Zur Sache selbst

Von Johannes Agnoli

Eingangs eine Klarstellung, um Mißverständnisse zu vermeiden: Es geht im folgenden nicht um die Subversion und ihre praktische Verwirklichung in der Geschichte, nebst einer Anleitung zum Gebrauch derselbigen in der Gegenwart. Wer also die Aufforderung erwartet, Unbotmäßiges zu tun, der wird den Saal enttäuscht verlassen. Nicht, daß Unbotmäßigkeit nicht gefragt wäre; sie ist nach wie vor eine gesellschaftliche Notwendigkeit gegen den Zeitgeist. Hier wird aber lediglich über sie zu berichten sein – und zwar in ihrer besonderen Form, der Form der Subversion. Darüber gibt uns die Etymologie eine erste Auskunft, denn ‘subvertere’ heißt wörtlich: das Unterste nach oben kehren, umstülpen also. Die eindeutige Bestimmung des Begriffs findet sich dann 1844 bei Karl Marx in seiner ‘Einleitung zur Kritik der hegelschen Rechtsphilosophie’, wenn er von dem „kategorischen Imperativ“ spricht, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Es geht der Subversion also, wie Kant gesagt hat, um die menschliche Würde schlechthin.

Die Sache selbst: Ist die Subversion als Handlung gemeint, als Tat, die bekanntlich und nach Goethe immer am Anfang steht, daß heißt als Praxis, oder ist sie die Reflektion, das Nachdenken über „die Verhältnisse, die nicht so sind“ (Brecht) und also radikal verändert werden müssen? Somit zeigt ‘die Sache selbst’ zwei Seiten. Sie erscheinen zuweilen getrennt, zuweilen identisch; sie gehören aber stets und notwendig zusammen, ganz gleich, welche Macht subvertiert werden soll: Kirche, Staat, Verband, Religion, Tradition oder Konstitution. Die Paarung von Theorie und Praxis ist allerdings nicht immer zugleich gegeben, denn die praktische Subversion kommt geschichtlich auch ganz ohne Theorie vor, freilich nicht ohne gedanklichen, ohne rationalen Hintergrund. Michael Kohlhaas kannte keine Theorie und wahrscheinlich nur dunkle, religiöse Impulse; dafür aber klare Prinzipien der Redlichkeit und Rechtlichkeit, der redlichen Rechtlichkeit. Des Jesuiten Juan de Marianas theoretische Grundlegung des Königsmords in seinem ‘De rege et regis Institutione’ (1598/99) war rein theoretisch, aber von ihr ging gleichwohl ein praktischer Impuls aus, der einige gekrönte Häupter ins Rollen brachte.

Diese Verdoppelung finden wir auch in einer Form der Subversion, die nicht immer als solche erkannt wird, die im Alltag ohnehin ihren spezifischen Charakter zu verlieren scheint: in der Utopie. Es wird sich bei der Verhandlung der Sache selbst zeigen, daß das Utopische sich der Subversion immer beimischt. Utopie zur Zukunft hin, keine rückwärts, etwa zum Mittelalter hin gewandte wie in der politischen Romantik, keine zur blonden Horde, wie im Nazismus. Keine Utopie also der Macht oder der Herrschaft, der Hierarchie und der Führungseliten, sondern eine des emanzipatorischen Impulses; Utopie als Hoffnung eines Besseren. Diese Hoffnung kommt nie an ihr Ende, vor allem nicht in dürftigen Zeiten. Utopie, das ist der „Traum von einer Sache“ (Marx), dem nur das Bewußtsein fehlt, um sie wirklich zu haben. Gäbe es sie nicht, verschwände alles Utopische aus dem Denken, dann geriete das ‘subvertere’ in Vergessenheit, dann würde das Menschliche an der Gesellschaft verschwinden: das heißt eine Humanität, das sich nicht im Mitleid für das geknechtete Wesen und in barmherziger Hilfe erschöpft, sondern für sein freies Glück kämpft.

Das Paradies auf Erden? Dazu ist Kritisches anzumerken. Hölderlin behält immer noch Recht: Wenn man den Himmel auf Erden einrichten will, dann schafft man in Wirklichkeit die Hölle. Nur wird diese Weisheit für Reaktionäre zum billigen Argument, die Wirklichkeit als höllisches Verhältnis zu konservieren. Auch gegen das Paradies auf Erden wäre zu revoltieren. Paradiesisch aber wären Zustände, in denen homo homini deus und nicht mehr lupus sein würde, das heißt Humanes sich ereignen könnte; sie sind in potentia immer gegeben, können hier auf Erden materialisiert, sollen nicht ins Jenseits verlegt werden. Zur Zukunft hin: In der Tat denken die Subversiven, die Utopisten zumal, an die kommende, nicht an die gegenwärtige Zeit. Ebenso zeigt die Sache selbst immer einen Neubeginn an, nicht das Ende einer Epoche. Aber auswirken kann sie sich auch als Utopie durchaus als Gegenwart, als unterschwellige Wirkung der Subversion. Dies gilt erst recht für die Theorie, so sie der Herrschaft die fällige Absage erteilt.

Die Subvertierung der Verhältnisse bleibt nicht in der bloßen Form stecken. Sie wird konkret, sie ihren Inhalt und ihr Ziel in der „Assoziation der Freien und Gleichen“: in der Entelechie aller humanen Veränderung. Daß es keine Herrscher und Beherrschten, keine Herren und Knechte mehr geben soll, auch – horribile dictu – keine Regierenden und Regierten mehr, das mag nicht nur der Gegenwart als bloße Theorie gelten. Selbst für den Alltag, für die unmittelbare Erfahrung macht es doch einen Unterschied, ob wir uns am gewohnten, uralten Schema von Oben und Unten halten oder ob wir uns am Traum, vielmehr am Telos von Freiheit und Gleichheit orientieren. In diesem Fall, und aller Absage an die Utopie zum Trotz, gestalten sich die gesellschaftlichen Beziehungen im Arbeitsprozeß, in der Schule, zwischen den Generationen und den Geschlechtern, in Ökonomie und Kultur anders: zwangloser, menschlicher, freundlicher. Kantisch gesprochen: wenn das althergebrachte Schema gebrochen wird, gilt der Mensch endlich als Zweck, nicht mehr als Mittel. Im inzwischen ebenso berühmt wie berüchtigt gewordenen Jahr 1968 wurde der Versuch unternommen, dieses Schema umzustoßen – nicht ganz vergeblich, auch wenn die Restauration wieder zu obsiegen scheint.

Wer statt dessen das Ende der Utopie verkündet und nebenbei das Subversive kriminalisiert, will genau der Möglichkeit neuer Aufbrüche wehren. Solche Vorstellungen fahren sich allerdings im altbewährten „pissenden Denken“ fest, wie Hegel das einmal nannte. Ich will nur andeuten, was in diesem schiefen Denken vor sich gehen mag. Zunächst wird ganz zu recht festgestellt, daß es historisch stets und immer ein Oben und ein Unten, Verfügende und Verfügte, Herren und Knechte gegeben hat – was so viel heißt wie: immer Genießer und Nutznießer der Arbeit Anderer und immer Arbeitende, die für den Genuß der anderen sorgten. Alsbald wird aus dem Tatbestand der geschichtlichen Irrungen und Wirrungen, der Kultur und der Barbarei, ein Naturgesetz gemacht: das unumstößliche Gesetz der Hackordnung bei den Hühnern, der ewigen Ordnung und Hierarchie bei den Engeln, schließlich der menschlichen Über- und Unterordnung in Ökonomie und Politik. Am Ende dieser pissenden Logik schwappt das Prinzip ins Moralische über: Die Trennung von Oben und Unten wird zum Symbol des Guten schlechthin. Das ungewisse Sein erhebt sich zum definitiven Sollen. Die Arbeitenden in der Fabrik, die Angestellten im Reisebüro, das Wählervolk im politischen Raum werden, ontologisch garantiert, zum bloßen Mittel. Darin liegt der Sinn des Satzes, der Mensch stünde immer im Mittelpunkt; und auch der Kunde wird im Warenhaus des Lebens zum König. Verschwiegen wird angelegentlich, daß an der Kasse die Guillotine wartet – nicht die jakobinische der Gleichmacherei, sondern die termidorische der freien Anhäufung des Reichtums.

Mit der Perspektive, ‘die Ordnung’ als Synonym für Herrschaft an sich umzuwerfen, ist die Quintessenz der Sache selbst offengelegt; im wörtlichen Sinn der strategische Punkt, an dem die Herrschaft des Menschen über den Menschen ausgehebelt werden kann. Das ist der Punkt, an dem der archimedische Hebel der Emanzipation ansetzt.

Zurück zum alltäglichen Gebrauch des Wortes ‘Subversion’. In den gängigen Wörterbüchern oder Lexika, das heißt in den Anhäufungen des Common sense, tauchen Unterschiede auf, gesellschaftlich und geschichtlich bedingte, je nachdem, ob der Subversion als Absicht, als Prozeß, als Überlegung, mit Apathie oder mit Interesse begegnet wird. Ich beginne mit zwei Beispielen, mit dem Fischerlexikon von 1975 und der ‘Enciclopedia Generale’ De Agostinis von 1989. Ich nehme noch hinzu: ‘Wahrigs Deutsches Wörterbuch’ von 1973 und Zingarellis ‘Vocabolario della Lingua Italiana’ von 1995. Ich gebe gerne zu, daß den italienischen Definitionen aus mitteleuropäischer Sicht zuweilen etwas Ungewohntes anhaftet. Beiden Lexika, auch beiden Wörterbüchern gemeinsam ist die Bestimmung, daß ‘subversiv’ zerstörerisch bedeutet. Nur bleibt das Fischerlexikon beim Zerstörerischen stehen: „subversiv: umstürzlerisch, zerstörend“, während De Agostini hinzufügt: „sovversivo, was auf Umsturz der konstituierten Ordnung aus ist; subversive Theorie: im weiten Sinne, was auf Umstülpung einer Tradition, auf Innovation aus ist“. Das Zerstörerische erweist sich hier als Negation nach vorne. Noch eindeutiger ist der Unterschied bei den Wörterbüchern. Während der deutsche Wahrig bei „umstürzend, umstürzlerisch, zerstörend“ stehen bleibt, geht der italienische Zingarelli entschieden weiter: „sovversivo: 1. wer versucht, Institutionen des Staats umzustülpen, ihn in seiner Struktur zu verändern (subversive Theorie); 2. wer auf radikale Innovation, auf Umwälzung von Traditionen aus ist; rebellisch, aufrührerisch“.

Auf gut deutsch gibt es also in der Subversion keine Theorie, im Italienischen finden wir nicht nur Rebellion, sondern auch Theorie und radikale Erneuerung. Wir wollen sehen, ob darin der Sinn der subversiven Theorie liegt: im Nachdenken über schlechte Zustände und in der Einsicht in die Notwendigkeit der Umwälzung, im Entwurf des Neuen. Denn nur so verstanden, konjugiert sich Subversion auf Emanzipation. Denn es gibt Angriffe auf die konstituierte Ordnung, die nicht die Freiheit meinen, sondern nur eine andere, noch ordentlichere Ordnung. Sie richten sich gegen institutionelle Zwänge, aber nur, um einen noch härteren Zwang durchzusetzen. Sie gehen gegen die Macht vor, aber nicht als Gegenmacht, sondern selbst als Macht: eine Macht gegen eine andere, keine Negation, vielmehr schlicht und einfach staatstragend und konstruktiv. Leider kennt die deutsche Sprache trotz ihres Reichtums für diesen Sachverhalt kein Wort. Wenn aber die Sprache, sagt Hegel, das Leben des Geistes ist, wenn das Bewußtsein, das produzierende, sich auch in der Gestalt der Sprache verwirklicht, dann könnte dieser semantische Mangel unter Umständen etwas verbergen, vielleicht die Identifikation mit den herrschenden Mächten. Diese Art der Kampfansage gegen die Freiheit, die Marx irgendwo die Revolution für die Sklaverei, die die kritische Theorie die konformistische Rebellion genannt hat, heißt im Italienischen nicht ‘sovversione’, sondern ‘eversione’. Und bei der ‘Eversion’ findet sich in den italienischen Lexika kein Hinweis auf Theorie; und in der Tat kennt die Eversion nur Ideologeme, Gefühle und die schlimme Logik des Irrationalen.

Nun ist immer wieder von Ideen die Rede, und wenn davon gesprochen wird, erhebt sich schnell der altbekannte Einwurf, man befasse sich mit bloßen Überbauerscheinungen, mit einer Schimäre. Daher einige Anmerkungen zum Problem des Verhältnisses von Basis und Überbau, das häufig und irrigerweise mit dem von Sein und Bewußtsein verwechselt wird. Hier gilt es, allerhand neu und weiter zu denken. So lehrreich und interessant die Entdeckungsreise ins negative Denken sein mag – zur Erbauung soll sie ebensowenig geraten wie zur Besichtigung einer Galerie von Geistesgrößen. Die Frage lautet aber, ob die subversive Theorie, ob überhaupt irgendeine Idee zur materiellen Gewalt werden, also, materialistisch gesprochen, ob sie zur Basis gehören kann. So einfach zu klären ist das Verhältnis, wenn man so will: die Dialektik von Materie und Idee nicht. Sicher: Das gesellschaftliche Sein bedingt das Bewußtsein. Es kommt aber darauf an, wie beide Pole begriffen werden. Die mechanische Gegenüberstellung vergißt, daß das gesellschaftliche Sein keineswegs ein bewußtloses Sein ist – sonst wäre es ein bloß anorganisches oder vegetatives Dasein. Zum gesellschaftlichen Sein gehört allemal die Arbeit des Gehirns, die spezifische Form des produzierenden Bewußtseins. Die Widerspiegelungstheorie, also die orthodoxe Karikatur, zu der Marxens Thesen über Feuerbach verkommen sind, übersah schlicht die Wirklichkeit eines Bewußtseins, das nicht bloß rezipiert noch Ideologien sich ausdenkt, sondern das praktisch produziert. Nach dieser Karikatur sähe der wirkliche Lauf der Dinge so aus, als ob – ein Mysterium oder die religiöse Seite der Widerspiegelung – aus der mittelalterlichen Weise des Webens im Fortschritt des Stoffwechsels mit der Natur der mechanische Webstuhl entstanden wäre und das Bewußtsein diesen Tatbestand nachträglich wahrgenommen hätte. Am Ende käme das überraschte Bewußtsein zur erneut widerspiegelnden Erkenntnis, es beginne nunmehr die industrielle Produktion. Auch diese Perspektive muß subvertiert werden, da die wirkliche Entwicklung genau andersherum verläuft. Als das Gehirn vermittels des Nachdenkens und der Arbeit des Bewußtseins eines englischen Pfarrers den mechanischen Webstuhl erfand, hielt es das Sein der alten Produktionsweise nicht mehr bei sich aus. Daß indes das Tätigsein des Gehirns zur Basis der Wirklichkeit gehört, hatte Descartes bereits fünfzehn Jahre vor dem mechanischen Webstuhl auf seine, wenn auch verschrobene, weil idealistische Weise entdeckt und derart den Umsturz angesagt: „cogito ergo sum“.

Mit seiner Abhandlung ‘Über die Methode’ hatte Descartes – allerdings widerwillig – ganze Gedankensysteme in Frage gestellt, aber es gibt aber auch entschiedenere Verneiner, die das Althergebrachte zum Einsturz brachten. Ich erinnere exemplarisch an den Hylozoismus der Vorsokratiker, an Brunos Unendlichkeit, an Diderots Atheismus; und nicht von ungefähr steht dabei häufig die Materie als Begriff und Problem im Vordergrund. Die Aussage, die Materie sei belebt, die These, daß zwar „die Materie ohne Geist, der Geist aber nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann“ (Goethe), sagt allem Außerirdischen ab, bricht mit Jahrtausende alten Traditionen und läßt die Götter, den Schöpfergott zumal, in die Bedeutungslosigkeit, in die Nichtexistenz verschwinden. Auch dies gehört zur Sache selbst.

Die Forschung nach der subversiven Theorie wird durch eine negative Landschaft führen, in der die Negation als Motor der dialektischen Bewegung, das heißt: als movens aller Widersprüchlichkeit wirkt – nicht Negation der Negation, nicht Versöhnung also, sondern Negation sans Phrase, Negation als destructio, als eigenwillige Vernunft, die gegen das faktisch Bestehende angeht, gegen die Logik der Ordnung: der ordentlichen Produktionsweise, der ordentlich im Staat verfaßten Gesellschaft, des Ordnungsglaubens und des ordentlich strukturierten Denkens. Das will im Grunde heißen: gegen alle Formen der ecclesia triumphans.

In diesem Sinne soll auch ohne schlechtes Gewissen Ideengeschichte getrieben werden, denn es geht darum, Erkenntnisse der Vergessenheit und der Vergeßlichkeit zu entreißen. Aber hier interessieren nicht sogenannte Bildungsgüter, die am Rand der Haupt- und Staatsaktionen des Geistes ihr Leben zu fristen haben, sondern die perennierende Gegenwart der Brüche, Hoffnungen und Entwürfe. Um Gedanken geht es durchaus und, wenn man so will: um die Philosophie, die wider den Stachel löckt. Sie kann dadurch geschichtlich wirksam werden und Praxis einleiten, da sie Unerhörtes anmeldet, Dämme einreißt. Auch im Altbekannten steckt das Unerwartete. Kant zum Beispiel lebte und lehrte als preußischer, genauer ostpreußischer Professor. Und dennoch verdiente er, ein pedantischer, stiller Anbeter der Pflicht, sich den subversiven Ehrentitel: „Der Alleszermalmer“. Heinrich Heine sah in ihm einen radikaleren Revolutionär als Robespierre, denn dieser ließ einen König köpfen, Kant aber enthauptete Gott. Sicher: Auch aus subversiver Theorie können Ideologien oder Legitimationen entstehen. Auch das richtige Bewußtsein, daß das Vorhandene zu verändern sei, kann zum falschen des bloßen Machtwechsels gerinnen, also zur falschen Wirklichkeit, zur „faulen Existenz“ (Hegel); nicht nur das tragische Schicksal der Bolschewiki, auch Luthers Rücknahme seines ursprünglichen Umdenkens, seine doppelte ‘metanoia’ gehört dazu.

Wenn also von den Ideen zu sprechen sein wird, darf ihr geschichtlicher Zusammenhang nicht vergessen werden. Auch die geschichtliche Wirklichkeit bedingt das Denken. Die Vorlesung wird auch von den christlichen Ketzern handeln, so von Joachim von Fiore, von Fra Dolcino, von Thomas Müntzer und von den Levellers – samt und sonders subversive Elemente, Rebellen allemal, aber Rebellen in Christo. Sie waren aufrechte Christen, und es wäre nichts verkehrter, als sie zu Vordenkern freier, unreligiöser Ideen zu machen. Ernst Bloch nannte Müntzer einen „Theologen der Revolution“. Gerade seine Theologie gehört wesentlich zu seiner Subversion und muß daher ernst genommen werden. Das Denken dieser christlichen subversiven Elemente kam aus dem Glauben, nicht aus wissenschaftlicher Erwägung. Dennoch brach in ihren Glauben das Wissen ein: daß es üble Zustände gäbe und daß ihre Abschaffung notwendig bedeuten müsse, die Verhältnisse selbst umzuwerfen. Das war allerdings nicht der Glaube, der sich sonst als treues Instrument der Macht bewährt. Bei ihnen wirkte eine Kraft, die sich nicht um Dogmen und Systeme sorgte, sondern um die Autonomie, um eine menschlichere Wirklichkeit. In diesen Ketzereien sind die Spuren einer Perspektive präsent, die erst viel später ihre theoretische Bestimmung finden sollten.

aus: Johannes Agnoli, Subversive Theorie: „Die Sache selbst“ und ihre Geschichte, Gesammelte Schriften Bd. 3, Freiburg (ça ira-Verlag) 1996, S. 11-17.

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