http://www.proletarische-briefe.de/artikel?id=30 Proletarische Briefe: Die Fünf-Stunden-Woche

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Die Fünf-Stunden-Woche

Die Arbeitsproduktivität wächst und wächst; etwas um 1,5% pro Jahr. Zudem existiert Massenarbeitslosigkeit. Würde sie eingesetzt, könnte die Arbeitszeit für alle stark reduziert werden. Nicht zu vergessen sind die vielen eigentlich "nutzlos" Beschäftigten, die nichts zum eigentlichen Wohl der Menschen beitragen, wie beispielsweise die Drückerkolonnen bei Versicherungen, das Heer der Verkäufer, Vermögensberater, etc. Die komplizierte Eigentumsordnung produziert mit ihren unübersehbaren Rechtsstreitigkeiten, Institutionen und ideologischen Verteidigungskämpfen eine Verschwendung, die selbst den Pyramidenbau in Ägypten in den Schatten stellt. Arbeitszeitkürzung ist technisch jederzeit möglich, wird aber durch die kapitalistische Verfassung, durch Eigentum und Geld, verhindert.

Wären diese Hindernisse beseitigt, würde sich also die Arbeit nicht länger um den Mammon, sondern um den Menschen selbst drehen, dann könnte für die Arbeitszeit das Motto gelten: “5 Stunden sind genug“. Dies ist der Titel eines Buches von Darwin Dante, Manneck Mainhatten Verlag, Frankfurt 1993. Gemeint ist die Arbeitszeit pro Woche, nicht pro Tag!!!

Kritisches Denken hat es heutzutage nicht einfach, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erobern. Da stehen Bataillone von Journalisten, Publizisten, Parteibonzen, Politikern etc. bereit, um den Schmerz und das Elend dieser Welt zu verschweigen oder als naturnotwendig zu rechtfertigen. Geistige Autoritäten werden durch Vergabe von Nobelpreisen, öffentliche Würdigungen, durch besondere Titel und natürlich durch hohe Gehälter mit großem Erfolg aufgebaut, vor denen alles kritische Denken ehrfurchtsvoll zurückweichen soll.

Einfache Wahrheiten über unsere Gesellschaft müssen vor einem solchen päpstlichen Richterstuhl als unverschämte Lügen erscheinen, ähnlich wie die im 17. Jh. vorgetragene Erkenntnis Galileis über die Bewegung der Himmelskörper.

Zu solchen “galileischen Wahrheiten“ gehört die Auffassung von einer radikalen Arbeitszeitverkürzung, die technisch jederzeit möglich, durch die kapitalistische Verfassung, durch Eigentum und Geld, aber verhindert wird: Wären diese Hindernisse beseitigt, würde sich also die Arbeit nicht länger um den Mammon, sondern um den Menschen selbst drehen, dann könnte für die Arbeitszeit das Motto gelten: “5 Stunden sind genug“. Dies ist der Titel eines Buches von Darwin Dante, Manneck Mainhatten Verlag, Frankfurt 1993. Gemeint ist die Arbeitszeit pro Woche, nicht pro Tag!!!

Dante gibt dem Leser als Beweis seiner These ein einfaches “Fernrohr“ zur Hand, durch das jeder das greifbar nahe, durch die Eigentumsschranke noch verborgene Arbeitsparadies leicht erkennen kann. Ausgehend von Zahlen des Statistischen Jahrbuches für die Bundesrepublik Deutschland berechnet er unter Abzug allerlei überflüssiger Tätigkeiten, die auf der Geld- und Eigentumsordnung beruhen und nichts zur eigentlichen Bedürfnisbefriedigung der Menschen beitragen, die “notwendige Arbeit“.

Das von den Unternehmern erwünschte, von den wissenschaftlichen Autoritäten “bewiesene“, von der Journaille aufgebauschte und von der Polizei notfalls auf der Straße durchgesetzte Argument, Arbeitszeitverkürzung sei - wenn überhaupt - ohne entsprechende Lohnkürzung unmöglich, hat sich zusammen mit Geld und Eigentum schlicht aufgelöst. Lohn gibt es nicht mehr, ebenso keine Tauschwerte, keinen Handel mit Waren oder Geld - die ganze kommerzielle Seite des stofflichen Reichtums entfällt. Keiner ist schlechter gestellt als zuvor.

Dante ist bestrebt, diese gesellschaftliche Alternative als für jedermann vernünftig und als attraktiv für alle erscheinen zu lassen. Es kümmert ihn nicht die Feindschaft der Unternehmer gegen die Arbeitszeitverkürzung, die leidenschaftliche, mit allen ideologischen, rechtlichen und militärischen Mitteln betriebene Verteidigung des Privateigentums. Er begreift die bürgerliche Welt nicht als Kampfterraine der Klassen.

Seine wenig durchdachten Vorstellungen zum Übergang in die neue Welt beruhen auf einem Circulus vitiosus: Durch eine bewusst herbeigeführte Überproduktionskrise mittels massenhaft eingestellter Arbeitsloser sollen Geld und Tauschhandel überflüssig gemacht werden, soll die Einsicht erwachsen, sich die hergestellten Güter einfach zu nehmen, statt die Betriebe still legen und sich feuern zu lassen. Eigentum und Geldwirtschaft werden ausgeräumt. Um dies aber in die Wege zu leiten, müssen zuvor Eigentum und Geldwirtschaft praktisch beseitigt worden sein, müssen sich nämlich die Arbeitslosen einen freien Zugang in die Fabriken und Büros erkämpft haben, um die für die Unternehmer ganz offensichtlich ruinöse Überproduktion ins Werk zu setzen.

Dante entwickelt aus der in der Statistik dargestellten herkömmlichen Reichtumsproduktion eine neue prachtvolle Welt des Reichtums, die mit einer Wochenarbeitszeit von weniger als fünf Stunden auskommt. Ausgehend von einer heutzutage üblichen 40-Stunden-Woche wird die “notwendige Arbeit“ bestimmt, die erforderlich ist, um den gegenwärtig vorhandenen “Luxus und Wohlstand“ zu erzeugen. Dazu zählen die Gebrauchswertorientierten Tätigkeiten der Land- und Forstwirtschaft, des Verarbeitenden Gewerbes, der Bauwirtschaft, des Energie-, Wasser- und Bergbausektors sowie Verkehr und Nachrichtenübermittlung, Gesundheitswesen, Reinigung und Körperpflege.

Jene Arbeiten, die nichts zum güterwirtschaftlichen Wohlstand beitragen, da sie ganz der kapitalistischen Gesellschaftsform angehören, also aus der Geldwirtschaft, dem Handel und dem Privateigentum hervorwachsen, werden nicht erfasst.

Insgesamt weist die Rechnung als “notwendige Arbeit“ 13,7 Mio. Beschäftigte aus; bezogen auf das statistisch ausgewiesene Erwerbspersonenpotential von 29,5 Mio. Personen wäre nach dieser einfachen Rechnung bereits eine 18,6-Stunden-Woche (=40Std./29,5*13,7) völlig ausreichend. Umgekehrt gehören 21,4 Stunden (Differenz zur tatsächlichen 40-Stunden-Woche) zur überflüssigen Arbeit, bilden einen schmerzlichen Tribut an die modernen Götzen Eigentum und Geld. Im Vergleich zu dieser gewaltigen Verschwendung erscheint der aufwendige Pyramidenbau des alten Ägypten als sehr bescheidene Angelegenheit.

Alle Zahlen beziehen sich auf die alte Bundesrepublik des Jahres 1987; aufgrund der fortentwickelten Technologie sieht das heutige Bild noch günstiger aus.

Der kaum noch “bezahlbare“ Kapitalismus erzeugt weitere Arbeitsopfer, die Dante statistisch erfassen möchte. Hierbei werden manche kühne Annahmen getroffen: Bekannt ist, dass die Unternehmer überhaupt keine Freude verspüren, wenn ihr Markt gesättigt ist. Also versuchen sie aus Marketingüberlegungen heraus die Lebensdauer der von ihnen angebotenen Waren bewusst zu verkürzen. Die Glühbirne ist dafür ein anschauliches Beispiel: Durch eine andere Legierung und eine bessere Aufhängung des Glühfadens könnte die Lebensdauer auf ein Menschenalter ausgedehnt werden. Dante schätzt, dass die Lebenserwartung aller Gebrauchsgüter technisch um das 7 bis 8-fache gesteigert werden könnte.
Solch eine Verlängerung der Lebensdauer führt in der Berechnung Dantes zu weiteren Arbeitseinsparungen um wöchentlich rd. sechs Stunden. Hinzu sollen noch Einsparungen von mehr als zwei Stunden durch Verbesserung der Lebens- und Arbeitsstrukturen kommen. Dazu zählt die deutliche Verringerung des Pkw-Bestandes durch gemeinschaftliche Nutzung, durch Wegfall der Rushhour, durch Urlaubs- und Reiseverbesserungen und durch die davon ausgehenden indirekten Wirkungen auf das Produzierende Gewerbe.

Die Verringerung der Arbeitszeit auf inzwischen knapp zehn Stunden pro Woche macht die Arbeit attraktiv auch für solche Personen, die heute durch Überarbeit, Stress, Arbeitshetze, Arbeitslosigkeit etc. und durch den Staat in das Rentnerghetto gezwungen werden. Auch die übliche Faulenzerei, die vornehmlich im Geldadel verbreitet ist, dürfte angesichts attraktiver, gesellschaftlich sinnvoller Betätigungsmöglichkeiten rasch aufhören.

Nach einer vorsichtigen Berechnung Dantes, die nur zwei Drittel der älteren Personen als Arbeitswillige berücksichtigt, erhöht sich das Erwerbspersonenpotential um 12,3 Mio. oder 40% auf 41,8 Mio. Daraus errechnet sich eine zusätzliche Arbeitszeitersparnis von knapp drei Stunden pro Woche.

Bedingt durch die Arbeitszeitverkürzung erwartet Dante einen Kreativitätsschub, der zu einer Beschleunigung der Automatisierung mit weiteren Arbeitszeitersparnissen führen soll.

Die Gesamtrechnung sieht nun folgendermaßen aus:


Alter Zustand: 40,0 Stunden pro Woche
./. Überflüssige, durch Geldwirtschaft u. Eigentum bedingte Tätigkeiten -21,4

=Menge der heute “Notwendigen Arbeit“ 18,6
./. Einsparung durch verlängerte Lebensdauer der Gebrauchsgüter -6,2
./. Einsparung durch andere Strukturen -2,3
./. Einsparung durch geringeren Energieverbrauch-0,3
Notwendige Arbeit bei gleicher Technologie und Erwerbspersonenzahl 9,8
./. Einbeziehung aller Arbeitswilligen -2,9
./. Ausweitung der Automatisierung -2,0

=Neuer Zustand: Notwendige Arbeit einer geld- u. eigentumslosen Gesellschaft 4,9


Befreit vom kapitalistischen Krebsgeschwür verkürzt sich in der zukünftigen Gesellschaft nicht einfach nur die Arbeitszeit, sie verliert zudem ihren bitteren, leidvollen Charakter: Durch die Aufhebung des Privateigentums, der eigentlichen Schranke der persönlichen Entwicklung, erhält jeder unmittelbar Zutritt zur Welt des gemeinschaftlichen Reichtums, kann sich jeder “von den von allen geschaffenen Gütern frei bedienen.“ Selbst ein Staat existiert nicht, der als allgemeiner Eigentümer, wie im untergegangenen Staatssozialismus, den Zutritt verwehren könnte. Die gesellschaftlich organisierte freie Verfügbarkeit über Güter gilt sowohl für die produktive Konsumtion, wodurch neue Güter geschaffen werden, als auch für die persönliche Konsumtion. Dies bedeutet, wie Dante zu Recht hervorhebt, die “tiefste und grundlegendste Wandlung der Menschheit“, einen wirklichen “Zivilisationssprung“.

Die Arbeit verliert ihre belastende Dauer und ihren Erwerbscharakter. Sie verkommt nicht länger zum bloßen Mittel des individuellen Konsums. Monotonie, Einseitigkeit und Verkrüppelung in der Arbeit hören auf zu existieren, nicht nur wegen der verkürzten Arbeitsdauer, sondern auch deshalb, weil der Produzent nicht länger unter die gesellschaftliche Arbeitsteilung und die dazugehörigen Bedingungen subsumiert ist. Er übt für eine kurze Dauer eine bestimmte, durch die Arbeitsteilung festgelegte Teilfunktion aus, ohne lebenslanger Teilarbeiter sein zu müssen. An die Stelle des zerhackten Teilindividuums tritt die total entwickelte Persönlichkeit, für welche verschiedene gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen bilden.

In einer solchen wirklich freien Gesellschaft werden die Menschen ganz ohne Zwang und ohne äußeren Anreiz “aus Lust ‘arbeiten'“, und die Lust wird sie “zum Arbeiten drängen“. Die Arbeit selbst verwandelt sich dann in freie produktive Selbstbetätigung, wird zu einem Genuss des Lebens und ist nicht, wie unter dem Regime des Privateigentums, ein dem individuellen Leben entfremdetes Mittel zur Erhaltung einer bloß physischen Existenz.

Die äußere Notwendigkeit, nämlich die notwendige Herstellung von Gütern, tritt den Individuen nicht länger als Zwang gegenüber, sondern stellt sich ganz nebenbei ein, vergleichbar mit der Produktion des Menschen im Liebesspiel der Geschlechter.





Guenther Sandleben

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