Krankheitsursache Freizeit


Angeblich ziehen sich moderne Menschen den Großteil ihrer Gebrechen ganz außerhalb des Berufslebens zu: durch die Genußmittel, vor deren Gefährlichkeit der Bundesgesundheitsminister warnt; durch Freizeitaktivitäten, die strapaziöser sein sollen als die Arbeit selber usw. Mal abgesehen davon, daß es einem gleich verdächtig vorkommen sollte, wenn Politiker und Experten das ungesunde und unverantwortliche Tabakrauchen anprangern. Das sind schließlich Leute, die es für das Selbstverständlichste von der Welt halten, daß der Mehrheit der Bevölkerung ruinöse Arbeitsbedingungen zugemutet und verseuchte Lebensmittel serviert werden; für diese Mahner gehört der verschwenderische Umgang kapitalistischer Gewinnemacherei mit der Gesundheit erklärtermaßen zu den ,,unvermeidlichen Lebensrisiken", die man nicht abschaffen kann. Beim Rauchen- , das sie für vermeidbar halten, soll man dafür umso mehr an die Gesundheit denken! Wenn es wirklich so wäre, daß die Leute ihre Gesundheit an ein Stück Genuß verwenden, dann sollte man ihnen da nicht mit kritischer Gesundheitspropaganda reinreden. Immerhin wären es dann wenigstens mal eigene Interessen, für die sie sich ein wenig verschleißen. Wenn sie das lohnend finden, dann hätte sich zumindest dieses Stück ihrer körperlichen Beanspruchung einmal für sie gelohnt und nicht bloß für ihre professionellen Benutzer.

Erholzeit statt Freizeit

Allerdings ist es so um die Freizeit des gewöhnlichen Menschen gar nicht bestellt. Und das liegt an der Ar- beitszeit: an der Dauer und Intensität der Vernutzung seiner Arbeitskraft, über welche das Kapital als Quelle seines Profits frei verfügt. Nach getaner Arbeit fängt keineswegs das Reich der Freiheit an. Da steht erst einmal die Befriedigung notwendiger, d.h. solcher Bedürf- nisse an, die man sich gar nicht selber herausgesucht hat. Der ausgelaugte Körper und die strapazierten Nerven fordern ihr ,,Recht". Dazu würde eigentlich, im Interesse- der Gesundheit, ein so langes Ausruhen und so viel an ausgleichender Betätigung gehören, daß die ver- schlissenen Organe eine Chance zur Erholung bekämen. Bevor die Selbstheilungskräfte des Organismus ihr Werk verrichtet haben, ist die Freizeit aber schon längst vorbei und an Lebensgenuß noch gar nichts passiert. Die Notwendigkeiten der Erholung widersprechen der Frei- heit, sich ein Leben nach Geschmack einzurichten. Des- wegen geht jeder Spaß, den man sich trotzdem herausnimmt- nimmt, auf Kosten der benötigten Erholung, z.B. der Skatabend zu Lasten des ,,nötigen Schlafs"; und deswegen- ergänzt jeder Alkoholkonsum die Zerstörung von Physis und Geist, die das erzwungene Lohn-Arbeitsleben- anrichtet. Das läßt sich dann auch so deuten, daß der Mensch sich aufgrund seiner frei gewählten Vergnügungen selbst ruinieren würde. Allerdings nur, wenn man gezielt da von absieht, daß sich eine durchzechte Nacht deshalb an der Gesundheit rächt, weil man danach wieder pünktlich dort antreten muß, wohin einen ,,die Pflicht" ruft, die( jede Rücksichtnahme ausschließt. Also auch nur von dem Standpunkt aus, daß der Mensch erstens fürs Arbeiten da ist und zweitens für die Notwendigkeiten der Wiederherstellung der verbrauchten Arbeitsfähigkeit, die sich daraus ergeben.

Geldmangel statt Freiheit

Dank unserer ,freien Marktwirtschaft' ist es weiterhin so, daß jedes Bemühen, sich in der Freizeit das Leben so angenehm wie möglich zu machen, vor allem eine Frage des Geldes ist. Daß die ,,billigen" Nahrungsmittel nicht gerade die gesündesten sind, ist bekannt (vgl. Serienartikel Nr.3). Allgemein gilt: Das Quantum Geld, über das jemand verfügt, entscheidet über das Maß an Freiheit in Sachen Konsum und Vergnügen. Für Lohn- und Gehaltsempfänger, deren Einkommen als Kosten berechnet werden, ist der Geldbeutel eine äußerst enge Schranke, sofern überhaupt das Lebensnotwendige für die Familie herausspringt. Die vielgerühmte Freizeit eines großen Teils dieser Klasse geht deshalb dafür drauf, sich finanziell ein wenig Luft zu verschaffen, was schon wieder auf Arbeit statt Erholung hinausläuft. Sei es die berühmte ,,schwarze", sei es die private am eigenen Haus, das irgendwann die Mietausgabe sparen soll und vielleicht ein freieres Leben ermöglicht - wenn man dafür überhaupt noch Zeit hat. So stellt sich der nächste Widerspruch ein: Die Anstrengungen, welche die Bedingungen für ein angenehmeres Leben herstellen sollen, laufen mit Notwendigkeit auf eine erweiterte Schädigung der im Berufsleben ohnehin systematisch untergrabenen Gesundheit hinaus. Man kann - wie die öffentlichen Hüter der Moral und die selbstlosen (Ver-)Diener an der menschlichen Unversehrtheit dies zu tun pflegen - auch diesen Zusammenhang in eine Beschuldigung derer verwandeln, die aus niedrigen materialistischen Motiven mit ihren Kräften Schindluder treiben. Statt verantwortlich mit ihnen hauszuhalten und 90 die ..Fehlzeiten" im Betrieb und die Kosten im staatlichen Gesundheitswesen zu dämpfen! Man muß sich nur als Anwalt der Volksgesundheit aufführen, für den die Gesundheit des Menschenmaterials ein zu kostbares Gut ist, als daß man den Gebrauch dieses Gutes einfach den privaten Kalkulationen seines ,,Besitzers" überlassen könnte, die sowieso nicht aufgehen.

Das Familienleben - noch eine Strapaze

Krankheitsursache ist also nicht die Freizeit, sondern die Notwendigkeiten, die in ihr regieren und aus der Natur der Lohnarbeit entspringen. Auch das Familienleben, welches mit lauter Ansprüchen der Entschädigung für die unwiderruflichen Folgen eines schädlichen Be rufslebens befrachtet wird, ist nicht dazu geeignet, als Quelle körperlichen und seelischen Wohlbefindens zu dienen. Wie sollte es auch all die materiellen Zwänge und Sorgen außer Kraft setzen? Etwa durch den Schwur vor Gott und dem Staat zu Liebe und Treue, bis daß der Tod euch scheidet? Erstens werden verhinderte Lebens- chancen nicht dadurch welche, daß man sie mit Ehepart- nern und Kindern teilt. Vielmehr wachsen die materiel- len Sorgen, die zusätzlich auch ein ehemals sonniges Gemüt belasten. Und zweitens führen gerade die moralischen Glücksansprache an die Lieben daheim, die diese gar nicht erfüllen können, zwangsläufig zu jeder Menge Enttäuschung und Ärger. So daß der Genuß des familiären Beisammenseins zur Nervensache (modern: ,Streß:) und damit zum Ausgangspunkt und Betätigungsfeld weiterer .vegetativer Störungen' wird, die auf den Magen oder sonstige Organe schlagen. Auf diese Weise komplettiert die vielbeschworene Privatsphäre, in der einem keiner was vorschreiben kann, das Krankheitsbild des modernen Lohnarbeiters.

Fazit: Die Freizeit macht krank, weil sie kein Zweck der Produktion ist, sondern bloßes Anhängsel eines Produktionsverhältnisses, das die Gesundheit der Produzenten ruiniert, weil es auch der Vernutzung der Arbeitskraft Kapital schlägt.