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MSZ 1990 Ausgabe 2
Stichwörter: brd » Innenpolitik » Innere Sicherheit

In eigener Sache

NOTIZEN ZUR TÄTIGKEIT STAATSSICHERHEIT (WEST)

1.

Unser Fernsehen ist freiheitlich und kritisch, das heißt, seine Redakteure suchen in allen Etagen der Republik nach Schädlingen. Wer sich am Gemeinwohl versündigt, entgeht nicht dem Gerechtigkeits- und Spürsinn der Vierten Gewalt. Gemäß diesem demokratischen Brauch kam auch neulich, knapp vor Weihnachten, die Verantwortung zum Zuge. Im "Zeitspiegel", dem politischen Magazin des Bayrischen Rundfunks, wurde die Marxistische Gruppe Gegenstand der Feindaufklärung. Der Vorwurf: Unterwanderung volksnützlicher Einrichtungen, konspiratives Treiben, arglistige Täuschung. Letztere nachgewiesen am Mißbrauch des in unserer Gesellschaft so beliebten und werbeträchtigen Etiketts "marxistisch". Beglaubigt durch beamtete Vertreter der Staatssicherheit, die wegen ihrer hohen Aufgabe - sie schützen nichts Geringeres als die Verfassung - den Weg ins Fernsehen fanden. Die ganze Verhandlung inszeniert als die Wiederaufnahme eines Verfahrens, das der Bayrische Rundfunk in Zusammenarbeit mit dem demokratischen Geheimdienst ein Jahr zuvor eingeleitet hatte.

2.

Der Skandal: In einer Firma in Bayern, die sich mit der Betreuung von Arbeitslosen und anderen Lernwilligen befaßt, arbeiten ganz verkehrte Leute. Nicht, daß sie etwas Verkehrtes machen - sie unterhalten und unterweisen die ihnen anbefohlenen Kursteilnehmer nach Kräften und ganz im Sinne des Erfinders. Laut Bayrischem Rundfunk wird aus den meisten Teilnehmern an der sagenhaften Fort- und Weiterbildung tatsächlich was, sie finden den Weg in den Kreis der Berufstätigen der Nation. Der Skandal liegt also auf der Hand. Es sind nämlich verkehrte Leute, die da nichts Verkehrtes tun. Das herausgefunden zu haben, rechnen sich die Fernsehredakteure hoch an. Besagte Leute haben neben ihrem Beruf noch eine zweite Identität. Sie wirken in einem Verein namens Marxistische Gruppe mit. Sie treffen sich zu Diskussionen in angemieteten Räumen, die der Welt wohl auf ewig verborgen geblieben wären, wenn sie der Bayrische Rundfunk nicht gefilmt hätte. Sie steuern zur Finanzierung der Kosten, die ihre kommunistischen Flugblätter, Zeitungen und Veranstaltungen bereiten, Geld bei. Geld, das sie offensichtlich genau dort verdienen, wo sie arbeiten. Das ist er, der Skandal.

3.

In der Sicht der öffentlich - rechtlichen Redakteure liegt ein klarer Fall von Mißbrauch vor. Das schöne Bildungsinstitut ist "unterwandert", weil sich unter seinen Angestellten schließlich Leute befinden, die auf diesen verantwortungsvollen Posten wahrlich nichts verloren haben. Erstens geben sie ihr Geld zumindest teilweise für völlig falsche Dinge aus. Zweitens ist das saugefährlich, weil das Schulungswesen unter dem Schutz und Schirm des nationalen Arbeitsamtes wie der Arbeitgeberverbände stattfindet. Letztere sind die Opfer der "Unterwanderung", die unser Fernsehen zu verhindern sucht. Um den enormen Schaden zu dokumentieren, den die verkehrten Leute in ihrer beruflichen Tätigkeit anrichten, mühen sich die Journalisten redlich ab. Sie erfinden etwas über "Informationen" und "Daten", die sich die Lehrkräfte sittenwidrig aneignen, "abschöpfen" und den deutschen Arbeitgebern entwenden. Sie interviewen leibhaftige Vertreter von zwei Landesämtern für Verfassungsschutz, die glaubhaft versichern, daß der Schaden genau genommen darin besteht, daß es ihn nicht gibt. Diese Zeitzeugen geben zu Protokoll, daß die inkriminierten Mitglieder der Marxistischen Gruppe in ihrem Beruf nichts anderes tun als ihn auszuüben. Nein, sie "indoktrinieren" nicht, hüten sich, während der Arbeit zu zeigen, wes Geistes Kind sie sind. Das ist zwar kein Schaden, erfüllt aber den Tatbestand der Verschleierung. Versteckt wird, was nach Auffassung von guten Demokraten in Fernsehen und Staatssicherheit unbedingt an die Öffentlichkeit gehört. Vor allem alle Arbeitgeber im Lande müßten ja wohl wissen, was der Verfassungsschutz weiß. Damit sie sich danach richten.

4.

Der Verfassungsschutz, der ansonsten Wert darauf legt, seine Dienste an der Verfassung im Geheimen abzuwickeln, scheut keineswegs immer das Licht der Öffentlichkeit. In der Sendung über die Marxistische Gruppe berichten die Beamten stolz, daß sie aufgrund fleißiger Observationstätigkeit lässig all die Leute ausfindig gemacht haben, die zur MG gehören. Zwar fällt noch das Stichwort "konspirativ" und der Moderator lallt etwas von "Geheimbund" - aber aus dem beigemischten Filmmaterial geht hervor, daß es mit der Geheimhaltung so weit auch wieder nicht her ist. Die MG hält öffentliche Veranstaltungen ab, bietet ihre Schriften feil und kritisiert in Lehrveranstaltungen von Universitäten und anderswo herum. AII das sind natürlich Tätigkeiten, für deren Abwicklung Anwesenheit unbedingt erforderlich ist, sich Verstecken ziemlich nachteilig wäre. Deswegen ist die Zufriedenheit der demokratischen Zivilfahnder auch ziemlich glaubwürdig. Ihre Dateien in Sachen MG sind komplett. Die Unzufriedenheit, die aus dem Vorwurf "Geheimbund" spricht, hat keinen Informationsmangel zum Grund.

5.

Wir haben uns daran gewöhnt, Tag und Nacht observiert zu werden. Die Anwerbung von Spitzeln ist uns auch seit Jahren vertraut. Daß so etwas zur Demokratie gehört, haben wir immer gesagt, und daß wir sie aus diesem Grund auch nicht besser leiden mögen als sonst schon, haben wir - Geheimbund hin, konspirativ her - nie verheimlicht. Deswegen haben wir auch den Übergang gut verstanden, der uns da als Gemeinschaftsproduktion von öffentlichem und Geheimdienst der Nation präsentiert wird. Wenn ein Geheimdienstler, ein Redakteur und ein privater Arbeitgeber laut und deutlich einen Vergleich anstellen, der ihre Handlungsfähigkeit betrifft; einen Vergleich mit der Praxis des Berufsverbots bei Beamten, dann ist es heraus. Gefragt ist nach einer Kopie des Verfahrens, durch das verkehrte Leute aus dem Dienst entfernt werden bzw. gar nicht erst hineinkommen. Und diese Kopie wird gerade hergestellt, wobei die Wirkung die des Originals übertreffen soll. Locker und ohne den leisesten Hauch der Befürchtung, er könne sich einen Vorwurf zuziehen - Stasi! - kommt ein Verfassungsschützer zur Sache. Man muß "aufdecken", "sie stellen", so daß die schönen Dateien endlich der nützlichen Verwendung zugeführt werden, für die sie angelegt sind. Mit den Listen des Geheimdienstes, die die Zugehörigkeit zur MG erfassen, bei jeder Adresse vorsprechen, bei der sich ein Kommunist sein Einkommen verdient - das ist das Rezept. Es wird doch wohl noch Verlaß sein auf den demokratischen Antikommunismus im allgemeinen, im besonderen bei denen, die Arbeitsplätze zu vergeben haben! Freiheit heißt schließlich auch Verantwortung, und wenn diese in einer Denunziation besteht, aus der die Befugten schon ihre praktischen Schlüsse ziehen, dann haben die Feinde der Freiheit garantiert nichts mehr zu lachen.

6.

Tüchtige Verfassungsschützer kennen also den Grund dafür, daß sich Kommunisten möglichst hüten, an ihrem Arbeitsplatz ihre politische Gesinnung bekannt zu machen. Sie selbst schaffen ja diesen Grund im Rahmen der freiheitlichsten Verfassung, die je auf deutschem Boden galt. Gemeinsam mit den allzeit hilfsbereiten Geistern aus der Abteilung ‚öffentliche freie Meinung' zwingen sie jedem Marxisten ihre freiheitliche Alternative auf: entweder politische Farbe bekennen und damit die Anwendung des Radikalenerlasses herbeizuführen, oder darauf achten, daß die Gnade erhalten bleibt, etwas verdienen zu dürfen. Und auch diese "Güterabwägung" kommt ihnen letztendlich zu liberal vor. Wenn sich die sorgsam beäugten Bürger mit der falschen Einstellung zur Vorsicht am Arbeitsplatz entschließen, wird nachgeholfen. Weil sie nämlich der wachsamen Stasi-West an anderer Stelle durch ihre politische Tätigkeit aufgefallen sind, läßt sich die fehlende Bereitschaft, "sich zu stellen", durch Information ersetzen. Und für die liebe Öffentlichkeit erfinden scharfsinnige Redakteure die jedes Bürgerherz erschütternde Definition des Berufslebens von Kommunisten: Wenn die ihrer Arbeit nachgehen, "unterwandern" sie die Arbeitswelt, die nur anständigen Menschen offenzustehen hat. Säuberung tut not!

7.

Denn soviel steht fest: Das politische Geschäft der MG wird nachweislich nicht aus Moskau, Peking oder Tirana finanziert. Die Umtriebe, das "Unwesen" der MG (da kennt sich der "Schwarzfunk" von Hamburg bis Bayern aus! ) beruhen eindeutig darauf, daß die paar Kommunisten der Nation auch ein paar Märker für ihre Flugblätter und Saalmieten übrig haben. Es wäre doch gelacht, wenn das demokratische Gemeinwesen seine Republik nicht genauso keimfrei herrichten könnte, wie es "totalitäre" Regimes immer versuchen. Zumal es der Demokratie zusteht, mit allen aufzuräumen, die ihre Geschäftsgrundlagen in Zweifel ziehen oder gar bestreiten. Und das Geld, das sich schon im gewöhnlichen Leben der Nation glänzend bewährt, wenn es um die Scheidung von tüchtig und unmaßgeblich, von Dienst und Leistung, von Verantwortung und Pflicht geht, erweist auch auf dem Felde der Kommunistenverfolgung seine universelle Brauchbarkeit. Die beamteten Denunzianten rechnen als gestandene Materialisten damit, daß auch die Erledigung kommunistischer Opposition über das Geld zu vollziehen ist. Nicht zu übersehen ist bei diesem Verfahren die moralische Wucht. Die besteht darin, daß die Herren Demokraten ihrem Säuberungsdrang effektiv nachgehen und zugleich eidesstattlich vor Gott und der Welt versichern können, daß sie ein Verbot der Marxistischen Gruppe nicht erlassen hätten. Daß sie uns als marxistischer Organisation ein "Überlebensproblem" aufmachen, indem sie den Mitgliedern den Lebensunterhalt streichen lassen, halten sie ebensowenig für eine Niedertracht totalitärer Staatsfanatiker wie weiland die Stasi der DDR ihre Taten. Eher schon wähnen sie sich als Erfinder eines genialen Schachzuges, was telefonische Anwerbeversuche von Leuten dokumentieren, die die Stasi (West) inzwischen nicht mehr fürs Datensammeln gewinnen will. Jetzt geht es um "Hilfe bei der Auflösung der MG". Denn diese Auflösung, auf die der Angriff auf die berufliche Existenz zielt, soll auch noch als Akt der Freiheit erscheinen, den wir vollziehen.

8.

Leckt uns am Arsch.


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