Letzter Akt?

Bemerkungen zum

historischen Scheitern der MRTA und der peruanischen Linken

„Die Demokratie hat den Terror besiegt.“ Fujimori nach dem Massaker an 14 MRTA-Gueriller@s in der Residenz des japanischen Botschafters in Lima

DISSENS

Die Veröffentlichung eines derart polemischen Artikels in der jetzigen Situation halten wir für problematisch. Auf der Haltungsebene unterbietet der Artikel ein uns selbstverständlich erscheinendes Niveau an Solidarität; wenn ein Nachruf auf brutale Weise ein realer wird, werden für uns Grenzen linken Anstands touchiert.

Gleichzeitig verlangen derzeit die Kräfteverhältnisse im politischen Feld (völlige Marginalisierung der MRTA, Stand der Soli-Bewegung, Redeverbote für José Velasco in Deutschland und Zürich) wie im publizistischen Feld (genannt seien nur die regelmäßigen Beerdigungen der MRTA in der taz sowie die Gruß- und Ergebenheitsadressen an Fujimori in der übrigen nationalen Presse (vgl. jW vom 25.4.97)) keine derartige Intervention.

Im allgegenwärtigen ‘Kampf um Begriffe’ außerdem die bürgerliche Diktion zu übernehmen, die MRTA als „Haufen von Desperad@s“ zu bezeichnen und sie mit Sendero semantisch bis zur Kulmination im „Guerillaterror“ kurzzuschließen, ist ungefähr so unangemessen wie die Argumentation mit dem „Volksmund“ unglücklich komplexitätsreduzierend.

Wir erhoffen uns von der Veröffentlichung des Textes den Beginn einer Debatte über Wertkritik und Metropolen-Peripherie-Verhältnisse. So scheint uns der positive turn, den der Artikel am Ende vollzieht, im engen Zusammenhang zu stehen mit einer gewissen objektivistischen Schlagseite: Basis und Ideologie werden dem außenstehenden Beobachter zum Block der „objektiven gesellschaftlichen Konstitution“, der sich als solcher erst homogenisieren muß, damit eine „künftige, homogenere und demokratischere Opposition“ später einmal wird fordern dürfen: „Luchamos por una patria socialista, justa, libre y democrática“. Bis sie schließlich alle von uns eine emanzipatorische Perspektive bekommen.

p&m aus der, nicht für die redaktion

Mit der spektakulären Geiselnahme in der japanischen Botschaft vom 17.12.1996 hat sich die Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru (MRTA) ins Rampenlicht der Öffentlichkeit katapultiert und wieder einmal eine Diskussion über ihren Charakter, ihre Ziele und ganz allgemein über die Lage in dem Andenstaat Peru ausgelöst. Die Reaktionen in Peru unterscheiden sich allerdings erheblich von den Kommentaren im Ausland. Verfolgt man beispielsweise die Berichterstattung in Europa und insbesondere in Deutschland, fällt auf, daß die MRTA als Guerilla-, Rebellen- oder Aufständischenorganisation bezeichnet wird und ihre Aktivitäten häufig in einem Atemzug mit dem autoritären Führungsstil des peruanischen Präsidenten, den erheblichen Menschenrechtsverletzungen, der desolaten Lage in den Gefängnissen und der Massenarmut genannt werden. Egal ob nun der jahrelange bewaffnete Kampf der MRTA und des Leuchtenden Pfades als Auslöser für den Bürgerkrieg mit all seinen Greueltaten gilt oder ob ihre Aktivitäten als Resultat jahrhundertelanger unhaltbarer Zustände interpretiert werden - insbesondere die MRTA wird im Kontext sozialer Ungerechtigkeit genannt und erhält damit eine sozialrevolutionäre Weihe, die ihr in Peru kaum jemand erteilen mag.

Zweifellos ist es der MRTA gelungen, gestützt auf eine in Europa noch immer weit verbreitete Che-Revolutionsromantik ein Robin Hood-Image aufzubauen und den Eindruck zu vermitteln, eine homogene, verarmte und hilflose peruanische 'Volksmasse' stünde geschlossen hinter ihr, und nur die barbarische Repression hindere diese daran, sich für ihre Idole ins Kampfgetümmel zu stürzen. Die Gruppe präsentiert sich als Trupp von Saubermännern, deren weiße Weste sich strahlend von den blutgetränkten Gewändern des verhaßten Konkurrenten, dem sendero luminoso (Leuchtender Pfad), abhebt, und verkauft sich als einziges noch vorhandenes konsequentes Sprachrohr der 'entrechteten Volksmassen'. Daß es bei der Propagandaaktivität mit der Wahrheit nicht so genau genommen wird und die weitverbreitete Unkenntnis über die reale Situation Perus schamlos ausgenutzt wird, verwundert niemanden, der ideologische Sekten kennt. So stellt beispielsweise der europäische MRTA-Vertreter Isaac Velazco in einem Interview mit der jungen Welt vom 27.01.97 folgende Behauptung auf: "Sie (die linken Parteien und Menschenrechtsgruppen) schweigen schon seit Jahren angesichts der täglichen Verbrechen der Regierung." So eine Lüge läßt sich nur außerhalb Perus unwidersprochen äußern, denn wenn sich jemand in Peru unablässig bis heute für die Einhaltung der Menschenrechte öffentlich eingesetzt hat und auch weiter einsetzt, dann sind es eben jene Menschenrechtsorganisationen und die wenigen parlamentarischen VertreterInnen der linken Opposition, die Velazco wohlwissend verschweigt. Sie haben die größten Massaker von Armee und Polizei aufgedeckt, sind in die Gefängnisse gegangen, haben die Mißstände angeprangert und erreicht, daß die peruanische Regierung jahrelang international geächtet wurde. Viele ihrer Mitglieder haben dies mit dem Leben bezahlt und zahllose weitere saßen und sitzen hinter Gittern. Geschwiegen haben sie nie. Währenddessen zog die MRTA im Urwald ihr 'eigenes Ding' durch. Die anderen Linken wurden von ihr als reformistische VerräterInnen und Feiglinge denunziert.

Trotz alledem lag und liegt dem Verhalten der MRTA nicht die eiskalte und berechnende Menschenverachtung zugrunde, die den Leuchtenden Pfad immer charakterisiert hat. Sie setzt auf Nationalismus, liebt besonders Aktionen von patriotischer Symbolik und betont immer wieder ihre 'Volkszugehörigkeit' und nationale Gesinnung. Mit dem Höhepunkt ihres Einflusses 1990 begann auch ihr Imageverlust, unter anderem bedingt durch die Drogenconnection und die art ihrer regionalen Machtausübung. Sie erhielt eine starke kriminelle Schlagseite, die den Ruf ihrer 'sozialistische n Moral und Ethik' erheblich beeinträchtigte und zu gewalttätigen inneren Auseinandersetzungen beitrug.

Informationen über Debatten und Ereignisse in Peru gibt es vor Ort reichlich, nur werden sie im Ausland kaum zur Kenntnis genommen, insbesondere von denjenigen nicht, die immer nur das mitbekommen, was ihre Erwartungen bestätigt. So löste denn die Geiselnahme in den Kreisen der hiesigen radikalen Linken wieder einmal euphorische Gefühle aus. Die MRTA wurde und wird in einen Kontext mit Chiapas, der guatemaltekischen oder der salvadorianischen Guerillabewegung gebracht und die Heldenhaftigkeit der 'Comandantes' bewundert. Daß es sich hier um nichts anderes als Projektionen eigener Sehnsüchte, Hoffnungen und Heldenträume handelt, - was übrigens auch für die zur Zeit vielbemühten, im europäischen Exil lebenden Comandantes und AktivistInnen der MRTA gilt -, wird schnell deutlich, wenn man den Schauplatz wechselt und sich die Reaktionen der peruanischen Bevölkerung ansieht, denjenigen 'Volksmassen' also, die die MRTA zu ihrer sozialen Basis erklärt hat und auf deren (vermeintlichen) 'Freiheitswillen und Gerechtigkeitssinn' sie sich beruft.

Im eigenen Land gilt diese Gruppe nur wenigen als Befreiungsbewegung und politische Perspektive. Im Volksmund werden ihre Mitglieder als 'terroristas' bezeichnet, und kaum jemand möchte, daß die MRTA und ihre Anhänger aus den Gefängnissen herauskommen, geschweige denn in den Urwald gebracht werden, wie es das MRTA-Kommando wünscht. Überall im Land bekunden Regierung, Opposition, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften und Basisinitiativen in seltener Einigkeit ihre Solidarität mit den Geiseln und fordern ein friedliches Ende der Besetzung. Die große Mehrheit der Menschen befürchtet, daß ein Erfolg der Aktion die Terrorzeit wieder aufleben läßt, die Millionen von PeruanerInnen Tag und Nacht in Angst und Schrecken gehalten hat und ihnen noch immer tief in den Knochen steckt. Daß nicht wenige PeruanerInnen bei dieser MRTA-Aktion eine klammheimliche Freude empfanden, weil Fujimori endlich einmal wieder ernsthaft in die Bredouille gebracht wurde, ändert nichts an dem Fakt, daß auch diese Menschen im Gebaren und der Programmatik der MRTA keine gangbare gesellschaftliche Alternative erblicken. Die derzeitige Aktion stellt ja nicht etwa den vielversprechenden Anfang einer revolutionären 'Volkserhebung' dar, sondern vermutlich den letzten Akt eines gescheiterten Projektes, dem zu folgen die 'Volksmassen' nicht gewillt waren.

Es geht hier nicht darum, die Legitimität gewaltsamer Mittel gegen Gewaltherrschaft und Ausbeutungsverhältnisse in Frage zu stellen. Eine bewaffnete Organisation, die im Namen eines 'Volkes' und einer 'historischen Mission' agiert, muß sich allerdings die Frage gefallen lassen, wodurch sie sich für den Waffeneinsatz qualifiziert und was sie gesellschaftlich damit bewirkt. Wenn sie dies nicht überzeugend begründen kann, dann handelt es sich um nichts anderes als einen Haufen Desperados und Desperadas, die ihr eigenes Ding durchziehen und sich weder wundern noch beklagen dürfen, daß ihnen kaum jemand folgen mag. Massenelend, jahrhundertelange Unterdrückung, autoritäre Diktaturen und Regierungen, Korruption und unzählbare andere Mißstände sind offenbar keine hinreichenden Gründe für die betroffenen Menschen, ein Gewehr in die Hand zu nehmen, um damit gegen diese Bedingungen vorzugehen.

Wenn die MRTA von der Bevölkerung isoliert dasteht, dann nicht wegen der barbarischen Repression und militärisch-logistischen Überlegenheit des Gegners, sondern im wesentlichen aus zwei Gründen, einem subjektiv und einem objektiv zu nennenden: Im Subjektiven haben wir es mit einer falschen Analyse der peruanischen Gesellschaft zu tun, die durch die Brille eines scholastischen MLDogmas erstellt wurde und deshalb die komplexe peruanische Realität nicht adäquat erfassen kann. Zweitens geht es um eine objektive gesellschaftliche Konstitution, die von historischer und regionaler Ungleichzeitigkeit sowie extremer gesellschaftlicher Heterogenität geprägt ist und deshalb nicht den Boden für eine der bisherigen 'klassischen' Revolutionen abgab.

Zur subjektiven Seite läßt sich anführen, daß praktisch alle linken Parteien Perus, ob sie später zu den Waffen griffen oder den 'legalen' Weg vorzogen, mit dem gleichen instrumentellen und positivistischen Verständnis an die peruanische Gesellschaft herangingen, um sie in ein schon den Absichten entsprechend vorstrukturiertes Klassenanalyseschema hineinzupressen. Diese Analyse diente als 'ideologisches Parteifundament' und Begründung für die anzuwendende Taktik und Strategie. Die von Partei zu Partei differierenden Analysen wiesen eine zentrale Gemeinsamkeit auf, die im traditionellen Verständnis des Marxismus-Leninismus wurzelt: Jeder Klasse und Schicht, in die man die Gesellschaft aufgliedert, wird reduktionistisch ein unmittelbares 'objektives' Bewußtsein zugewiesen. Das Proletariat ist revolutionär und internationalistisch, die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sind kleinbürgerlich und auf Landbesitz fixiert, die kleine nationale Bourgeoisie ist reaktionär und nicht zu eigenen Strategien fähig, usw. Da das im Grunde revolutionäre Proletariat nur einen geringen Teil der peruanischen Gesellschaft ausmachte, wurden ihm andere gesellschaftliche Schichten als potentielle Verbündete zur Seite gestellt, und schon wußte man die große Mehrheit der PeruanerInnen auf seiner (proletarischen) Seite. In der Praxis konnte man sich so auf eine 'breite Volksmasse' beziehen und durch 'die Partei' führen lassen, die die historische Mission des Proletariats programmatisch verkörperte. Weder die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern noch die ProletarierInnen brachten 'ihre' Parteien hervor, sondern die Parteien wollten dem Proletariat und der Bauernschaft auf die Sprünge helfen. Das Dilemma dabei ist folgendes: Weder die sogenannten Volksmassen noch das Proletariat verhielten sich gemäß den ihnen zugewiesenen 'objektiven Bewußtseinsformen', so daß die in zähen Auseinandersetzungen erstellten Klassenanalysen nur mehr der Legitimation der eigenen, sektiererischen Existenz im großen Zirkus der unzähligen konkurrierenden linken Gruppen und Grüppchen dienten.

Ausschlaggebend für die graduell unterschiedliche Verankerung in der Bevölkerung waren die ökonomistische Praxis in den Gewerkschaften, das simple Aufgreifen von Forderungen der Kleinbauern oder Genossenschaftsbauern, großfamiliäre Bande, Beherrschung indianischer Sprachen, Hautfarbe, Klassen- oder Schichtherkunft, regionale Zugehörigkeit, Organisierung von Nachbarschaftskomitees und Landbesetzungen, Anprangerung von Unterdrückung und Ungerechtigkeit und einiges mehr. In den bäuerlich-andinen Regionen erreichten die linken DorflehrerInnen eine teilweise nennenswerte Verankerung durch ihre Stellung als anerkannte Dorfautoritäten, die sonst nur den Pfarrern und Dorfältesten zukam. Zur Agitation in ihre Heimatorte zurückgekehrte junge StudentInnen konnten mit Entgegenkommen und Respekt rechnen, weil sie sich in den fernen Städten das zivilisatorische Wissen angeeignet hatten. Die Parteidogmen blieben dagegen selbst bei der jeweils eigenen Parteibasis in der Regel Fremdkörper.

Trotz erheblicher Zersplitterung und häufig fehlgeschlagener Bündnisversuche gelang es der Linken in den 80er Jahren, bei Wahlen auf ein Stimmenpotential von bis zu 30% zu kommen und zahlreiche Parlaments-, Senats- und Bürgermeisterämter zu 'erobern', darunter das der wichtigsten und bevölkerungsreichsten Metropole Lima. Zugleich offenbarte sich aber immer deutlicher der caudillistische, hierarchische und machistisch-autoritäre Charakter der Parteien, der in eklatantem Widerspruch zur Programmatik stand. Eine kleine Führerschicht zentralisierte das Wissen und zog die Fäden im innerparteilichen Ränkespiel. Die sogenannten Massen an der Basis wurden mit der jeweils ausgeklügelten Tageslosung abgespeist und je nach Opportunität auf die Straße geschickt oder zum 'Abwarten' verdammt. Es kam zu einer dramatischen Absetzbewegung der kritischen Menschen, darunter insbesondere von Frauen, die vielfach mit dem Aufbau eigener Interessensgruppen begannen. Andere 'DissidentInnen' organisierten, fortan als 'Parteiunabhängige' auftretend, Elendsviertel oder Bauerngemeinden und widmeten sich verstärkt der Lösung von drückenden Alltagsproblemen. Dies auch als Antwort auf den zentralen Vorwurf, der allerorten an die organisierte Linke gerichtet wurde, sie sei in Sachen Rhetorik und Streikorganisation nicht zu überbieten, ginge es aber um Lösungen drängender Probleme und realisierbare Alternativen, kämen nur Luftblasen. Auf ihrem Höhepunkt angelangt, offenbarten sich immer deutlicher all die Schwächen der Linken und deren ideologisches Repertoire als historisch überholt.

Innerhalb des recht großen linken Spektrums bildeten der Leuchtende Pfad sowie die MRTA und deren politischer Flügel UDP eine kleine Minderheit. SL und MRTA initiierten ihren militärischen Kampf, ohne daß im Mindesten von einer 'revolutionären Situation' im Lande die Rede sein konnte. Darum ging es auch nicht. Der Beginn des bewaffneten Kampfes beim Leuchtenden Pfad war ausschließlich als Mittel innerlinker Auseinandersetzung gewählt und sollte zu einem flammenden Fanal gegen den sogenannten parlamentarischen Reformismus der Linken werden. Folgerichtig begannen Senderos Aktionen mit dem Aufhängen von Hunden an Laternenpfählen, denen Plakate mit der Aufschrift "Tod dem Verräter Deng Siao Ping" angehängt waren. Die ideologisch geschulten AdressatInnen wußten, was gemeint war, während in der Bevölkerung das große Rätselraten begann. Diese Splitterpartei erklärte damit den Zögerlichen in den eigenen Reihen sowie der restlichen Linken offen den Krieg. Während Sendero seine Drohungen sukzessive blutig umsetzte, versuchte die MRTA, die etwas später zu den Waffen griff, trotz ähnlicher Schimpftiraden Teile der geschmähten Linken auf ihre Seite zu ziehen. Sehr schnell stellte sich jedoch heraus, daß nicht allzu viele Menschen gewillt waren, den bewaffneten Kampf zu begrüßen, geschweige denn sich ihm freiwillig anzuschließen. Dennoch waren es immerhin genügend, um große Regionen des Landes lange Jahre mit militärischer Gewalt zu überziehen.

Ideologisch und strukturell bestanden zwischen den bewaffneten Organisationen und der Linken keine nennenswerten Unterschiede. Die militärische Organisation eignete sich ganz besonders zur Durchsetzung autoritär-hierarchischer Umgangsformen und zum ungehinderten Frönen machistischen Heldentums. Im Gegensatz zur 'legalen' Linken gab es indessen in diesen Gruppen für KritikerInnen, Unzufriedene und Überdrüssige kaum Ausstiegsmöglichkeiten, denn sie mußten immer mit ihrer Ermordung durch die alten KameradInnen rechnen. In der Regel blieb nur ein Untertauchen in vom Krieg nicht betroffenen Regionen oder die Flucht ins Ausland.

In der Gewaltspirale von Staatsrepression und Guerillaterror wurde die all dem hilflos gegenüberstehende 'legale' Linke aufgerieben. In dem Maße, wie der Boden für alle Arten von Kämpfen entzogen wurde, zeigte sich, wie oberflächlich die linke Verankerung in der Bevölkerung gewesen war. Der mit dem Krieg einhergehende ökonomische Niedergang und die Massenflucht aus den Anden in die Städte erschütterten die Gesellschaft, brachen die noch vorhandenen tradierten Strukturen weiter auf und verhalfen dem in den letzten Jahrzehnten sich rasch verbreitenden bürgerlichen Bewußtsein weiter auf die Sprünge. Mit dem Versagen der Solidarstrukturen und nahezu aller staatlichen Institutionen blieb nur mehr der individuelle Überlebenskampf als Zwangsperspektive übrig. Jeder ist seines Glückes Schmied, lautet das universalisierte Motto. Daß sich auch neue, allerdings prekäre Formen der Solidarität entwickelten und in manchen Andenregionen im Kampf gegen Sendero Luminoso ur-indianische Traditionen wieder auflebten, hat den Siegeszug des Neoliberalismus und des moderneren bürgerlichen Denkens nicht aufgehalten.

Zuletzt möchte ich noch die objektiven Grundlagen für das historische Scheitern der Linken zumindest anreißen. Der Gründer des peruanischen Sozialismus, J. C. Mariategui hat in den späten Zwanzigern den Satz geprägt, Peru sei erst eine "entstehende Nation" (una nación en formación), und forderte seine ZeitgenossInnen damit auf, ihr Land genauer und unvoreingenommener unter die Lupe zu nehmen. Seither ist mehr als ein halbes Jahrhundert ins Land gegangen, und die Ungleichzeitigkeiten und regionalen Differenzen Perus sind nach wie vor so gewaltig wie die Bewußtseinsformen vielfältig. Zwar hat sich im Zuge der historischen Durchsetzung der Geldökonomie in Peru ein auf Tauschprinzip und Privateigentum ausgerichtetes Bewußtsein verallgemeinert, das auch die Grundlage für die Ablehnung kommunistisch-kollektivistischer Ideen bildet, ohne daß dabei jedoch die regionalen, geschichtlichen, geschlechtlichen und 'rassischen' Differenzierungen stärker nivelliert worden wären. Vielmehr wurde der peruanische Staat auf seiner entstehenden bürgerlichen Basis noch vielschichtiger, da es mangels industrieller Entwicklung nie zu einer Proletarisierung gekommen war. Dementsprechend bildete sich auch keine bipolare Sozialstruktur (Proletariat und KapitalistInnen) heraus, um die sich die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte hätten gruppieren können. Auch der innere Rassismus stellte ein Haupthindernis für die Durchsetzung eines funktionierenden Nationalstaates dar. Im Land bildeten sich Inseln unterschiedlichster Stufen frühbürgerlicher bis spätbürgerlicher Existenzweisen und einem entsprechendem Demokratieverständnis heraus, die bis heute koexistieren. Allerdings hat der Krieg, wie schon erwähnt, der bürgerlichen Denkweise weiter Vorschub geleistet und das Nationalbewußtsein vertieft. Diese weitere gesellschaftliche Homogenisierung könnte vielleicht die Grundlage für eine künftige, homogenere und demokratischere Opposition bilden.

Die niedergegangene Linke, ob bewaffnet oder nicht, hat sich selbst nicht als Moment der bürgerlichen Durchsetzungsgeschichte begriffen und über kein wirklich kritisches Instrumentarium verfügt. Sie stocherte ziemlich blind und an der Unmittelbarkeit haftend in der Wirrnis dieser zahllos und gleichzeitig existierenden Durchgangsformen der Warenökonomie herum, konnte sich darin nicht zurechtfinden und weder objektiv noch subjektiv zukunftsträchtig positionieren.

Verläßt man Peru und schaut sich vermeintlich erfolgreichere Guerrillabewegungen in anderen lateinamerikanischen Ländern an, bleibt einem die Erkenntnis nicht erspart, daß sie ab dem Moment ihrer Machtübernahme oder politischen Integration gezwungen sind, den Bedingungen der Macht des Weltmarktes zu entsprechen.

Es war im Grunde schon immer eine westliche Zumutung und zugleich Selbstzumutung der Dritte-Welt-RevolutionärInnen, ausgerechnet den Ärmsten dieser Welt die Lösung der kapitalistischen Widersprüche aufbürden zu wollen. In den Bastionen des Systems muß die nötige Phantasie und Kraft zum Knacken der kapitalistischen Ware-Geld-Beziehungen aufgebracht werden, sollen die Menschen in den ärmeren Regionen der Welt jemals eine emanzipatorische Perspektive bekommen.

Gaston Valdivia