass nur Privateigentum für die Einzelnen eine ausreichende Anreizfunktion habe und daher auch nur Privateigentum zu (wirtschaftlicher) Effizienz führen könne. Dieser Gedanke hat eine lange ideengeschichtliche Tradition. Schon Aristoteles machte ihn gegen die Staatsutopie Platons (die für die herrschende Klasse eine auf Gemeineigentum beruhende Gemeinschaft vorsah) geltend. Mit John Locke (1632-1704) - der zentralen Gestalt der frühen bürgerlichen Sozialphilosophie - erfährt dieser Gedanke dann die für die bürgerliche Ökonomie entscheidende Zuspitzung. Er betrachtete die "eigene Arbeit" (zu der er allerdings immer schon auch die Arbeit des eigenen Knechtes rechnete) als Grundlage des Eigentums: was ich mit eigener Arbeit "vermischen" kann, wird zu meinem Eigentum. Gemeineigentum ist automatisch unproduktiv, denn wenn es wirklich Gemeineigentum bleiben soll, darf es niemand bearbeiten. Privateigentum, Arbeit und Produktivität wird damit sowohl funktional (produktive Arbeit nur möglich auf der Grundlage von Privateigentumsverhältnissen) wie auch normativ (Arbeit begründet das Eigentumsrecht) zusammengeschlossen. Im 20. Jahrhundert wurde dieser Gedanke von dem Ökonomen und Nobelpreisträger Douglass North mit dem Ziel, die Neoklassik zu ergänzen, quasi "modernisiert" ausformuliert. North, der "Pionier der Neuen Institutionenökonomik" vertrittt die Kernthese "je gesicherter die (privaten) Eigentumsrechte, desto größer der Anreiz, desto effizienter die Wirtschaftsleistung" und versuchte damit den Verlauf der Wirtschaftsgeschichte von der Jungsteinzeit bis zur Gegenwart zu erklären.

Die Freie Software steht jedoch quer zu diesen Auffassungen: nicht nur verzichten ihre Entwickler auf ihre Eigentumsrechte (ein solcher Verzicht ist auch in anderen Bereichen, etwa bei ehrenamtlichen Tätigkeiten nicht unbekannt), dieser Verzicht auf die Eigentumsrechte ist hier jedoch die Vorbedingung einer weltweiten Kooperation, durch die das Produkt überhaupt hervorgebracht und verbessert wird. Ohne Privateigentum existieren hier sowohl Arbeitsanreiz als auch Effizienz. Freie Software bricht den normativen wie auch den funktionalen Zusammenhang von Arbeit, Eigentum und Effizienz auf. Insofern ist Freie Software eine "Anomalie" für das Privateigentumsparadigma der bürgerlichen Ökonomie.

II. Reaktionen

Von der herrschenden, bürgerlichen Ökonomie wird die Anomalie "Freie Software" schlicht ignoriert. Zumindest ist uns kein Werk bekannt, welches Effizienz und Arbeitsanreiz bei Freier Software zu erklären versucht, wo doch die "Früchte" der Arbeit Gemeineigentum sind und bleiben.

Kritiker des herrschenden Paradigmas haben sich dagegen ausführlich mit Freier Software beschäftigt. Dabei lassen sich sehr grob zwei Gruppen unterscheiden. Die einen, wir nennen sie mal "Keimform-Theoretiker", meinen in der "Anomalie" Freie Software einen subversiven Gehalt zu entdecken: Die Freie Software wird als "Chance" gesehen, den Kapitalismus zu überwinden. Freie Software fungiert in diesem Verständnis als "Keimform" einer künftigen nicht-kapitalistischen Gesellschaft.

Auch die zweite Gruppe, wir nennen sie mal die "Reformisten", betrachtet Freie Software als Chance, allerdings nicht zur Überwindung des kapitalistischen Systems, sondern zu seiner systemimmanenten Verbesserung. Mittels Freier Software sollen die Ausschlussmechanismen des Marktes zumindest im Bereich des Wissens zurückgedrängt oder wenigstens abgemildert werden.

Wir beschäftigen uns in unserem Beitrag mit den beiden letztgenannten Positionen, da sie exemplarisch für einen Teil der Veranstaltungen der ersten Oekonux-Konferenz in Dortmund stehen.

II a) Freie Software als Keimform einer zukünftigen nicht-kapitalistischen Gesellschaft

Dass Freie Software Arbeitsanreize schafft und effizient ist, ohne dass sie jedoch Privateigentum wäre, wird von den "Keimform-Theoretikern" mit ihren spezifischen Produktionsbedingungen erklärt: Die Art und Weise, wie Freie Software entwickelt wird, sei eine im Gegensatz zur kapitalistisch organisierten Lohnarbeit nicht entfremdete Arbeit. Die Abwesenheit von Zwang (frei von Verwertungszwang, von Konkurrenzdruck, von Leistungs- und Termindruck, usw.) führe zu individueller Selbstentfaltung: Spass und Lust an der Tätigkeit und das Interesse an der Nützlichkeit des Produkts (nicht am Tauschwert) seien der treibende Motor und die Motivation der (in der Regel unbezahlten) Programmierung von Freier Software. "Nur in freien Projekten, in denen sich Einzelne nicht wie in Kommerzprojekten nur auf Kosten anderer durchsetzen können, sondern nur in Kooperation mit ihnen, steht das eigene Interesse nicht im Widerspruch zu den Interessen anderer. Diese Form der eigenen Entfaltung in einer kooperativen Form meine ich mit dem Begriff der Selbstentfaltung." (Meretz 2000:9). Die Möglichkeit der Selbstentfaltung in einem anspruchsvollen Tätigkeitsbereich schafft einerseits den Arbeitsanreiz, andererseits soll gerade diese vom Konkurrenzdruck freie Selbstentfaltung neue Produktivitätspotentiale freisetzen, die für die Effizienz freier Software verantwortlich ist und die von kapitalistischen Unternehmen nicht im selben Maße erreicht werden könne. Dies - zusammengenommen mit der neuen Technologie, also der einfachen Reproduzierbarkeit und Verbreitung von Wissen - stelle den Kapitalismus grundsätzlich in Frage: "Ist diese Technik an sich schon revolutionär genug, ... so hat die digitale Kopie in Verbindung mit Freier Software und deren Selbstentfaltung erst wirklich systemsprengendes Potential" (Merten 2001)6.

Dieses systemsprengende Potential wird vor allem in einer weiteren Eigenschaft Freier Software gesehen: Freie Software befinde sich außerhalb der "Verwertungs-Maschine" des Kapitalismus: Zwar sei das Kapital auch daran interessiert, mit Freier Software Geld zu verdienen und tut es auch, stosse dabei jedoch an Grenzen: "Sie [die GNU General Public License, die Verf.] stellt sicher, daß Software dauerhaft frei bleibt oder ökonomisch formuliert: Sie entzieht Software dauerhaft der Verwertung". (Meretz 2001). In diesem Zusammenhang wird auch auf den "Community-Geist" der Freien Software-Bewegung verwiesen, der eine Verwertung Freier Software zusätzlich erschwere. So habe die Firma Corel eine GNU/Linux-Distribution vermarkten wollen, ohne jedoch den Quellcode offenzulegen und sei damit gescheitert: "Sehr schnell haben sie (Corel, die Verf.) eingesehen, daß sie sich besser nicht mit der Freien-Software-Bewegung anlegen, die bei Bekanntwerden dieser Fakten empört aufgeschrien hat." (Merten 2001).

Die Rede von der "Keimform" impliziert, dass sich aus der Freien Software etwas entwickelt: "Die Freie Software da herausgeholt zu haben [aus dem Verwertungszusammenhang, die Verf.], war eine historische Tat. Jetzt geht es darum, sie draußen zu behalten, und nach und nach weitere Bereiche der kybernetischen Maschine abzutrotzen" (Meretz 2001).7 Anscheinend soll Freie Software so eine Art nicht-kapitalistischer Brückenkopf innerhalb des kapitalistischen Terrains sein, von dem ausgehend dann immer neue Gebiete erobert, d.h. der Verwertung entzogen werden, bis für das Kapital schließlich nichts mehr übrig bleibt. Das Ergebnis dieses Prozesses wäre eine neue Gesellschaft, die "GPL-Gesellschaft" (Merten in Anlehnung an die General Public License): "Die Freie Software mit ihren Prinzipien jenseits der Verwertung, die das Wort von der Informationsgesellschaft auf den Begriff bringt, scheint die lange gesuchte Keimform zu sein, die eine Vergesellschaftung auf dem Stand der Produktivkraftentwicklung aber jenseits der Tausch- und Arbeitsgesellschaft erstmals aufscheinen läßt" (Merten 2001).

Zwar sei heute nicht klar, wie so eine "GPL-Gesellschaft" genau aussehen würde, es könne allerdings auf Basis der gemachten Erfahrungen mit Freier Software erörtert werden, auf welchen Grundlagen eine solche Gesellschaft beruhen müsste. Diese seien charakterisiert von frei zur Verfügung stehenden Gütern und Wissen. Es wird genommen, was gebraucht wird und nicht gegen Geld getauscht. Die Produktionsmittel müssten "Selbstentfaltung auf breiter Basis" ermöglichen, es müsse Spass machen, an diesen Produktionsmitteln tätig zu sein. Es gäbe keine Arbeit mehr im herkömmlichen Sinne, es würde nicht mehr für einen Markt produziert werden, sondern aus "konkreten, menschenbezogenen Gründen" (vgl. Merten 2000). Kurz: Es gäbe kein Geld, keine Ware, keine (Lohn)Arbeit, kein Tausch und die wichtigste Produktivkraft der Menschheit wäre die menschliche Selbstentfaltung. In diesem Zusammenhang wird auf bereits bestehende freie Projekte im Internet verwiesen, wie beispielsweise "freie Musik", "freie Literatur", aber auch auf "freie materielle Güter" wird verwiesen, wie die Planung eines Autos (Oscar) oder die Entwicklung elektronischer Schaltungen (hier wird allerdings angemerkt, dass die Realisierung dieser Pläne eine kommerzielle Firma übernehmen kann, ihr Vorteil liege darin, dass sie die Kosten für Entwicklung nicht selbst tragen müsse). Außerdem seien Entwicklungen zu beobachten, in denen Firmen ihre normalerweise streng gehüteten Designs "beFreien", um von den Vorteilen "Freier Entwicklungsprozesse" zu profitieren.

Wie sich aus der Freien Software als Keimform die "GPL-Gesellschaft" entwickelt, bleibt uneindeutig. "Keine neue Gesellschaft löst die alte ohne Widerstand ab. Zunächst entwickeln sich Keime des Neuem in den Nischen des Alten. Schließlich wird das Neue so mächtig, dass die Verwalter des Alten Konzessionen machen müssen und das Neue gleichzeitig bekämpfen und verhindern wollen. Das Neue wird sich dann durchsetzen, wenn es effektiv besser ist als das Alte. Dabei ist es klüger, nicht auf dem ureigenen Terrain des Alten zu kämpfen, sondern die Spielregeln zu ändern und sich auf neuem Terrain zu behaupten." (Meretz 2000)8. Einerseits klingt hier ein gewisser technischer Determinismus an, andererseits ist aber auch von Kämpfen die Rede. Faszinierend für die "Keimform-Theoretiker" scheint der Gedanke zu sein, dass man eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung erreichen kann, nicht in dem man den Kampf mit dem Alten direkt aufnimmt, sondern indem man das Neue bereits praktiziert. Dabei hat man dann vielleicht mit einigen Widerständen zu tun, das Terrain des Neuen, so die Überzeugung wird sich aber allein schon deshalb ausdehnen, weil es "effektiv besser" als das Alte ist - ein Gedanke, bei dem unterstellt ist, das altes und neues immerhin noch so nah sind, dass sie die Maßstäbe (wie zum Beispiel für Effektivität) teilen.

II b) Freie Software als Chance: versus soziale Ungleichheit im Informationskapitalismus

Ist die oben skizzierte "Keimform-Theorie" Freier Software darauf ausgerichtet, den Kapitalismus zu überwinden, verfolgen andere Denker eher "reformistische" Ansätze. Der Grundkonsens dieser Richtung liegt darin, dass eine zunehmende Ver*wissen*schaftlichung der Arbeit konstatiert wird. Information und Wissen werden demnach in der Zukunft eine zentrale Rolle spielen, von einem "Informationskapitalismus" ist die Rede. Diese Entwicklung wird aus verschiedenen Perspektiven beobachtet. Krämer (2000)9 konstatiert, dass die Spezifik der digitalen Information - ohne nennenswerte Kosten reproduzierbar und verteilbar zu sein - zu der ökonomischen Form der "Informationsrenten" führe. So würden die eigentlich frei verfügbaren und jedermann zugänglichen Informationsprodukte als kapitalistisches Eigentum produziert: "Das Eigentumsrecht bezieht sich auf das ideelle Produkt, die Urheberschaft der Idee bzw. des ursprünglichen Produkts, das den folgenden Kopien oder Anwendungen zugrunde liegt. Als solches ist es ein Monopol, und damit eine potenzielle Basis für Renteneinkommen" (Krämer 2000). Der Begriff der Informationsrenten ist an die Marx'sche Untersuchung der Grundrente angelehnt. So sei "Wissen" eine Art Rohstoff, bzw. Produktionsmittel, auf das die Kapitalisten einerseits angewiesen sind, womit sie andererseits aber überdurchschnittliche Profite erzielen können. Die monopolistische Position der Privateigentümer von spezifischen Informationen ermögliche Renteneinkommen, die nicht dem Ausgleich der Profitraten unterliegen, sondern dauerhaft und in großer Höhe bestünden. Das Hauptinteresse des Informationskapitalimus läge nun darin, die technisch mögliche billige Verbreitung und Nutzung von Informationsprodukten zu verhindern (ebd.). Bisher, so Krämer, erfülle der Informationskapitalismus seine "historische Mission", "zum Zwecke der Aneignung von Informationsrenten in gewaltigem Tempo die informationstechnische Erschließung und Durchdringung der Welt voranzutreiben" (ebd.). Die Kehrseite dieser Entwicklung sei die fortschreitende Privatisierung und Kapitalisierung der Medienwirtschaft und -infrastruktur bis hin zum Bildungswesen sowie der Polarisierung der Einkommen und Vermögen. Hier gegenzusteuern sei keine technische, sondern eine gesellschaftliche Angelegenheit, wobei Krämer auf Regulierungsmöglichkeiten mittels des Tarifrechts, des Arbeitsrechts, des Urheberrechts, der Sozialpolitik und des Steuersystems verweist. "Sozialistische Potentiale" würden überall dort durchscheinen, wo sich Wissenschaft, Kultur und Politik ihrer Unterwerfung unter die Logik des Kapitals widersetzten. Es ginge nun darum, gegen die Kürzungs- und Privatisierungsbestrebungen des Kapitals zu kämpfen. Dabei kommt die Freie Software als Hoffnungsträger ins Spiel. Mit ihr sei die Möglichkeit gegeben, dass sich das "sozialistische Prinzip" durchsetze, sie schlage die Monopolisten auf dem eigenen Feld (bessere Software) und aber ohne, dass es dabei um Kapitalverwertung gehe.

Auch Gräbe (2000)10 konstatiert als Problem, dass Information, Wissen und Kompetenz zunehmend marktgängig gemacht werden sollen, um sie in kapitalistische Verwertungszusammenhänge einzubinden. Dabei werde wenig Rücksicht genommen auf Traditionen im Umgang mit Wissen, das jahrtausendelang als freizügig zugängliches gesellschaftliches Gemeingut galt. In einem Akt ursprünglicher Akkumulation solle diese "Wissensallmende" (Grassmuck) parzelliert und damit Gemeineigentum an Wissen durch Privateigentum abgelöst werden, um in Zukunft nicht nur fremde Arbeit, sondern auch fremde Gedanken ausbeuten und die entsprechenden 'Informationsrenten' einstreichen zu können.

Gräbe unterscheidet in seiner Analyse die Infrastrukturarbeit von der produktiven Arbeit, wobei erst genanntes die Arbeit sei, "deren Früchte auch das Kapital verwerten möchte, welche es allein aus einem marktwirtschaftlichen Kalkül heraus aber nicht zu organisieren bereit ist, weil es sich um Dienste für die Allgemeinheit handelt, die nicht unmittelbar konkreten einzelnen Marktteilnehmern verkauft werden können" (Gräbe a.a.O., Hervorhebung im Orig.). Im weitesten Sinne beinhaltet die Infrastrukturarbeit also Wissensarbeit (Bildung, Forschung, Entwicklung). Auch die Infrastrukturarbeit würde jedoch Ressourcen verbrauchen, die auf "geeignete Weise" zu allozieren seien. Die gegenwärtige Gesellschaft, so die Kritik Gräbes, sei aber nicht in der Lage, diese Mittel in ausreichendem Maße sicherzustellen.

Im Gegensatz zur Infrastrukturarbeit sei produktive Arbeit profitbringende Arbeit, an der allein das Kapital unmittelbares Interesse habe. Das Kapital setze die für produktive Arbeit notwendige Infrastrukturarbeit schlicht voraus. Das Ringen um angemessene Ressourcen für diese Bereiche sei also stets mit dem Kampf um die Zurückdrängung von Profit- und Eigennutz-Kalkülen als primäre ökonomische Leitmotive zu verbinden und daher bräuchte es ein neues Effizienzprinzip, welches die Ökonomie der Zeit ergänzen und überlagern müsse. Langfristig, so Gräbe weiter, wenn sich das Zentrum menschlicher Arbeit in den Infrastruktursektor, in die Vorbereitung von Produktion, verschoben haben wird, quasi mit dem Übergang zur Wissensgesellschaft, werde dieses neue Effizienzprinzip schließlich das gesellschaftlich dominierende werden, ohne das alte Prinzip der Marktwirtschaft gänzlich zu verdrängen. Eine solche Wissensgesellschaft unterliege aber spezifischen Mechanismen, so funktioniere sie nur in einem Miteinander ihrer einzelnen Teile, nicht in ihrem Gegeneinander, sie könne sich also nur in solidarischer Interaktion entfalten. Dies sei auch heute im Wissenschaftsbetrieb zu beobachten.

An dieser Stelle nun kommt Gräbe auf eine ähnliche Keimform-Konstruktion zu sprechen, wie wir sie bereits oben bei den Anhängern der "Keimform-Theorie" erläutert haben. Gräbe zufolge entspringe den "modernen technisch-technologischen Bedingungen" ein "Solidargedanke", der als Keim bereits in der heutigen Gesellschaft vorhanden sei. Er "trägt damit eine immense gesellschaftsverändernde Sprengkraft in sich" (ebd.). Der Gedanke (der Solidarität) sei als solcher zwar alt, werde aber nun "von der Vision zur unabdingbaren Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Menschheit". Die Entwicklung hin zu der von Gräbe erläuterten Wissensgesellschaft schließe dabei - und hier unterscheidet er sich von den radikaleren Anhängern der "Keimform-Theorie" - den Wettbewerb, auch auf marktwirtschaftlicher Grundlage (!), ein. Die Förderung der Infrastrukturarbeit seitens des Staates könne den Wettbewerb dort "zähmen", wo er beginnt, sich gegen diese solidarische Grundlage selbst zu richten: "Instrumente und Ansätze für eine solche Zähmung gibt es bereits heute, gerade auch im Bereich Wissenschaft und Bildung, mehr als genug. Diese Ansätze selektiv verstärken zu helfen sollte deshalb als roter Faden alternative Politikangebote durchziehen" (ebd.).

III. Entgegnungen

Bei aller Unterschiedlichkeit der genannten Konzepte gibt es einen gemeinsamen Nenner: Der positive Bezug auf Freie Software. Sei es Freie Software als Keim einer künftigen nicht-kapitalistischen Gesellschaft, oder als Keim einer künftigen Wissensgesellschaft mit kleinem Marktanteil oder freie Software als "sozialistisches Prinzip" - in allen Überlegungen taucht sie als Hoffnungsträger für eine irgendwie "bessere" Welt auf. Wie kommt es, dass der Freien Software eine solch wichtige Vorreiterrolle zuerkannt wird? Erst mal ist Freie Software nichts als ein Produkt mit spezifischen Anwendungsprofilen zur Ausführung und Regulation von Arbeitsprozessen (oder Spielen). Freie Software ist also als fertiges Produkt, in seinen technischen Eigenschaften von proprietärer Software in nichts zu unterscheiden. Daß es mir als Benutzer möglich ist, die Software zu verändern (weil der Quellcode aufgrund der GPL offen und nicht wie bei proprietärer Software geschützt ist), hat nur für die kleine Minderheit von Nutzern Bedeutung, die sowohl über die technischen Fähigkeiten als auch über die Zeit für solche Eingriffe verfügen. Die Masse der Nutzer geht mit Freier Software auch nicht anders um als mit proprietärer.

IIIa) Entzieht sich Freie Software der Verwertung?

Dass sich "Freie Software" der Verwertung entziehen würde, ist ein oft gehörtes Argument bei jenen, die der Freien Software systemsprengendes Potential beimessen: Die Tatsache, dass die GPL den privaten Eigentumsanspruch verhindert, so das Argument, führe zu einem "Überfluß" an Freier Software, sie ist jedermann frei zugänglich und verunmögliche daher die künstliche Verknappung als Voraussetzung für kapitalistische Verwertung - etwas, was alle haben können, ist natürlich schwer verkäuflich. In dieser Wahrnehmung wird offensichtlich "Verkauf" mit "Verwertung" gleichgesetzt. Nun ist aber mit den Schwierigkeiten beim Verkauf nur eine Seite des Verwertungszusammenhangs "verwundet" und zwar jene, die in der Zirkulation stattfindet. In der Produktionssphäre kann Freie Software aber ohne weiteres eingesetzt und zum Bestandteil des kapitalistischen Verwertungsprozesses werden. Dies ist in zweifacher Hinsicht möglich. Zum einen kann Freie Software als kostenloses Produktionsmittel genutzt werden, was im Vergleich zur Verwendung proprietärer Software, die bezahlt werden muß, die Profitrate erhöht. Zum anderen kann Freie Software aus dem Netz gezogen und unter Zusatz von zusätzlicher Arbeit, wie Support oder der Erstellung von Handbüchern, verkauft werden. Verwertet hat sich dann das vorgeschossene Kapital für die Arbeitskraft und die Produktionsmittel für Handbücher oder/und CD-ROMs. Die Freie Software hat sich zwar nicht verwertet, weil kein Kapital dafür aufgewendet wurde, sie bildete in diesem Fall aber die Grundlage dafür, dass ein Verwertungsprozeß überhaupt in Gang kam. Freie Software wird bereits auf beide Weisen seit längerem verwendet, Tendenz steigend.11 Werner Winzerling machte in seinem Vortrag bei der Oekonux-Konferenz noch einen weiteren Grund für das Interesse gerade von Computerherstellern an Linux deutlich: da Microsoft ein Quasi-Monopol für PC-Betriebssysteme besitzt, sei Linux ein willkommenes Gegengewicht. In diesem Fall wäre das Interesse an Linux weder in seinen besseren Produkteigenschaften noch in seinem "freien" Charakter begründet, sondern schlicht und einfach darin, dass es überhaupt eine Alternative zu Windows darstellt

Freie Software kann als kostenloser Rohstoff angeeignet werden, wie Luft oder Sonne - mit dem einzigen Unterschied, dass menschliche Arbeitskraft darin steckt. Somit kann man folgern: Die völlig kostenlose Aneignung fremder Arbeit (nicht einmal Lohn ist zu zahlen) dient als Mittel für einen ganz normal kapitalistischen Verwertungsvorgang. Hier dreht sich der positive Bezug auf Freie Software gewissermaßen um: Die unbezahlte Aneignung von fremder Arbeit wird hier von der GPL legitimiert ("allen frei zugänglich"). Der "Überfluss" an Freier Software stellt für die Kapitalverwertung überhaupt kein Problem da, weder in der Zirkulationssphäre, noch in der Produktionssphäre. Dass sich Freie Software der Kapitalverwertung prinzipiell entziehen würde, ist eine Illusion.

III. b) Keimform

Über Freie Software als "Keimform" einer neuen Entwicklung wurde im Rahmen von oekonux schon viel debattiert (siehe www.oekonux-konferenz.de, Subjekt Keimform). Wenn wir diese Debatten richtig verstanden haben, ist dabei mit "Keimform" ein neues Prinzip gemeint, das zum einen mit dem bestehenden System prinzipiell unverträglich ist und das zum anderen zum Ausgangspunkt einer Unterminierung und schließlich einer Überwindung des alten Systems werden kann. Dass Freie Software zwar einerseits eine "Anomalie" für das Privateigentumsparadigma darstellt, dass sie aber mit dem alten System - der Kapitalverwertung - keineswegs unverträglich ist, haben wir oben zu zeigen versucht. Wie steht es aber nun mit der Ausbreitung der "Anomalie"? Als Ansatz dafür, wie man der "kybernetischen Maschine" weitere Bereiche "abtrotzen" könne, wird auf freie Projekte im Internet verwiesen, wie z.B. freie Literatur, freie Musik, eine freie Enzyklopädie, usw. Interessant wird es dann aber beim Hinweis auf "Freie materielle Güter", dort gäbe es auch schon Projekte, die versuchen, die Prinzipien Freier Software auf die Produktion materieller Güter umzusetzen: "Zunächst scheint dies eine unüberwindliche Hürde, da materielle Güter nicht den Bedingungen der digitalen Kopie unterliegen." (Merten a.a.O.) Dennoch seien einige interessante Entwicklungen zu beobachten. Als Beispiel wird Oscar, die Entwicklung eines Autos, oder die Entwicklung von Entwurfsplänen für elektronische Schaltungen genannt. In diesem Zusammenhang wird dann aber wieder darauf verwiesen, dass zur Realisierung dieser Ideen kommerzielle Firmen den Vorteil hätten, Entwicklungskosten zu sparen: "So gibt es inzwischen mehrere Projekte, die sich mit dem Design materieller Güter befassen. Sie entwerfen dabei ein Gut, das dann von kommerziellen Firmen hergestellt werden kann. Der Vorteil für eine Herstellerfirma liegt darin, daß sie die Kosten für eine Produktentwicklung nicht selbst aufbringen muß." (Merten a.a.O.). Von dem befremdlich wirkenden Umstand abgesehen, dass hier die Kostenersparnis eines kapitalistischen Unternehmens als "Vorteil" der Freien Software gepriesen wird, erscheint uns die von Merten als nur "zunächst" unüberwindlich bezeichnete Hürde vielmehr konstant unüberwindlich zu sein.

Dass Freie Software auf (relativ) breiter Basis produziert werden kann, hat zur Voraussetzung, dass ihre Produktionsmittel - PC und Netzzugang - in den entwickelten kapitalistischen Ländern billig zu haben sind (in den meisten Entwicklungsländern sieht dies erheblich anders aus.) Dass die Produktionsmittel für Freie Software so billig sind, liegt letzten Endes daran, dass es sich hier um "Informationsprodukte" handelt: das eigentliche Produkt ist die Information (das Programm, oder auch der Plan eines Autos), materiell ist lediglich der Träger der Information. Die Bearbeitung, Speicherung und das Kopieren von Information sind aber relativ einfach, mit wenig Material- und Arbeitsaufwand durchführbar und dadurch billig geworden. Ganz anders sieht es aber bei materiellen Produkten aus. Ein Auto zu bauen erfordert erheblich "mehr" Aufwand an Produktionsmitteln (und damit auch an Kosten), als ein Software-Tool zu programmieren: ein PC steht auf vielen Schreibtischen, eine Montagehalle mitsamt den entsprechenden Maschinen kann sich nur eine Autofirma leisten. Insofern findet die "Keimform" an der Welt der kostenaufwendigen und arbeitsintensiven materiellen Produkte ihre Schranke. Von einer Unterminierung kapitalistischer Verhältnisse ist nichts zu sehen.

III. c) Selbstentfaltung

Als Besonderheit der Produktion Freier Software wird schließlich noch geltend gemacht, dass hier Menschen kooperieren, deren Tätigkeit durch "Selbstentfaltung" charakterisiert sei: es ist nicht die Orientierung am Tauschwert der Produkte oder am Lohn, sondern das inhaltliche Interesse am produzierten Gebrauchswert und der Spaß an der Kooperation mit anderen, welche die einzelnen motivieren, ihre Zeit in die Produktion Freier Software zu stecken.

In der Tat ist es beeindruckend, wie es dabei gelingt, dass Menschen weltweit zusammenarbeiten und komplexe Produkte hervorbringen, nicht nur ohne die Motivation des Tauschwerts, sondern auch unter weitgehendem Verzicht auf eine hierarchische Leitungsstruktur. Einer grundsätzlichen Alternative zum Kapitalismus, einer Gesellschaft also, die ohne Geld, Tausch und staatlichen Zwangscharakter der Reproduktion auskommt, einer Gesellschaft, die man als "kommunistisch" bezeichnen kann (und die mit den in Osteuropa untergegangenen "kommunistischen Staaten" offensichtlich nichts gemein hat), wird gerne vorgeworfen, sie könne es nicht geben, denn "der Mensch" sei eben gar nicht so: ohne äußeren Druck einerseits und materiellen Anreiz andererseits laufe gar nichts und das Ganze müsse außerdem noch durch fähige Leitungspersonen an der Spitze gesteuert werden. Dazu stellt die Produktion freier Software tatsächlich ein Gegenbeispiel dar. Sie macht deutlich, dass selbst unter den Bedingungen des Kapitalismus eine andere Form der Produktion möglich ist - und zwar nicht nur in dem beschränkten Rahmen eines kleinen Projektes, das überschaubar ist und bei dem sich alle kennen, sondern innerhalb eines weltweiten Verbundes. Insofern ist die Produktion Freier Software ein wichtiges Beispiel für die Möglichkeit anderer Kooperationsformen - aber auch nicht mehr. Weder kann sich dieses Beispiel dem kapitalistischen Zugriff entziehen, noch stellt es eine "Keimform" dar.

Auch dieses Beispiel ist in den kapitalistischen Kontext integriert. Dies gilt nicht nur für ihre Produkte, die keineswegs jenseits des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs stehen, dies gilt auch für die auf "Selbstentfaltung" beruhenden Produktionsbedingungen. Dass Menschen im Kapitalismus in dieser Weise kooperieren können, hat zur Voraussetzung, dass einerseits ihr Lebensunterhalt gesichert ist (entweder indem sie Lohnarbeit leisten oder z.B. als Studenten staatlich alimentiert werden) und dass ihnen die Sicherung ihres Lebensunterhaltes andererseits genügend Zeit läßt, sich mit Freier Software zu beschäftigen. Betrachtet man die kapitalistischen Verhältnisse weltweit, dann gehören diejenigen, die Freie Software entwickeln, zu einer kleinen, privilegierten Gruppe, innerhalb der entwickelten kapitalistischen Länder. Diese Privilegierung läßt sich unter kapitalistischen Bedingungen wohl kaum verallgemeinern. Aber auch für diejenigen, die diese Privilegierung heute genießen können, besteht immer die Gefahr, dass sich ihre Situation aufgrund von Krisenprozessen ändert: dass sie arbeitslos werden oder die Arbeitsintensität steigt, dass Ausbildungsförderung gestrichen oder der Druck in den Ausbildungsinstitutionen erhöht wird. Insofern liegen auch die ProduzentInnen Freier Software lediglich an der (im Moment recht langen) Leine des Kapitals.

Aber selbst die angesprochene "Selbstentfaltung" entzieht sich nicht gänzlich der Verwertung. "Selbstentfaltung" ist eine Produktivkraft, die auch das Kapital seit einiger Zeit für sich entdeckt. So hat Norbert Bensel, verantwortlich für Human Resources der DaimlerChrysler Services AG, jüngst bei einem Vortrag auf der Konferenz "Gut zu Wissen" der Heinrich-Böll-Siftung neue Arbeitskonzepte vorgestellt, die in ihrem nicht nur sprachlichen Habitus sehr den Selbstentfaltungsaspekten, die der Freien Software zugeschrieben werden, ähneln. Er verwies auf das Modell OpenSource als Vorbild und beschrieb das neue Arbeitsmodell mit folgenden Stichworten: "Spass haben" (statt Geld verdienen, als Motivation...), "Freiwillige motivieren", "Anerkennung für cool code", "Kunden zu Mitarbeitern machen", "Bedürfnis der Mitarbeiter nach Entfaltung" usw. Im Abstract zu seinem Vortrag heißt es unter anderem: "....Gängige Strukturmodelle mit einer festen Befehlshierarchien von oben nach unten spiegeln die betriebliche Realität nicht mehr wieder....." (Bensel 2001).12

Auch den Anhängern der "Keimform-Theorie" ist dieser Sachverhalt bekannt. So schreibt Stefan Meretz: "...die Sachwalter des Kapitals als Exekutoren der Wertverwertungsmaschine haben erkannt, dass der Mensch selbst die letzte Ressource ist, die noch qualitativ unentfaltete Potenzen der Produktivkraftentwicklung birgt. In seiner maßlosen Tendenz, alles dem Verwertungsmechanismus einzuverleiben, versucht das Kapital auch diese letzte Ressource auszuschöpfen" (Meretz 2000). Allerdings stoße das Kapital dabei an Grenzen: eine wirklich freie Selbstentfaltung sei nicht möglich, da in einem kapitalistischen Unternehmen letzten Endes doch die Verwertungsaspekte und die Konkurrenz der Mitarbeiter untereinander dominieren würden. Daher sei es dem Kapital gar nicht möglich, die in der Selbstentfaltung steckende Produktivkraft wirklich auszuschöpfen.

Wie die Idee der Freien Software, bzw. die damit zusammenhängende "Selbstentfaltung" von der real existierenden Welt vereinnahmt wird, ist aber unserer Ansicht nach nicht wegzuwischen mit dem Argument, dass Diskussionen über die Kompatibilität von Freier Software und Kapitalismus an der Sache vorbeigingen und dass man vorwiegend darüber reden müsse, wie überhaupt "die Arbeit beschaffen sein muß, damit sich in ihr der Mensch als Subjekt voll entfalten kann" (a.a.O.). Dies ist eine Form von Utopismus: Es wird unter Absehung der realen Entwicklungen ein Gegenbild entworfen, ein nettes Märchen erzählt, darüber wie es aussehen würde, wenn das Rotkäppchen nicht zum Wolfe rennen würde. Derweil aber ist der Wolf gerade dabei, das Rotkäppchen zu fressen.

Unsere Antithese ist: Es gibt keinen unüberwindlichen Gegensatz zwischen Kapitalismus und Freier Software. Im Gegenteil: Die Digitalisierung wie auch die Entstehungsbedingungen Freier Software scheinen eher einer Modernisierung Vorschub zu leisten, bzw. sind selbst Antrieb der Modernisierung der gegenwärtigen Produktionsweise, die sich in flexibleren, dezentralisierten, globalisierten und atomisierten Arbeits- und Produktionsbedingungen niederschlägt, die der einzelnen Arbeitskraft mehr Verantwortung für das Produkt überträgt: "Ein global erfolgreiches Unternehmen, das sich ausschließlich auf den Grundlagen einheimischer Werte aufbaut, verschließt sich einem Reichtum an Talenten, Ideen und unterschiedlichen Sichtweisen. 'Managing Diversity' wird damit zur zweiten großen Herausforderung an die Führung eines Unternehmens". (Bensel, DaimlerChrysler, a.a.O.)

Tatsächlich zu beobachten ist ein Wandel der Eigentumsverhältnisse. Mittels der Digitalisierung und der Computerisierung der Individuen befinden sich einige der entscheidenden Produktionsmittel nicht mehr ausschließlich im Privateigentum der Unternehmen, sondern auch im Privateigentum der Arbeiter. Dies führt aber nicht zur Aufhebung des Kapitalismus, sondern zu einer tendenziell anderen Qualität des Kapitalismus: Es ist nicht mehr allein das Produkt, das gekauft oder verkauft wird und dessen inkarniertes Wissen geheim gehalten werden muss, sondern es ist der ganze Mensch, den das Unternehmen benötigt. Das Wissen, in digitalisierter Form, kann zunehmend schwerer eingegrenzt, bzw. künstlich verknappt werden, als Rohstoff kann es frei zugänglich bleiben: "Die Bedeutung des Mitarbeiters, der 'Human Ressources', hat sich für Unternehmen entscheidend gewandelt: Information und Wissen sind der Motor der modernen Dienstleistungsgesellschaft. Dabei ist jedoch der effiziente Zugriff auf Information letztlich nicht der entscheidende Wettbewerbsfaktor. Es sind die Menschen, die Mitarbeiter, die mit ihrem Wissen aus der Information neues Wissen erzeugen." (ebd., Herv. d. Verf.). Die Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung entsprechend: "Generell ist ein Trend weg vom geregelten Arbeitstag mit Anwesenheitspflicht hin zur Vertrauensarbeitzeit zu verzeichnen. Entsprechend halten Arbeitszeitkonten, Langzeit- und Lebensarbeitszeitmodelle Einzug in Unternehmen. Die Leistung des Einzelnen wird zunehmend nicht mehr an der Anwesenheitszeit im Unternehmen, sondern an den erreichten Zielen und der Qualität der Ergebnisse gemessen. Das Angebot von Telearbeitsplätzen oder die Vereinbarung von Teilzeitverträgen sind heute in vielen Unternehmen schon Realität." (ebd.)

Die Unternehmen sind also schon längst dabei, die Potentiale der "Selbstentfaltung" auszunutzen. Wenn es dabei Grenzen gibt, könnte dies Freie Software zusätzlich attraktiv machen: vielleicht dauert es nicht mehr lange bis Unternehmen die Produktion Freier Software durch Stipendien oder ähnliches fördern: ganz selbstbestimmt könnte dann Freie Software produziert werden, was lediglich den bisherigen Software-Monopolisten wie etwa Microsoft weh tun würde, der Unternehmenssektor als Ganzer könnte aber gerade von der GPL profitieren. Die Mehrzahl derjenigen, die Freie Software entwickeln, dürfte damit kein Problem haben: es ist ja nicht nur so, dass ihre Arbeitsmotivation aus dem Interesse am Produkt stammt, bei vielen Mitgliedern der Freien-Software-Gemeinde beschränkt sich das politische Interesse auch auf die möglichst ungestörte Produktion, mit der Kompatibilität von Freier Software und Kapitalismus haben sie kein Problem.

Vor diesem Hintergrund hat dann auch die GPL nichts Revolutionäres mehr und der Satz von Stefan Meretz: "Linux als Entwicklungsmodell nimmt einiges der neuen Gesellschaft vorweg" könnte, überspitzt formuliert, dann auch anders gelesen werden: Die "neue Gesellschaft" ist der modernisierte Kapitalismus.

Anmerkungen:

1 Der Fall Bertelsmann/Napster zeigt, wie schwer es ist, die richtige Technik zu entwickeln. Angesichts der vielgerühmten "Hacker-Phantasie" werden die digitalen Zäunchen möglicherweise auch nie richtig wasserdicht werden.

2 In den "Enclosures" (Einhegungen) des früheren Gemeindelandes, die einerseits Produktionsmittel zu Privateigentum machten und andererseits die früheren Nutzer dieser Produktionsmittel zu "freien" Arbeitern, denen nichts anderes übrig blieb als ihre Arbeiskraft zu verkaufen, sah Marx den zentralen Prozeß der "ursprünglichen Akkumlation" in England, der Geburtsstätte des modernen Kapitalismus.

3 Der Quellcode ist in einer menschenlesbaren Sprache geschrieben. Dieser Code muss erst von einem "Compiler" übersetzt werden, damit der Computer ihn versteht. Der Quellcode ist nach der Übersetzung für den Ablauf des Programms nicht mehr notwendig, man kann ihn weglassen. Eine Rückübersetzung von einem maschinenlesbaren in einen menschenlesbaren Code ist dann aber wieder nahezu unmöglich, man braucht den Quellcode, wenn man etwas am Programm ändern will.

4 Die Lizenz gewährt das Recht zur freien Benutzung des Programms, das Recht, Kopien des Programms zu erstellen und zu verbreiten, das Recht, das Programm zu modifizieren und das Recht, modifizierte Versionen zu verteilen. Die GNU GPL schreibt vor, dass der Quelltext frei, jederzeit verfügbar sein und bleiben muß, dass die Lizenz eines GPL-Programms nicht geändert werden darf und dass ein GPL-Programm nicht Teil nicht-freier Software werden darf. Sie verbietet es, GPL-Programme in proprietäre Software zu überführen.

5 Grassmuck, Volker: Freie Software, Geschichten, Dynamiken und gesellschaftliche Bezüge. September, 2000. Quelle: http://mikro.org/Events/OS/text/freie-sw.pdf

6 Merten, Stefan (2001): Freie Software für eine Freie Gesellschaft. Bringen Gnu/Linux und Co uns einer neuen Gesellschaft näher? Quelle: http://www.oekonux.de/texte/neuegesellschaft/index.html

7 Meretz, Stefan (2001): »GNU/Linux ist nichts wert - und das ist gut so!« Quelle: http://www.oekonux.de/texte/wertlos/index.html

8 Meretz, Stefan (2000): LINUX & CO. Freie Software - Ideen für eine andere Gesellschaft. Quelle: http://www.kritische-informatik.de/index.htm?fsrevo.htm

9 Krämer, Ralf: Kapital und Informationsrenten, Cyberlords und modernen Sozialismus, SPW 115, 05/2000, Quelle: http://www.linksnet.de/artikel.cfm?id=115&t=11, download 07.11.00

10 Gräbe, Gert: Zur Zukunft der Arbeit, in: "Information in Natur und Gesellschaft", Texte zur Philosophie, Heft 8, Rosa-Luxemburg-Siftung Sachsen, 2000, S. 75 - 84. Quelle: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers/arbeit1.html

11 Anwender von freier Software sind z.B. Lehmanns Buchhandlung, die tageszeitung, Babcock-BSH, Individual Network. Mit Freier Software verbundene Dienstleistungen verkaufen Firmen wie SuSE, Lunetix, innominate, New Technologies Management GmbH (vgl. Grassmuck a.a.O., S. 131 ff.).

12 Bensel, Norbert: Arbeitszeit, Weiterbildung, Lebenszeit - neue Konzepte. Kongress "Gut zu Wissen", Links zur Wissensgesellschaft, 4. - 6. Mai 2001, Berlin, aus: Plenarbeiträge, S. 10 ff.