Redebeitraege Bordigas zum Fuenften Weltkongress der Kommunistischen Internationale (1924)
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REDEBEITRÄGE BORDIGAS ZUM FÜNFTEN WELTKONGRESS DER KOMMUNISTISCHEN INTERNATIONALE
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Redebeiträge Bordigas zum Fünften Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1924
Fortsetzung der Diskussion über die Tätigkeit der Exekutive und über die Weltlage (25.6.1924)
Programmfrage (27. Juni 1924)
Bericht der politischen Kommission. Diskussion. 1. Redebeitrag Bordigas (28. Juni 1924)
Bericht der politischen Kommission. Diskussion. 2. Redebeitrag Bordigas (28. Juni 1924)
Fortsetzung der Diskussion über die Gewerkschaftsfrage (7. Juli 1924)
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Redebeiträge Bordigas zum Fünften Weltkongress der Kommunistischen Internationale 1924
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Fortsetzung der Diskussion über die Tätigkeit der Exekutive und über die Weltlage (25.6.1924)
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BORDIGA (1): Genossen! Vor allem bitte ich um Entschuldigung, denn ich bin erst heute morgen eingetroffen und beteilige mich an dieser so wichtigen Aussprache unter etwas besonderen Verhältnissen. Ich werde versuchen, mich sehr kurz zu fassen.

Vor allem einige Worte über den Charakter des Berichtes des Genossen Sinowjew und über den Punkt der Tagesordnung, der hier zur Erörterung steht. Wir diskutieren über einen Bericht, über die Tätigkeit und Taktik der Exekutive der KI in der Periode zwischen dem 4. und 5. Weltkongress. Offenbar handelt es sich bei der Diskussion nicht um die allgemeine Frage der Taktik der KI. Ich finde aber, dass auf diesem Kongress eine allgemeine Aussprache über die Taktik notwendig gewesen wäre, und ich weise diesbezüglich hin auf die Behandlung, die diese Frage auf dem vorigen Weltkongress erfahren hat.

Es ist richtig, dass der 3. Kongress die taktische Frage ausgiebig diskutiert und die Thesen, die wir alle kennen, angenommen hat. In diesen Thesen wird aber nicht, sei es auch nur formell, von den Fragen, die seither die interessantesten geworden sind, z. B. Einheitsfront und Arbeiterregierung, gesprochen. Wir hatten nach dem 3. Kongress Tagungen der Erweiterten Exekutive, die sich mit der taktischen Frage beschäftigten. Die Tagungen der Erweiterten Exekutive sind aber keine Weltkongresse. Der 4. Kongress musste aber die Arbeit dieser Tagungen der Erweiterten Exekutive gewissermassen ratifizieren und in den Thesen die taktischen Direktiven der Internationale kodifizieren.

Die taktische Frage war auf der Tagesordnung. Sie wurde parallel mit dem Bericht über die Tätigkeit der Exekutive in einem Bericht des Genossen Sinowjew behandelt. - Es wurde sogar dem Kongress ein Thesenentwurf zur taktischen Frage unterbreitet, den der Genosse Sinowjew selbst ausgearbeitet hatte. Und es ist richtig, dass dieser Thesenentwurf am Ende des Kongresses angenommen worden ist. Die Kommission aber, die sich mit diesem Problem zu beschäftigen hatte, und die, wenn ich mich recht erinnere, aus dem Präsidium und einigen Mitgliedern der wichtigsten Delegationen bestand, konnte diesen Punkt nicht entsprechend bearbeiten. Sie trat erst in den letzten Tagen zusammen, und erst in diesen letzten Minuten konnte ich einen Thesenentwurf unterbreiten, der dem des Genossen Sinowjew zuwiderlief und von dem der Kongress nicht einmal Kenntnis nehmen konnte.

Wir befanden uns, wie gesagt, in den letzten Minuten des Kongresses, ich konnte nicht weiterdrängen. Man nahm einen Thesenentwurf zur taktischen Frage an, es gab aber keine wirkliche Aussprache über die taktische Frage wie auf dem 3. Kongress.

Jetzt wäre nun eine solche Aussprache notwendig. Wir sehen aber eine Aussprache ganz anderer Art, weil eine Aussprache über die taktische Linie der Internationale im allgemeinen etwas ganz anderes ist, als wenn lediglich über die Taktik diskutiert wird, die die Internationale in der Periode zwischen dem letzten Kongress und dem gegenwärtigen angewendet hat, und aus dieser Schlussfolgerungen von augenblicklichem, vorübergehendem Werts gezogen werden, ohne zu allgemeinen Schlüssen in bezug auf Fragen die in der Internationale noch nicht geregelt sind, zu gelangen.

LOSOWSKI: Die beiden Fragen werden zusammen diskutiert!

BORDIGA: Natürlich, wir haben aber keinen klaren und bestimmten taktischen Thesenentwurf vor uns. Wir haben vor uns die taktischen Thesen des 4. Kongresses, die abgeändert werden müssen, weil jedermann damit einverstanden ist, dass dies geschehen muss; selbst der Genosse Sinowjew hat dies zugegeben. Wir sehen aber keine Diskussion, die in richtigen Verhältnis zu dieser Aufgabe stünde. Ich möchte noch eine weitere Bemerkung machen über diese Debatte und über alle Debatten dieser Art, die hier stattfinden und den wichtigsten Teil des Weltkongresses bilden. Es wäre notwendig, dass wir die Tätigkeit und die Taktik der gesamten Internationale, den Bericht ihres höchsten Organs, der Exekutive, über ihre Tätigkeit zwischen den beiden Kongressen, besprechen. Es wäre notwendig, die Tätigkeit, das Werk des leitenden Organs der Internationale einer sehr aufmerksamen Prüfung zu unterziehen. In Wirklichkeit sehen wir aber, dass nicht über die Exekutive zu Gericht gesessen wird, sondern dass stets die Exekutive hier über jede Partei, über jede Sektion zu Gericht sitzt. (Beifall und Lachen.)

Und die Redner, die auf dem internationalen Kongress sich im Namen einer Sektion der KI an dieser internationalen Aussprache beteiligen, kümmern sich fast stets bloss um die Angelegenheiten ihrer Partei und antworten lediglich darauf, was der Genosse Sinowjew in bezug auf die Angelegenheiten der betreffenden Partei sagt. Die Redner bleiben stets in den durch ihre nationalen Angelegenheiten gezogenen Schranken. Wir sehen aber keine Aussprachen und Resolutionen wahrhaft internationaler Natur, in welchen die Massen der Mitglieder der KI im Wege der Delegierten zu dem Werk, der Tätigkeit des leitenden Organs in der Periode, die geprüft werden soll, Stellung nehmen würde.

Nach diesen Vorbehalten möchte ich nun einige Worte über die wichtigsten Fragen, von denen Genosse Sinowjew hier sprach und die den Gegenstand der Diskussion bildeten, sagen. Genosse Sinowjew gab uns eine Skizze der Weltlage mit der man im allgemeinen voll einverstanden ist. Er sagte uns: Wir haben auf dem 4. Kongress die Möglichkeit einer Ära pazifistischer Illusionen vorhergesehen, und gegenwärtig sehen wir, dass in sehr wichtigen Ländern sich linksbürgerliche Regierungen, in manchen Ländern sogar unter Beteiligung der Sozialdemokraten, gebildet haben. Wir befinden uns daher in einer Periode, in der die Bourgeoisie eine völlig liberale, demokratische Politik treibt: man ist daher in einem gewissen Sinne gezwungen, diese Politik jener reaktionären und faschistischen Politik der Bourgeoisie gegenüberzustellen, die vor zwei Jahren auf der Tagesordnung zu sein schien, und die die Grundlage bildete für jene Schilderung der Lage, die wir auf dem 3. Kongress formulierten, als wir die grosse Offensive des Kapitals feststellten.

Nun gebe ich zu, dass die Augenblickliche Orientierung in der Richtung einer linksbürgerlichen Politik zu liegen scheint, ich finde aber nicht, und ich glaube, dass der Genosse Sinowjew mit mir hierin einverstanden ist, dass dies ein Ende oder eine Verlangsamung der kapitalistischen Offensive bedeuten würde. Wir glauben, dass die Offensive des Kapitals sich sehr verschiedener Mittel bedienen kann. Es gibt einen Rechtsweg; dies ist die offene Reaktion, der Belagerungszustand, der Terror gegen die proletarische Bewegung. Es gibt Linksmethoden; diese sind die demokratische Lüge, die Illusion der Zusammenarbeit der Klassen. Diese beiden Methoden zielen aber auf den gleichen Zweck ab, und man muss nicht notwendigerweise annehmen, dass es scharf voneinander getrennte historische Perioden geben muss, in welchen die gesamte Weltbourgeoisie oder ein Teil der Weltbourgeoisie sich der Rechtswaffen oder der Linkswaffen bedient. Der Referent selbst sieht voraus, dass diese pazifistische Ära in einer ziemlich nahen Zukunft einer neuen Ära der faschistischen Reaktion den Platz abtreten kann. Meines Dafürhaltens gehen wir einer Synthese der beiden Perioden entgegen. Die Erwägungen bezüglich der Krise des Kapitalismus, die uns auf den vorhergehenden Kongressen zu der Feststellung veranlassten, dass die Bourgeoisie, um ihre Macht zu behalten, gezwungen sei, eine scharfe Offensive gegen die Arbeiterklasse einzuleiten, behalten voll ihre Gültigkeit. Die Offensive der Bourgeoisie dauert an, und wo sie den Charakter des Faschismus angenommen hat (ich glaube, wir werden Gelegenheit haben, über den Faschismus bei andern Punkten der Tagesordnung zu sprechen), unterscheidet sie sich nicht sehr von der Diagnose des Genossen Sinowjew betreffend die sozialdemokratische Politik, die die Politik einer dritten bürgerlichen Partei, eine Politik der Mobilisierung einer Arbeiteraristokratie und gewisser bäuerlicher und kleinbürgerlicher Schichten im Interesse der Bourgeoisie geworden ist. Im Grunde ist auch der Faschismus nichts anderes. Der Faschismus ist nicht mehr die einfache traditionelle Reaktion des Belagerungszustandes, des Terrors, er ist eine weit modernere, schlauere, erfahrenere Bewegung, die gerade darauf abzielt, einen Halt in gewissen Schichten der Masse zu finden. Es ist schwer für ihn, die Masse der Industriearbeiter zu erfassen. Es gelingt ihm aber in der ersten Periode seiner Tätigkeit, in andere Schichten durch Ausschlachtung der kleinbürgerlichen Ideologie eine Mobilisierung, ähnlich der sozialdemokratischen Mobilisierung, die im Interesse der Aufrechterhaltung der bürgerlichen Verhältnisse stattfindet, herbeizuführen. Wir müssen uns darauf gefasst machen, dass die beiden Methoden der bürgerlichen Offensive eine Synthese bilden werden, und dass die Sozialdemokraten und Faschisten zusammen eine scharfe Offensive gegen die revolutionäre Bewegung unternehmen und in Gemeinschaft als Gegner auftreten werden, gegen den der Weltkommunismus zu kämpfen haben wird.

Welche Schlussfolgerungen sind daraus zu ziehen? Wir stimmen alle darin überein, dass in einer Periode der demokratischen und liberalen Politik der Bourgeoisie für unsere Parteien die Gefahr gewisser pazifistischer und zu Zusammenarbeit neigender Illusionen besteht. Diese Gefahr tritt aber auch bei der faschistischen Reaktion zutage, weil da verlangt wird, dass aus der Offensive nicht die völlig marxistischen Schlussfolgerungen gezogen werden sollen, die Lenin auf dem 3. Kongress zog, sondern weit banalere und einfachere, und zwar in der folgenden Weise: Die Bourgeoisie leitet durch die faschistische Bewegung eine Offensive gegen uns ein. Es ist der Augenblick gekommen, wo wir diese Anstrengungen mit einer Koalition der bürgerlichen Kräfte mit gewissen halbbürgerlichen Kräften, mit einer Koalition der nichtfaschistischen Parteien, mit einer Koalition der Kommunistischen Partei mit den sozialistischen und vielleicht auch mit gewissen kleinbürgerlichen oder bäuerlichen Parteien beantworten müssen. Natürlich ist dies eine falsche Antwort; der 3. Kongress verlangte nicht, dass die Weltoffensive des Kapitalismus mit diesem banalen, der II.Internationale eigenen Mittel, einem Block der revolutionären Partei mit sogenannten proletarischen Parteien, die in Wirklichkeit den linken Flügel der Bourgeoisie darstellen, beantwortet werden soll. Es handelt sich um etwas ganz anderes. Es handelt sich darum, dass wir den Problemen der unmittelbaren Lebensverhältnisse des Proletariats, den Problemen, die durch die kapitalistische Offensive aufgerollt werden, eine entsprechende marxistische Beachtung widmen. Es handelt sich um die Feststellung, dass die Aufgabe der Kommunistischen Partei - hierin sind wir alle völlig einverstanden - nicht bloss darin besteht, für unser Minimalprogramm, für unsere marxistische Ideologie Propaganda zu machen, sondern auch darin, alle Episoden des Arbeiterlebens zu untersuchen, sie mit Aufmerksamkeit zu verfolgen, uns an allen durch die unmittelbaren Interessen der Arbeiterklasse hervorgerufenen Kämpfen zu beteiligen, diesen Kampf als das Gebiet zu betrachten, auf dem die Kommunistische Partei dem Proletariat das Kämpfen beibringt und es einer revolutionären Entwicklung des Kampfes entgegenführt.

Um dies zu tun haben wir die Pflicht und die Möglichkeit, uns selbst an die Arbeiter zu wenden, die unsere politische Ideologie noch nicht begriffen haben, die noch nicht in unserer Partei kämpfen, sondern andern Parteien Gefolgschaft leisten. Wir können zur Bildung einer Einheitsfront der Arbeiterklasse auffordern, wir können eine einheitliche Aktion der Arbeiterklasse anstreben. Das bedeutet aber keine banale Koalition mit den sozialdemokratischen Parteien, die wir als Verräter behandelt haben und die wir nach wie vor als die Schuldigen an der Lage, in der sich das Proletariat befindet, bezeichnen. Das sind zwei ganz verschiedene Sachen. In dem ersteren Sinne haben wir stets erklärt, dass wir die Einheitsfronttaktik annehmen, und in diesem Sinne waren wir bestrebt, sie bei uns in Anwendung zu bringen. Es wurde hier diesbezüglich eine Formel unterbreitet; sie ist ziemlich annehmbar; eine Formel besteht - es ist dies sozusagen ein Übereinkommen - aus sehr wenigen Worten, und daher fast stets annehmbar, vorausgesetzt, dass man einander klar versteht und dass genau festgesetzt wird, was unter der Formel zu verstehen ist.

Die hier unterbreitete Formel lautet: Einheitsfront von unten und nicht von oben; es ist dies eine ziemlich gute Formel. Sie bedeutet die Einheitsfront der Schaffenden, der gesamten Arbeiterklasse, nicht die Koalition des Generalstabes der Kommunistischen Partei mit den Generalstäben anderer, sogenannter Arbeiterparteien. Denn wenn wir unsere gesamte revolutionäre, politische Vorbereitungsarbeit im Proletariat nicht in Frage stellen wollen, dürfen wir nicht die Annahme zulassen, dass es ausser der Kommunistischen Partei noch eine andere Arbeiterpartei gibt, dass die sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien Teile der Arbeiterklasse sind, die sich aus Zufallsgründen getrennt haben, aber zusammen marschieren und kämpfen können.

Wir müssen im Gegenteil sagen, dass eine Unterscheidung unserer Partei von den opportunistischen Parteien eine Notwendigkeit des revolutionären Kampfes ist, dass wir aber trotzdem nicht darauf verzichten, zwischen Arbeitern, die schon Kommunisten sind, und Arbeitern, die sich in den sozialdemokratischen und opportunistischen und vielleicht sogar in bürgerlichen Parteien befinden, eine gemeinsame Aktion auf der Grundlage von Teilforderungen ins Auge zu fassen. Nun sehen wir eine durch den Genossen Sinowjew gegebene Formel, die nicht völlig die Einheitsfront von oben ausschliesst. Wir sehen die Erklärung der Genossin Fischer, die sagt: Diese Formel ist zu klären, trotzdem können wir aber in gewissen Fällen einer Einheitsfronttaktik zustimmen, die uns zu Beziehungen mit den Führern, mit den Generalstäben anderer Parteien führt.

In welchem Sinne können wir dieser Auffassung zustimmen? Meines Dafürhaltens ist der Standpunkt, den wir gegenüber diesem taktischen Problem einzunehmen haben, der folgende: Die Grundlage der Einheitsfront darf nie die eines Blocks der politischen Parteien sein. Sie kann in andern Organisationen der Arbeiterklasse, ganz gleichgültig welchen, gefunden werden, aber in Organisationen, die, ihrer Verfassung nach, für eine kommunistische Führung erobert werden können, Organisationen, die revolutionär werden können. Wenn wir die Einheitsfront auf dem Gebiete der Gewerkschaften, der Betriebsräte und jeder andern Arbeiterorganisation, selbst wenn sie unter der Führung opportunistischer Führer stehen, vorschlagen, eine Einheitsfront, die für uns vielleicht die Notwendigkeit ergeben wird, mit den Führern persönlich zu verhandeln - das erschreckt uns nicht -, wenn wir dies tun, so fordern wir Organe zum Kampfe auf, die revolutionäre Organe werden können, und es, soll das Proletariat siegen, auch werden müssen. Wenn wir aber eine politische nichtkommunistische Partei zur Aktion auffordern, so wenden wir uns an ein Organ, das nicht imstande ist, für die Weltrevolution zu kämpfen, das nicht fähig ist, die Interessen der Arbeiterklasse zu fördern, und wir stellen durch unsere Haltung diesen Parteien ein Zeugnis revolutionärer Aktionsfähigkeit aus, das unsere gesamte grundsätzliche Arbeit, unsere gesamte auf die politische Vorbereitung der Arbeiterklasse abzielende Tätigkeit über den Haufen wirft. [Lebhafter Beifall]. Man sagt uns jetzt sogar: Gewiss, bei der Auslegung der Einheitsfronttaktik wurden opportunistische Fehler gemacht, sie wurde zu sehr im Sinne einer Koalition mit der linken Sozialdemokratie ausgelegt. Wir lehnen nun diese Auslegung ab und nehmen sogar an unserm Standpunkt in dieser Frage Abänderungen vor. Diese Taktik, die die Taktik einer Periode war, in der eine pessimistische Stimmung herrschte - es schien, dass die Linie der Revolution sich im Abstieg befand -, entspricht nunmehr nicht der gegenwärtigen Lage, die reich an revolutionären Möglichkeiten ist, wie das Genosse Sinowjew sehr gut dargelegt hat. Gegenwärtig wären wir viel mehr für eine Taktik, die die politische Selbständigkeit der Kommunistischen Partei klar zum Ausdruck bringen soll, bleiben aber bei der Meinung, dass wir uns an die breitesten Massen der Arbeiterklasse wenden müssen, um das Ziel zu erreichen, über das wir alle einig sind, und das in der allgemeinen Einheit der Arbeiterklasse und selbst der Bauernklasse unter Führung der Kommunistischen Partei besteht. Diese Auffassung ist aber meines Dafürhaltens nicht zufriedenstellend, denn sie bleibt an die gegenwärtige Konjunktur geknüpft.

Heute ist die Lage der Weltrevolution derart, dass sie uns von dieser Taktik der Koalition mit den Sozialdemokraten abrät. Wir haben aber keinerlei Gewähr dafür, dass man morgen nicht wieder damit anfängt. Unsere Auffassung unterscheidet sich von der des Genossen Sinowjew darin, dass wir der Ansicht sind, dass diese Taktik von Bündnissen mit opportunistischen Parteien nie eine nützliche Taktik für die kommunistische Revolution sein wird, weder wenn die revolutionäre Lage günstig ist und wo es klar ist, dass die Kommunistische Partei eine selbständige Rolle spielen kann, noch wenn die revolutionäre Lage eine ungünstige ist und der Moment der Endaktion weit entfernt zu sein scheint.

Aus diesem Grunde bin ich der Ansicht, dass diese Frage nur in dem Text von Leitsätzen über die Taktik der Internationale und nicht in einer einfachen Resolution zum Bericht der Exekutive, der sich bloss auf die verflossenen letzten zwei Jahre erstreckt, entsprechend erledigt werden kann.

Diese beiden Wege sind ganz verschieden. Die eine Lösung bietet eine ganz andere Gewähr für die Zukunft als die andere.

Man sagt uns z. B., dass die Thesen des 4. Kongresses gewisse Fehler enthalten, die richtiggestellt werden sollen. Wir nehmen diese Richtigstellung zweifellos mit Freude [Heiterkeit] zur Kenntnis, wir behaupten aber, dass die opportunistischen Fehler nicht bloss Fehler in der praktischen Anwendung waren, sondern Fehler in der Leitung der Internationale und des Kongresses, und dass - es muss ja gesagt werden - diese Fehler damals als die Verkörperung einer wahren kommunistischen Taktik betrachtet wurden.

Als z. B. der Genosse Graziadei, dem man soeben wegen seines Buches über die Theorie des Mehrwerts den Garaus gemacht hat [Heiterkeit], auf dem 4. Kongress unmittelbar nach meiner Rede über denselben Punkt der Tagesordnung, mit dem wir uns jetzt beschäftigen, sprach, erklärte er, die linke Fraktion der italienischen Partei sei gegen die Fusion, weil sie gegen die Einheitsfront sei. Die Fusion, meinte er, sei ein Beispiel der Einheitsfront. Heute sind alle darüber einig, dass die organisatorische Unabhängigkeit der Kommunistischen Partei eine unumgängliche Voraussetzung der Einheitsfront ist, zu jener Zeit war das aber die offizielle Auffassung. Jetzt hat selbst Genosse Rienzi von unserer Minderheit diese Auffassung des Genossen Graziadei sehr richtig kritisiert. Damals aber rief man die Orthodoxie gegen meine ketzerischen Behauptungen zu Hilfe. Das war der Grundton des ganzen Kongresses. Ich führe bloss dieses Beispiel an, könnte aber alle Reden des Genossen Sinowjew, seine Antwort usw. nennen.

Es ist offenbar, dass es sich nicht um diesen besonderen Punkt handelt. Es ist aber Tatsache, dass die Einheitsfront uns durch die Internationale und durch die internationalen Kongresse in der Form eines Blocks mit Arbeiterparteien, eines Blocks der Kommunistischen Partei mit andern, sogenannten Arbeiterparteien dargestellt worden ist.

Die Verantwortung für diese falsche Auslegung der Einheitsfronttaktik fällt daher auf die gesamte Internationale, die Mehrheit der internationalen Kongresse und die Leitung der Internationale. In Deutschland ist das gleiche geschehen. Die Tatsachen zeigen, dass während einer gewissen Periode vor der gewaltigen Enttäuschung, die wir erlebten, in Deutschland unter Zustimmung der Internationale eine Koalitionspolitik betrieben wurde, und man gab sich der Illusion hin, dass linke Sozialdemokraten in eine revolutionäre Aktion zusammen mit der Kommunistischen Partei gezogen werden können. Die gleichen Illusionen zeigten sich auch in andern Ländern.

Wenn wir nun diese Erfahrungen mit Nutzen liquidieren wollen, so müssen wir klar sagen, dass diese Illusionen nicht die persönlichen Illusionen dieses oder jenes Genossen von der Zentrale der KPD waren, sondern die Illusionen der grossen Mehrheit der Internationale und selbst der Leitung der Kommunistischen Internationale. Und nunmehr, da die Lage sich ändert, kommen wir zu der Auffassung zurück, dass die Einheitsfront eine Taktik ist, der wir uns bedienen müssen, weil die Teilforderungen das grundlegende Gebiet in unserer Agitationstätigkeit sind, dass aber die politische Selbständigkeit der Kommunistischen Partei als Organ der Revolution nie aufgegeben werden darf, das muss lauter verkündet werden als bloss im Zusammenhang mit einem administrativen oder bürokratischen Bericht. Die Liquidierung muss in einer Weise erfolgen, die für die Zukunft und für die internationale kommunistische Aktion eine völlige Gewähr bieten soll.

Ich gehe nun zur Arbeiterregierung über. Hier liegen die Dinge ganz ähnlich. Ich brauche nicht die Thesen des 4. Kongresses anzuführen, weil der Genosse Sinowjew selbst an sie erinnert hat. Nun, wir stehen noch immer auf dem gleichen Fleck. So ist z. B. in der Rede des Genossen Graziadei, die ich erwähnt habe, die Arbeiterregierung so dargestellt, wie sie Genosse Radek darstellt, als ein strategisches Manöver, das auch auf parlamentarischem Gebiete stattfindet (weil niemand sagt, dass es eine rein parlamentarische Aktion ist, weder Genosse Graziadei noch Genosse Radek), als ein Manöver, das während der Aktion der Massen, aber unter gleichzeitiger Ausnutzung der bürgerlichen Demokratie ausgeführt werden soll. Wir haben in den Thesen, die wir dem 4. Kongress unterbreiteten, diese Auslegung abgelehnt und erklärt, dass sie grundlegende prinzipielle Fragen in bezug auf das Staatsproblem und die Eroberung der Macht, was das Beste in unserm Programm ist und unsere Organisation in ihrer historischen Rolle kennzeichnet, gefährde. Man wollte das aber nicht zugeben. Man nahm diese Auslegung an, und heute, wenn ich mich daran erinnere, dass bei der Diskussion über diese Frage die Genossen Sinowjew und Radek mir übereinstimmend erklärten, dass sie sich schliesslich über eine Formel in bezug auf die Frage der Arbeiterregierung geeinigt haben, muss ich es als eine richtige Einschätzung anerkennen, wenn uns gesagt wird, dass diese Phrase irrtümlich im Text unterlaufen sei. Es handelt sich nicht um den Genossen Graziadei, den Genossen Radek und den Genossen Sinowjew, oder um diesen oder jenen in der KI mehr oder minder tonangebenden Genossen, es handelt sich um die Frage, in welcher Weise die Internationale das Problem der Einheitsfronttaktik eingeschätzt hat, wie auch darum, dass die Tatsache, dass die Internationale ihre Einschätzung jetzt selbst ändern will, nach Gebühr gewürdigt werden soll.

Das, was diesbezüglich vorgeht, ist eine wirkliche Revision. Es ist keine Liquidierung der Einheitsfronttaktik, weil die Einheitsfronttaktik im revolutionären Sinne bleiben muss, und wir auf sie nicht verzichten können. In bezug auf die Taktik der Arbeiterregierung behaupte ich aber, dass es sich um eine wirkliche Liquidierung handelt. Es genügt nicht zu sagen: Wir behalten die Formel der Arbeiterregierung als eine Agitationsformel, als eine Parole, die in die Arbeitermasse geschleudert werden soll, im klaren Bewusstsein, dass es sich um ein Pseudonym oder Synonym der Diktatur des Proletariats handelt, und dass wir an den grundlegenden Momenten unserer Prinzipien in der Frage der revolutionären Eroberung der Staatsmacht nichts geändert haben.

Genossen! Im Juli 1922 haben wir eine ganz analoge Formel angenommen, und Genosse Rossi hat soeben richtig erklärt, dass dieser Ausdruck auch jetzt angenommen werden könnte. Wir stehen noch immer auf dem gleichen Fleck. Es ist dies ein bedingter Ausdruck. Warum sollte nun dieser bedingte Ausdruck abgelehnt werden, wenn ihr uns erklärt, dass die Arbeiterregierung die Diktatur des Proletariats, die Eroberung der Macht durch die revolutionäre Aktion bedeutet? Ich will aber ein wenig mehr ultralinks sein als mein Freund Rossi. Im Grunde sind wir einig. Wir verlangen Texte und Resolutionen, die die Taktik der Arbeiterregierung in der rechten Auslegung, die hier Genosse Radek gab, und die in jener Periode, in der die ganze Internationale gegen die Handlungen Radeks in der deutschen Rechten nichts zu sagen fand, von der deutschen Rechten befolgt wurde, entschieden liquidieren. Ich glaube aber, Genossen, dass wir sogar verlangen müssen, dass diese Frage endgültig begraben werden soll. Erlaubt mir, ganz offen zu sprechen. Ich betrachte die Taktik als liquidiert. Ich will gegen dieses Phantom, das niemand verteidigt, nicht mehr kämpfen. Ich glaube aber, dass, wenn ich den Text der Rede des Genossen Bucharin aufmerksamer hätte prüfen können, ich wohl gesehen hätte, dass etwas mehr übrig geblieben ist als der einfache Ausdruck, der als das Pseudonym der proletarischen Diktatur gelten soll. Selbst wenn ich das ins Auge fasse, was Genosse Ercoli vom Zentrum unserer Partei in seiner hier gehaltenen Rede und der Genosse Scoccimarro im Laufe unserer Parteidiskussion behauptet hatten, so könnte ich sagen, dass von der Ausnützung der bürgerlichen Demokratie etwas zurückgeblieben ist. Natürlich, es ist kompliziert, mit Massenaktionen verknüpft, stark mit revolutionären Notwendigkeiten gestützt, aber etwas ist geblieben. Ich will mich damit nicht näher beschäftigen, sondern will den Wert des Ausdrucks »Arbeiterregierung« untersuchen. Dieser Ausdruck soll eine einfache Übersetzung der lateinischen Worte »Proletarische Diktatur« ins Russische sein. Welchen Nutzen haben wir von einer solchen Übersetzung? Der Ausdruck an und für sich entspricht nicht dem Bild, das wir von der Eroberung der Macht geben wollen. Die proletarische Diktatur ist ein so wunderbarer Ausdruck von Marx, dass es bedauerlich ist, dass man ihn auf eine so wenig höfliche Art durch das Fenster eines kommunistischen Kongresses hinausbefördern will. Ich sehe in diesen beiden Worten eine klare Formulierung unserer gesamten politischen und programmatischen Auffassung. Die Worte »Proletarische Diktatur« sagen mir sofort, dass die proletarische Macht ausgeübt werden wird, ohne der Bourgeoisie eine politische Vertretung zuzugestehen; sie sagen mir auch, dass die proletarische Macht lediglich durch die revolutionäre Aktion, durch den bewaffneten Aufstand der Massen erobert werden kann. Wenn ich »Arbeiterregierung« sage, so kann man, wenn man will, das gleiche verstehen. Wenn man aber nicht will, so kann man darunter auch eine andere Regierung verstehen, für die nicht die Tatsache charakteristisch ist, dass sie die Bourgeoisie aus den politischen Vertretungsorganen ausschliesst, wie auch nicht die Tatsache, dass die Eroberung der Macht durch revolutionäre Mittel und nicht durch gesetzliche Mittel erfolgt ist. [Zurufe von den französischen Bänken: Sehr richtig!] Der Ausdruck ist nicht richtig gewählt. Er vermittelt uns nicht die entsprechende Idee. Man sagt uns: Wenn wir »Proletarische Diktatur« sagen, so begreifen uns die Massen nicht, sagen wir aber »Arbeiterregierung«, so werden uns die Massen begreifen, und wir werden unter jenen Schichten, die wir durch unsere theoretische Propaganda noch nicht erobern konnten, Anhänger gewinnen.

Hierauf beschrankt man die sehr bescheidene Rolle der Formel der Arbeiterregierung. Ich stelle aber auch dieses in Abrede, denn ich sehe nicht die praktische Zweckmässigkeit dieser Formel. Um die Worte »Proletarische Diktatur« haben sich Ereignisse abgespielt, die die breitesten Massen des Weltproletariats dermassen interessierten, dass selbst die Arbeiter der Länder ausserhalb Sowjetrusslands sehr wohl wissen, was die proletarische Diktatur bedeutet und diese instinktiv verlangen, selbst wenn sie unter dem Einfluss sozialdemokratischer Führer stehen. Was kann aber von der Arbeiterregierung ein einfacher Arbeiter, ein einfacher Bauer verstehen, wenn es uns, den Führern der Arbeiterbewegung, nach drei Jahren noch nicht gelungen ist, den Begriff der Arbeiterregierung zufriedenstellend zu definieren? [Beifall].

Ich verlange ganz einfach ein Begräbnis dritter Klasse für die Taktik und zugleich für die Worte der Arbeiterregierungsparole. Nun sagt man uns aber: Seid ihr aber schlechte Jungen. Die Internationale geht nach links, ihr seid aber noch immer nicht zufrieden und verlangt mehr. Zugegeben nun, dass die Internationale nach links geht, so möchte ich, wenn es mir erlaubt ist, auf meine Rede auf dem 4. Kongress Bezug zu nehmen, bemerken, dass das, was wir an der Tätigkeit der politischen Führung der Internationale kritisierten, gerade diese Fähigkeit ist, nach rechts oder nach links zu gehen, wie es durch die Lage geboten scheint, und wie man es in Anbetracht der Entwicklung der Ereignisse für zweckmässig halt. Solange man das Problem der Elastizität, des Eklektizismus nach dem von mir gebrauchten Ausdruck - der eine sehr scharfe Antwort von seiten des Genossen Bucharin hervorrief (dieses Wort bildet den Kern einer bolschewistischen Kampagne gegen den sozialdemokratischen Opportunismus) -, nicht erörtert haben wird, solange diese Elastizität bleibt und Schwankungen stattfinden können, lässt uns ein starkes Abschwenken nach links ein noch stärkeres Abschwenken nach rechts befürchten.

Wir verlangen in der gegenwärtigen Lage keine linke Abweichung sondern eine klare und genaue Richtigstellung der Taktik der Internationale. Diese Richtigstellung muss nicht in der Weise geschehen wie wir es verlangen, sie kann der Auffassung der Mehrheit der Internationale, ihrer Führer, die das grösste Recht auf Berücksichtigung ihrer Meinung und Auffassung haben, entsprechen, sie soll aber in einer klaren Weise erfolgen. Wir wollen wissen, wohin wir gehen.

Da wir nunmehr mehrere Erfahrungen haben, da wir festgestellt haben, dass nach der Annahme der Formel der Arbeiterregierung auf dem 4. Kongress die Arbeiterregierung aus einem Pseudonym der proletarischen Diktatur zu einem Synonym des vulgären Parlamentarismus geworden ist, verlangen wir, um in Zukunft vor solchen Überraschungen sicher zu sein, dass diese Phrase gestrichen werde.

Es ist aber hiermit eine sehr ernste Frage verbunden. Man sagt uns: Was macht ihr aber, Genossen, mit der Disziplin? Was macht Ihr aus der Notwendigkeit, eine fest organisierte, zentralisierte Partei zu haben? Ihr brecht diese Disziplin, ihr weigert euch, euch der Auffassung der Internationale unterzuordnen. Ihr habt ständig Meinungsverschiedenheiten mit der Internationale. Ihr müsst begreifen, dass im Organ des Weltproletariats solche Disziplinlosigkeiten unzulässig sind.

Hierauf antworten wir vor allem, dass solche Tatsachen nicht durch unsern Willen hervorgerufen werden, sondern meines Dafürhaltens, gleich allen disziplinarischen und organisatorischen Rechts- und Linksabweichungen, gerade dadurch entstanden sind, dass die Internationale mit zuviel Elastizität und einer ungenügenden Präzision in den politischen und praktischen Fragen geleitet wird. Bevor ich fortfahre, muss ich in Klammern einen Standpunkt richtigstellen, den der Genosse Sinowjew mir zuschrieb, als er sagte, dass ich in unserer Parteidiskussion behauptet hatte: Entweder wird sich der 5. Kongress meinen Standpunkt, d. h. den Standpunkt der italienischen Linken, zu eigen machen, oder aber wir werden in der Internationale eine linke Fraktion zur Bekämpfung der Leitung der Internationale organisieren.

Ich habe das nicht gesagt. Zur Beruhigung der Genossen, die einen Konflikt mit der Internationale befürchteten, sagte ich: In dem einzigen Fall, dass eine weitere Abweichung in der Richtung eines Rechtsrevisionismus der Internationale zutage treten sollte, müsste mit der Bildung einer Linksfraktion geantwortet werden.

Ich habe aber nicht gesagt, dass in der Internationale, so wie sie ist, oder in der, wenn man so will, nach dem 5. Kongress nach links gegangenen Internationale die Bildung einer linken Fraktion notwendig oder auch nur zulässig sei. Dies ist etwas ganz anderes, und ich bitte den Genossen Sinowjew, dies zur Kenntnis zu nehmen. [Sinowjew: Sehr gerne!] [Lachen, Beifall.]

Das berühmte Dilemma: Bordiga oder die Internationale, muss somit wegfallen. Es wäre sogar lächerlich, es aufzustellen. Denn es müsste gegen meine Wenigkeit unverzüglich zugunsten der Internationale gelöst werden

Wir wollen eine wahre Zentralisation, eine wahre Disziplin schaffen. Wir sind alle für Zentralisation und Disziplin. Wir wollen aber die richtigen Voraussetzungen schaffen, um wirklich eine Gewähr für dieses Ergebnis bieten zu können, das nicht von dem guten Willen eines Genossen X oder Y abhängig gemacht werden kann, der nach 20 Sitzungen ein Übereinkommen unterzeichnet, in dem die Rechte und Linke sich schliesslich geeinigt haben usw. usw. Mit einem solchen System wird man nie eine vollständige Disziplin garantieren können, die in die Wirklichkeit, in die Aktion, in die Leitung der revolutionären Bewegung des Proletariats hineingetragen werden und die Welteinheit herstellen muss, die aber in ihrem Ursprung etwas Spontanes, eine unmittelbare Folge des Klassenkampfes ist. Um diese vollständige, disziplinierte Zentralisation erreichen zu können, ist eine Klarheit der taktischen Führung und eine Kontinuität in der Bildung unserer Organisationen in den Grenzen, die uns von andern Parteien trennen, notwendig.

Aus diesem Grunde bringe ich noch einmal unsere alte Auffassung vor: Gegen die organisatorische Fusion mit andern Parteien; gegen die politische Zellenbildung in andern Parteien; und auch gegen die Institution von sympathisierenden Parteien - ein Problem, das bei der Aussprache über den neuen Statutenentwurf behandelt werden kann.

Wir sind dagegen, dass es neben kommunistischen Parteien, die ernstlich einer sehr strengen disziplinarischen Bestimmung untergeordnet sind, Parteien geben soll, die sich in der äusserst bequemen Lage befinden würden, im Schatten der Fahne der Internationale zu leben, ohne zu etwas verpflichtet zu sein, und sogar mit der Möglichkeit, frei von unserer Kontrolle, den Verrat am Proletariat vorzubereiten.

Man sagt uns: Ihr habt kein Vertrauen zur Internationale. Die Sprache, die ihr führt, zeugt davon, dass ihr nicht sicher seid, dass die Internationale stets revolutionär bleiben wird. Ihr misstraut ihr. Die Internationale kann aber nicht dulden, dass in ihren Reihen ein Misstrauen ihr gegenüber herrsche, dass man kein Zutrauen zur sicheren revolutionären Entwicklung ihrer Aktion habe. Man sagt uns: Die Gewähr ist vorhanden; diese Gewähr ist gegeben dadurch, dass an der Spitze der Internationale die russische bolschewistische Partei steht, diese Partei, die eine so gewaltige revolutionäre Tradition hat, und die die Staatsmacht im ersten proletarischen Staat in den Händen hat. Das muss euch eine genügende Gewähr dafür bieten, dass die Internationale nicht zu weit nach rechts geht, dass sie stets auf der revolutionären Linie bleiben wird. Das war es, was unsere Genossen vom Zentrum uns bei unserer Parteidiskussion gesagt haben.

Sinowjew sagt, dass ich mich über diese Frage mit viel Mut geäussert habe! Ich nehme dieses Kompliment mit Freuden zur Kenntnis, und ich werde fortfahren, mich mit dem gleichen Mut zu äussern.

Ich glaube, dass die gewaltige Bedeutung des Beitrages des Bolschewismus zur revolutionären Befreiungsbewegung des Weltproletariats gerade in der ganz besonderen Lage begründet ist, in der die russische Partei sich befand. Sie hatte es nicht mit einem in höchstem Grade entwickelten Kapitalismus, einem zahlenmässig in höchstem Grade starken und fortgeschrittenen Proletariat zu tun. Sie stand nicht einer schon vollzogenen bürgerlichen Revolution und einem schon durchlebten demokratischen Stadium gegenüber. Trotzdem hat aber diese Partei von dort schöpfen können, wo es einen hochentwickelten Kapitalismus, ein entwickeltes Proletariat und die wahre revolutionäre Theorie gab. Diese Theorie wurde in grossartiger Weise dort angewendet, wo die grösste Wahrscheinlichkeit für einen Misserfolg bestand, und sie gab einen schlagenden Beweis ihrer Richtigkeit. Dies war eine grandiose Probe und der wahrhaft gewaltige Beitrag des Bolschewismus zur Sache des Weltproletariats zuerst in der Epoche der russischen Revolution und dann in den ersten Jahren des goldenen Zeitalters der Internationale.

Dürfen wir aber dies nicht vergessen (ohne in die der Sozialdemokraten zu verfallen, die einen sehr banalen und unmittelbaren Parallelismus zwischen der kapitalistischen Entwicklung und: den revolutionären Kräften feststellen wollen), so dürfen wir auch nicht vergessen, dass, wenn es der bolschewistischen Partei gelungen ist, diese Synthese der besonderen Entwicklung Russlands mit den revolutionären Erfahrungen der ganzen Welt zustande zu bringen, dies auch deshalb geschah, weil ihre Führer gezwungen waren, zu emigrieren und im Milieu des westlichen Kapitalismus zu leben, wo es ein Proletariat gab, das seine Theorie und seine Politik zu schmieden verstanden hatte. Die historische Entwicklung des Weltkapitalismus, der imperialistische Krieg 1914 ermöglichte ihnen die grossartige und siegreiche Anwendung dieser Weltdoktrin, wie es der revolutionäre Marxismus, der Leninismus ist, weil Lenin nicht bloss Russland, sondern der ganzen Welt, uns allen gehört. [Beifall.]

Ich will aufrichtig erklären, dass in der gegenwärtigen Lage die Internationale des revolutionären Weltproletariats der Kommunistischen Partei Russlands einen Teil der zahlreichen Dienste, die sie von ihr empfangen hat, vergelten muss.

Die vom Standpunkte einer revisionistischen Rechtsgefahr gefährlichste Lage ist die Lage der russischen Partei, und die übrigen Parteien müssen sie daher unterstützen. In der Internationale muss die russische Partei den Kräftezuschuss finden, den sie benötigt, um standzuhalten gegenüber dieser wahrhaft schwierigen Lage, in der die Anstrengungen unserer Genossen, die die russische Partei leiten, wahrhaft bewunderungswürdig sind. Der gewaltige Beitrag der russischen Partei zum Werk der Internationale ist für uns zweifellos eine Gewähr. Wir wollen aber, dass die wahre Gewähr in der gesamten Masse des revolutionären Proletariats der ganzen Welt liege. Man beschuldigt uns eines Pessimismus gegenüber der Internationale. Sind wir nun tatsächlich pessimistisch in bezug auf die Internationale, oder haben wir es nicht vielmehr mit einer Art Pessimismus der Leitung der Internationale in bezug auf die revolutionäre Fähigkeit des Proletariats anderer Länder zu tun? Es scheint, dass manche Genossen sich fragen, ob wir nicht einer Stagnationsperiode der Weltrevolution gegenüberstehen, einer Isolierung der kommunistischen Parteien, die um die KPR entstanden sind, und die bloss Gruppen, politische Schulen sind, ohne die Kraft, das zu verwirklichen, was die russische Partei verwirklicht hat.

Ich glaube, dass diese Einschätzung der Massen des Westens in sehr übertriebener Weise pessimistisch ist.

Wir beschäftigen uns stets mit dem Problem der Eroberung der Massen. Dies ist ein Grundproblem. Wir können es uns aber auch in einer gekünstelten Weise vorstellen. Die Massen des Westens sind revolutionärer, als man es glaubt. Natürlich müssen, damit die Bedingungen für eine siegreiche Entwicklung der Revolution in andern Ländern geschaffen werden, gewisse Verhältnisse eintreten, und es ist, was uns betrifft, notwendig, dass wir der Lage stets gewachsen sind.

Aber schon jetzt kann eine günstige psychologische und politische Bedingung bei dem Proletariat des Westens festgestellt werden. Ich werde ein sehr banales Beispiel anführen, berufe mich aber auf die Erfahrung der Genossen, die in den einzelnen Ländern der Welt arbeiten. Wir haben die Parlamentswahlen in drei grossen europäischen Ländern gesehen. Wir hatten hier eine gute Gelegenheit: Trotzdem wir aber überall versucht haben, bei den Wahlen eine Koalition mit andern Parteien zu bilden, mussten wir in allen diesen Ländern selbständig, vor dem Proletariat die kommunistische Fahne hochhaltend, auftreten. Gegenüber den rechten und linken Gruppen der Bourgeoisie traten wir für das kommunistische Programm in seiner Gesamtheit ein und forderten das Proletariat auf, für dieses Programm Stellung zu nehmen. Es hat sich gezeigt, dass fast zur gleichen Zeit in diesen drei grossen Ländern eine bedeutende Anzahl von Arbeitern sich bereit zeigte, der Kommunistischen Partei Gefolgschaft zu leisten. Dies ist von gewaltiger Bedeutung, von einer zehnmal grösseren, als wenn wir in einem Lande die Taktik der Zusammenarbeit, in einem andern die Form der Koalition und wieder in einem andern z. B. die autonome Taktik befolgt hätten. Die Massen des Westens konnten feststellen, dass es in allen Ländern eine Gruppe mit dem gleichen politischen Programm gibt, dass diese Gruppen eine wahre Internationale bilden, was einen gewaltigen Eindruck auf die Arbeiterklasse machte.

In Italien, wo die Reaktion ihren grössten Sieg errungen hat, haben wir die Lage von Tag zu Tag verfolgt, und wir können sagen, dass selbst hier zwar die Masse zerstreut, desorganisiert, geschlagen wurde, aber revolutionär geblieben ist. Die Zahl der revolutionären Arbeiter hat zweifellos zugenommen, und ihre revolutionäre Qualität ist durch diese schwere Erfahrung zweifellos besser geworden. Gerade aus diesem Grunde haben wir Vertrauen zur Internationale, weil die Internationale das Proletariat der ganzen Welt ist, das zum Kampfe für seine Befreiung von der kapitalistischen Ausbeutung geführt werden soll, weil die Internationale die russische Revolution, die bewunderungswürdige Tradition der Befreiungsbewegung des russischen Proletariats und gleichzeitig die revolutionäre Tradition des Proletariats anderer Länder ist, die nicht ausser acht gelassen werden darf, weil selbst unter der II. Internationale, in der guten Periode der II. Internationale und sogar in der Periode der Entartung der II. Internationale, im Proletariat der verschiedenen Länder Gruppen geblieben sind, die die Treue zum revolutionären Programm bewahrten. Dieser Gesamtheit der Weltkräfte, der Welteinheit dieser Kräfte gehört der Name Lenins und der russischen Revolution, die für uns bloss die erste Schlacht der internationalen Revolution ist, auf die wir voll hoffen.

Wir stellen noch einmal unseren Optimismus, unser Vertrauen zur Revolution und zur Internationale fest. Wir wollen bloss einen bescheidenen, aber aufrichtigen Beitrag liefern zu der Arbeit, die uns zu diesem grandiosen Ziel führen soll. Wir zweifeln nicht, dass eines Tages die internationalen Kongresse sich versammeln werden, um in der ganzen Welt den errungenen Sieg über die kapitalistische Unterdrückung festzustellen. [Beifall.]

Programmfrage (27. Juni 1924)
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BORDIGA (2): In seiner Rede hat Genosse Sinowjew betont, dass ich in bezug auf die Frage der internationalen linken Fraktion diplomatisch vorgegangen bin.

Ich erkläre hier und ich hoffe, dass man mir Glauben schenken wird -, dass ich in dieser Frage niemals meine Ansicht geändert habe. Ich habe hier die Mitteilung über das, was ich auf dem Parteikongress gesagt habe, berichtigt, indem ich Wort für Wort meine damalige Erklärung wiederholte. Zeugen dieser Erklärung waren mehrere Genossen, die heute hier anwesend sind. Genosse Sinowjew hat einen andern Text zitiert, einen früheren Artikel aus unserer Parteidiskussion, in dem ich im Gegensatz zu obiger Erklärung die Absicht ausgesprochen haben soll, die er mir vorwirft, nämlich: Entweder wird die Internationale uns, d. h. der italienischen Linken, recht geben, oder aber wir werden eine internationale linke Fraktion ins Leben rufen.

Dieser Text ist aber nicht exakt. Er rührt scheinbar aus einer deutschten Übersetzung her, die dem Genossen Sinowjew vermutlich durch italienische Sachverständige geliefert worden ist. [Heiterkeit.]

Wäre ich tatsächlich der Ansicht, dass eine Internationale linke Fraktion gebildet werden muss, so würde ich es offen aussprechen, ich würde selbst noch gewagtere Dinge sagen. Ich habe durchaus nicht die Absicht, diplomatisch vorzugehen.

In diesem Artikel habe ich genau dasselbe gesagt. Ich habe gesagt: »Tatsache ist, dass es innerhalb der Internationale in allen Parteien Fraktionen gibt. Diese Fraktionen bekämpfen sich auf den Parteitagen und ringen um die Eroberung der Führung ihrer Parteien. Wir sind auch der Ansicht, dass es solche Fraktionen in der Internationale nicht geben darf, wenn die Internationale eine wirklich zentralisierte kommunistische Weltpartei werden soll. Was muss aber geschehen, damit wir dies Ziel erreichen?
Dazu genügt es nicht, einzelne Personen zu tadeln und mehr oder weniger streng an die Disziplin zu appellieren. Dazu ist im Gegenteil nötig, die Arbeit in der Art und Weise zu führen, wie wir es gefordert haben, d. h. der Kommunistischen Internationale eine einheitliche und folgerichtige organisatorische Linie zu geben.
Tut man das, so werden die Fraktionen verschwinden. Schlägt man aber nicht diese, sondern die entgegengesetzte Richtung ein - so heisst es im italienischen Text -, dann wird man nicht das Verschwinden der nationalen Fraktionen erreichen, dann wird man die Gründung einer internationalen Fraktion in Erwägung ziehen müssen.«

Niemals habe ich etwas anderes gesagt. Ich bitte die Genossen, und vor allen Dingen den Genossen Sinowjew, davon Kenntnis zu nehmen, dass meine Anschauung sich immer gleichgeblieben ist, ganz einerlei, ob wir uns in diesem oder jenem Monat des Jahres befinden. [Beifall.]

Bericht der politischen Kommission. Diskussion. 1. Redebeitrag Bordigas (28. Juni 1924)
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BORDIGA (3): Die Genossin Fischer hat soeben mit einem bewundernswerten Elan gegen die Resolution der italienischen äussersten Linken gesprochen, einem Elan, der in Anbetracht des Rufes einer sehr begeisterten Linken, den sie besonders infolge der Kämpfe, die sich in unserer deutschen Bruderpartei abgespielt haben, geniesst, um so bewundernswerter ist.

Die Genossin Fischer wollte einerseits die Bedeutung unserer Stellungnahme übertreiben. Sie sagte, es sei dies ein Angriff gegen die gesamte Internationale, ein Kampf gegen die Exekutive.

Nein, Genossen, die Resolution, die ihr soeben gelesen habt, hat nicht den Sinn, den die Genossin Fischer ihr zuschreibt.

Nach einer so ernsten Einschätzung unserer Stellungnahme war aber die Genossin Fischer bestrebt, in bezug auf mich eine Einschätzung von gerade entgegengesetztem Charakter gelten zu lassen, mich der »Diplomatie« zu bezichtigen.

Da wir nun die Theorie der Pseudonyme eingeführt haben [Lachen], ist es klar, dass für die Genossin Fischer und für die Mehrheit und vielleicht auch für die Exekutive der Kommunistischen Internationale die Bezeichnung »diplomatisch« das Pseudonym einer erbitterten und harten oppositionellen Stellungnahme bedeuten kann; es ist wieder einmal die Verwendung eines Pseudonyms, wie es bei der Arbeiterregierung der Fall ist.

Die Genossin Fischer behauptet, dass unsere Resolution ein der Rechten der Internationale, den Opportunisten, erwiesener Dienst sei, indem wir sagen, dass nicht die Opportunisten die Schuldigen sind, sondern der 4. Kongress und die Exekutive der Internationale. Die Frage darf aber nicht so behandelt werden. Wir hatten das Bedürfnis, eine Resolution zu unterbreiten, die sich von der in der Kommission beschlossenen unterscheidet, gerade weil wir der Ansicht sind, dass die von der Mehrheit beantragte Resolution keine genügende Gewähr gegen die Rechte und gegen die Gefahr eines Rechtsopportunismus bietet.

Es handelt sich um eine Tatsache. Die ausgearbeitete Resolution wird uns nicht die Möglichkeit geben, diese Rechte zu entlarven, bei der Abstimmung auf dem Kongress zu zeigen, wo sie sich befindet, sie in einer Weise festzustellen, dass es möglich wäre, mit Erfolg der Gefahren vorzubeugen, die sich in der zukünftigen Tätigkeit der Internationale ergeben können.

Unser Fehler soll darin liegen, dass wir auf dem 4. Kongress einen Standpunkt einnahmen, der unserm gegenwärtigen Standpunkt analog ist. Nun hat man aber, wenn auch stark gemildert und in einer Weise, die in der Resolution der Mehrheit ganz und gar nicht klar ist, aber immerhin festgestellt, dass man Resolutionen gefasst habe, die einstimmig waren, aber nicht die gewünschte Garantie boten. Und trotzdem erklärte die Genossin Fischer zu Ende des 4. Kongresses genau so wie heute, dass der Kongress nach links gegangen sei, dass es ein Fehler sei, wenn wir uns isolieren und uns durch extremlinke Resolutionen, die stärkere Garantien verlangten, absondern. Ich glaube, wenn es hier eine befremdende Stellungnahme gibt, ist dies nicht die unsrige, sondern die der Genossen von der deutschen Linken. Ihre Haltung entspricht nicht ganz den Vorgängen, die sich in dieser grossen Partei, die von grundlegender Wichtigkeit für die Kommunistische Internationale ist, abgespielt haben. Ich glaube, dass es für die deutschen Kommunisten, für die revolutionären deutschen Arbeiter ziemlich befremdend sein wird, dass ihre Vertretung auf dem Kongress der KI nach dem erbitterten Kampf, den sie gegen die Rechte geführt haben, für eine Resolution stimmt, zu deren Anhängern auch die Rechte gehört, ohne dass es möglich wäre, sie genau zu bezeichnen.

Man sagt uns: Ihr brecht die Einmütigkeit der Internationale. Nein, Genossen, unsere Stellungnahme folgt daraus, dass die Einmütigkeit künstlich, gerade das Gegenteil einer wahren und wirksam Einheit ist.

Wir haben das wiederholt festgestellt. Die Rechtsgefahr ist immer in der einmütigen Abstimmung verborgen, da die zweifelhaften opportunistischen Elemente der KI, die herkommen, um sich der Mehrheit anzuschliessen, die sich mit Ausnahme der besonderen Angelegenheiten stets für die Exekutive, für die Internationale erklären, nach ihrer Rückkehr in ihre Heimat fortfahren, eine gefährliche Tätigkeit zu entfalten, weil die gefassten Resolutionen nicht. genügend klar sind, weil die hier festgesetzten Direktiven keine genügenden Waffen geben, sie an dieser opportunistischen Tätigkeit zu hindern.

Gegen dieses System wollten wir uns durch unsere Stellungnahme wenden. Wenn man uns nun sagt, dass wir der Rechten in die Hände arbeiten, so ist das wahrlich nur ein diplomatisches Manöver und nichts anderes. Wir hoffen, dass die Zukunft uns keine weiteren Misserfolge der Internationale bei grossen Kämpfen bringen wird, wir wollen aber trotzdem hier auf dem Kongress feststellen, dass unseres Dafürhaltens die Garantien nicht genügend sind, und dass die KI noch weitere Schritte machen muss, um ihre Massnahmen gegen die Gefahr des Revisionismus wirksamer zu gestalten. Unsere Haltung ist die gleiche wie auf dem letzten Kongress. Es kann aber nicht in Abrede gestellt werden - wir stellen dies mit Freuden fest -, dass die Internationale einen Schritt in dieser Richtung gemacht hat. Das ermutigt uns, das berechtigt uns, unsern Standpunkt bis zum letzten Augenblick, wo dieser Standpunkt mit der Disziplin vereinbar ist, d. h. bis zur Abstimmung des Kongresses, aufrechtzuerhalten.

Wir glauben, dass wir in dieser Frage das Gegenteil von Diplomatie bekunden, indem wir uns der Klarheit und Aufrichtigkeit befleissigen, die bei einer Arbeit, die sich von wahrhaft revolutionären Erwägungen leiten lässt, notwendig sind. Aus diesem Grunde bedauern wir entschieden, dass wir allein stehen, und vor allem bedauern wir die Erklärung der Genossen von der deutschen Linken, nach der wir angeblich die Rechte unterstützen. Trotz allem glauben wir aber, dass es unsere Pflicht ist, unsere Resolution bis zur Abstimmung des Kongresses aufrechtzuerhalten. [Beifall bei der italienischen Delegation.]

Bericht der politischen Kommission. Diskussion. 2. Redebeitrag Bordigas (28. Juni 1924)
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BORDIGA (4): Genosse Bucharin hat sich in seiner Rede auf einen Artikel gestützt, der in einem offiziellen Organ unserer Partei veröffentlicht worden ist, das natürlich nicht von der Richtung, der ich angehöre, geleitet wird, und in dem eine Diskussion über die politischen Fragen der Partei eröffnet worden ist. Jeder Genosse kann in diesem Organ schreiben. Die Genossen in Italien sind nicht offiziell zu Fraktionen zusammengeschlossen. Die Redaktion nimmt daher jeden Artikel an, unter der persönlichen Verantwortung des Verfassers.

Was die Auffassung der linken Fraktion betrifft, so gab es diesbezüglich Texte, Thesen, die Beteiligung an der Aussprache auf unserer Konferenz und zahlreiche Artikel im »Stato Operaio«, die von denselben Genossen unterzeichnet sind, deren Namen unter den Thesen unserer Richtung stehen.

Genosse Bucharin hat sich aber mit dem ganzen Material nicht beschäftigt. Er widmete seine ganze Rede einzig und allein einem Artikel, der von einem sehr guten Genossen gezeichnet ist, den er nicht genannt hat und der übrigens dem Kongress ganz unbekannt ist.

Ich finde kein Verbrechen darin, dass ein einfacher Arbeiter, ein Parteigenosse, der auf einem extrem linken Standpunkt oder auf einem Standpunkt steht, den ihr nennen könnt wie ihr wollt, unrichtige Dinge sagt. Ich sehe mich nicht genötigt, eine entschiedene Erklärung abzugeben, dass ich die Verantwortlichkeit für diesen Artikel nicht übernehme. Ich erkläre im Gegenteil, dass es sich um einen guten, unserer Richtung angehörenden Genossen handelt.

Eine sehr ernste Tatsache aber, die die Tätigkeit der Internationale und die Interessen der kommunistischen Bewegung betrifft, ist, dass ein bedeutender Führer und Marxist wie Bucharin eine Rede von anderthalb Stunden einer Theorie widmen konnte, die in einem kleinen Artikel eines einfachen Mitglieds enthalten ist.

Das ist es, was ich feststellen will und nicht die Tatsache, dass ich bloss für das, was ich unterzeichne, und nicht für einen Artikel dieses Genossen verantwortlich sein kann.

Man hat nun von verschiedenen Seiten erklärt dass die Darlegung unserer Auffassung über die allgemeine Leitung der KI nicht genügend klar sei.

Es wird noch eine Aussprache in der Kommission stattfinden, und ich glaube, dass die Frage, die den Entwurf der taktischen Thesen anbelangt, vor das Plenum gelangen wird. Genosse Sinowjew hat dies in seinem Bericht erklärt. Die italienische Linke wird der Kommission einen vollständigen Entwurf unterbreiten. Wir werden verlangen, dass einer von unseren Genossen, ich zum Beispiel, als Koreferent eingesetzt werde, und ich glaube, dass wir in vollem Umfange Zeit haben werden, vor dem Kongress alle Punkte, die noch nicht genügend geklärt sind, darzulegen.

Aus diesem Grunde beantworte ich die Ausführungen des Genossen Bucharin und des Genossen Thälmann nicht jetzt.

Nur eine Sache möchte ich wieder berühren, und zwar die Art und Weise, wie Genosse Bucharin zu polemisieren liebt, d. h. die Tatsache, dass er aus unserer Resolution einige Zeilen über die Einheitsfront angeführt und erklärt hat, dass dort nicht von den Arbeitern gesprochen wird, die noch keine Kommunisten sind, von diesen Massen, die wir unbedingt gewinnen und in Bewegung setzen müssen, trotzdem gerade in den vorhergehenden Zeilen diese Frage - natürlich nicht in aller Ausführlichkeit, denn es handelt sich um einen blossen Resolutionsentwurf - behandelt wird und sehr klar gesagt ist:

»Namentlich was die Einheitsfronttaktik betrifft, ist mit grösster Klarheit jede Möglichkeit der Auslegung dieser Taktik im Sinne einer Koalitionspolitik zwischen den kommunistischen Parteien und manchem Teil der Sozialdemokratie zwecks revolutionärer Führung des Klassenkampfes zu verhindern. Die Einheitsfronttaktik muss beibehalten ihre Bedeutung als Ausnützung der durch die Lebensverhältnisse des Proletariats hervorgerufenen Teilkämpfe zur Zusammenfassung aller Werktätigen und selbst jener, die gegenwärtig den nichtkommunistischen Parteien angehören und durch unsere ideologische Propaganda noch nicht gewonnen sind, zum gemeinsamen Kampf der Arbeiterklasse unter Führung der Kommunistischen Partei.«

Nachher wird von der Bildung der Einheitsfront auf der Grundlage bestimmter Organisationen gesprochen, dieser berühmten Formel, die wir vielleicht noch nicht genügend präzis formuliert haben, weil kein Redner das, was wir geschrieben haben, entsprechend angeführt hat.

Genosse Bucharin hätte bloss einige Zeilen weiter oben lesen müssen, und ein grosser Teil der Beweisführung seiner Rede wäre weggefallen.

Ich wiederhole aber, dass ich auf all das zurückkommen werde, wenn es sich um den Entwurf der taktischen Resolution handeln wird.

Nun werde ich in einigen Worten dem Genossen Thälmann antworten.

Ich begreife sehr wohl, dass sich die Genossen von der deutschen Linken, wenn ich mich an die deutschen Arbeiter wende, in einer schiefen Lage befinden. Aus diesem Grunde hat es der Genosse Thälmann für notwendig erachtet, eine lange Rede zu halten, in der mein Name vielleicht 500mal erwähnt ist.

Ich glaube, dass dies ein Beweis dafür ist, dass manche deutschen Arbeiter die Haltung, die die deutsche Linke hier einnimmt, tatsächlich nicht für zufriedenstellend halten.

Genosse Thälmann beschuldigt die italienische Linke, der Rechten in die Hände zu arbeiten. Er sagt, dass Radek mit mir gestimmt habe. Das ist falsch. Es ist eine der falschen Behauptungen, die hier aufgestellt werden.

Es wurden zwei Resolutionsentwürfe unterbreitet. Radek hat weder für die eine noch für die andere Resolution gestimmt. Für welche Resolution konnte er stimmen? Für eine noch weiter rechtsstehende?

Ihr befindet euch zwischen uns und Radek. Es ist bestimmt, dass wir, um Radek zu erreichen, über euch gehen müssen. Vielleicht aber werdet ihr zu Radek kommen, bevor wir zu ihm kommen.

Man hat wiederholt die Frage der Disziplin aufgeworfen. Nun ersucht mich, zu bestimmen, was ich unter Disziplin nach der Abstimmung verstehe. Ich hoffe, dass meine Disziplin in der Aktion besser sein wird als die Disziplin der deutschen Linken, die tat, was sie wollte, die die Internationale vor vollzogene Tatsachen stellte und die auf dem Kongress gegen die Vorschläge der Internationale agitierte. Ich glaube nicht, dass gerade Genosse Thälmann, der agitierte, soviel er wollte, berechtigt ist, mir einen Unterricht in Disziplin zu erteilen.

Die Frage der Disziplin und der Organisation wird in dem Thesenentwurf, den ich unterbreiten werde, behandelt werden. Die Schlussfolgerung der Erklärung unserer Freunde von der deutschen Linken ist, dass wir unsern Standpunkt ganz aufgeben, uns an der Arbeit der Partei beteiligen, die Führung der italienischen Partei in die Hand nehmen müssen. Ich weiss nicht, ob es zu dem Zwecke der Befolgung der stärksten Disziplin gegenüber der KI geschieht, jedenfalls fordert man uns aber auf, die Führung der Partei im Kampfe des italienischen Proletariats gegen den Faschismus zu übernehmen.

Es gibt hier eine Zweideutigkeit. Man behauptet, dass wir Antimarxisten, Kleinbürger, Anarchisten, Halbanarchisten sind. Die Genossen müssen aber wissen, dass gerade wir, die Linke der italienischen Partei, die terroristischen und anarchistischen Illusionen in Italien bekämpft haben. Wir nahmen einen klaren Standpunkt gegen die Anarcho-Syndikalisten ein. Die erwähnten Beschuldigungen sind daher bloss wieder eine Legende über uns, die wir zurückweisen. Wir werden auf diese Frage bei der Behandlung der italienischen Frage zurückkommen.

Ich sehe hier einen starken Widerspruch. Man mobilisiert bedeutende Redner, die lange Reden gegen uns halten und unterbreitet zwei Feststellungen: nach der einen haben wir eine antimarxistische Auffassung, während die andere uns jetzt an einem schwierigen Wendepunkt der Geschichte auffordert, die Führung der italienischen proletarischen Bewegung zu übernehmen. Dies ist ein Vorgehen, das meines Dafürhaltens einer revolutionären Internationale nicht würdig ist.

Zum Schluss, Genossen, bedauere ich, erklären zu müssen, dass alles, was wir während dieser erregten Diskussion über die von uns unterbreitete Resolution gehört haben, uns bloss in der Überzeugung bestärkt hat, dass wir richtig gehandelt haben. [Beifall bei der italienischen Delegation.]

Fortsetzung der Diskussion über die Gewerkschaftsfrage (7. Juli 1924)
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BORDIGA (5): Genossen! Ich hatte die Absicht, hier nur eine kurze Erklärung abzugeben, aber die Rede des Genossen Semard zwingt mich, etwas näher auf die äusserst delikate Frage der internationalen Einheit einzugehen.

Vor allem möchte ich mit aller Bestimmtheit und Eindeutigkeit erklären, dass die Linke der italienischen Kommunistischen Partei sich von jeher gegen die Taktik gewendet hat, die den Austritt aus den reformistischen Gewerkschaften verlangt. Wir sind in Italien in dieser Hinsicht auf keine sehr erheblichen Schwierigkeiten gestossen. Die Probleme, die heute in bezug auf den Wiederaufbau der Gewerkschaften vor uns stehen, sind schwieriger das Problem der Sabotage von seiten der reformistischen Führer.

Wir haben uns immer mit aller Energie gegen die, übrigens wenig belangreichen Tendenzen zum Austritt der unabhängigen, auf seiten der Kommunistischen Partei stehenden Gewerkschaften aus dem reformistischen Gewerkschaftsbund gewandt. In einigen Fällen ist es uns auch durch unsere Agitation und die Kampagnen, die wir führten, gelungen, die gelben Gewerkschaften zur Zurücknahme der Ausschlüsse, die wegen Zellenarbeit und kommunistischer Propaganda über unsere kommunistischen Genossen verhängt worden waren, zu zwingen.

Nach dieser Feststellung komme ich zur Polemik gegen das, was Genosse Semard ausführte.

Was er Tatsächliches vorgebracht hat, beschränkt sich auf ein Argument, das vielleicht vom polemischen Standpunkt aus wirksam sein mag, das jedoch durchaus nicht stichhaltig ist. Er führte ungefähr aus:

Vor dem Kongress steht eine neue Frage: die Frage der internationalen Einheit.

Bordiga ist dagegen; dieses Argument muss den ganzen Kongress davon überzeugen, dass er für die internationale Einheit sein muss.

Das hat Semard gesagt, bevor wir überhaupt zu diesem Problem Stellung genommen hatten. Er hat unsere angebliche Ansicht über diese Frage konstruiert aus Ansichten, die wir in andern Fragen äusserten, und die er übrigens wie gewöhnlich unrichtig wiedergegeben hat.

Semard sagt uns: Ihr tretet in Italien für die Einheitsfront nur ein, soweit die Gewerkschaften in Betracht kommen, nicht für die Einheitsfront der Parteien, d. h. ihr trennt eure Partei in zwei Gruppen: eine Gruppe, die das Recht hat, die Einheitsfront zu machen, weil sie gewerkschaftlich ist, und eine andere Gruppe, die dieses Recht nicht hat, die nicht befugt ist, die Taktik der Einheitsfront auszunutzen, weil sie nicht gewerkschaftlich ist.

Genosse Semard gibt damit unsern Standpunkt nicht ganz richtig wieder, denn auch für die politischen Organisationen, soweit es sich nicht um Parteien handelt, schliessen wir die Einheitsfront nicht aus. Ich werde das näher erläutern, wenn über die Taktik verhandelt wird.

Aber abgesehen davon stelle ich fest, dass zwei derartige Gruppen in der italienischen Partei so wenig wie in irgendeiner wirklich bolschewistischen Partei existieren und existieren können. Bei uns arbeitet jedes Parteimitglied gewerkschaftlich. Auch ich bin - Genosse Semard möge es gestatten - immer aus meiner »Vereinsamung« herausgetreten, um mich mit den Gewerkschaftsfragen zu befassen, um an der Gewerkschaftsbewegung, an Streiks usw. aktiv teilzunehmen!

Das Argument des Genossen Semard wendet sich gegen ihn selbst und beweist uns, dass selbst die besten Genossen der französischen Partei noch das Opfer antimarxistischer Vorurteile sind, soweit die Gewerkschaftsfrage in Betracht kommt. Sie bilden sich ein, dass die Parteimitglieder, die keine Handarbeiter sind, die nicht in der Werkstatt arbeiten, sich nicht mit der Gewerkschaftsfrage befassen dürfen, und dass sie in dieser Frage weder mitarbeiten noch eine eigene Meinung haben können. Das beweist uns, dass in unserer französischen Bruderpartei das alte Vorurteil, der Fetischismus der Unabhängigkeit der Gewerkschaften gegenüber der Partei, noch sehr stark ist, und dass man meint, höchstens diejenigen Parteimitglieder, die Handarbeiter und Proletarier sind, könnten sich mit der Gewerkschaftsarbeit befassen; die übrige Partei müsse eine rein politische Organisation bleiben. Damit wird sie aber zu einer Organisation in sozialdemokratischem Sinne, im Sinne der parlamentarischen Politik!

Wir behaupten im Gegenteil, dass eine marxistische Partei ihre Gewerkschaftspolitik haben muss, dass eine solche Partei - wie die italienische Partei es tut - sich bis zum letzten ihrer Mitglieder einschliesslich aller derer, die keine Handarbeiter sind, mit der Gewerkschaftsfrage befassen muss. Übrigens ist es gerade die italienische Partei, die den geringsten Prozentsatz von Mitgliedern, die keine Handarbeiter oder Bauern sind, aufweist. Deshalb ist das Argument des Genossen Semard vollständig hinfällig.

SEMARD: Du legst mir das Gegenteil dessen in den Mund, was ich gesagt habe.

BORDIGA: Du hast ausdrücklich gesagt, dass auf Grund unserer Taktik die Partei sich in zwei verschiedene Gruppen teilen müsse.

SEMARD: Ich habe gesagt, dass sie sich nicht teilen müsse!

BORDIGA: Du hast gesagt, dass sie sich nicht teilen müsse, aber dass diese Teilung die notwendige Folge der logischen Anwendung unserer Taktik wäre. Das beweist, dass du von völlig falschen Voraussetzungen ausgehst.

Was den Kern des Problems betrifft, hat Genosse Semard das folgende ausgeführt: Da ihr für die Einheitsfront auf taktischem Gebiete seid, so müsste ihr auch für die Einheit auf organisatorischem Gebiete sein.

Das sind aber zwei völlig verschiedene Dinge.

Das Problem der gewerkschaftlichen Einheit auf nationalem Gebiet, innerhalb der Landeszentralen, hat schon lange bestanden, bevor die Internationale sich mit der Taktik der Einheitsfront zu befassen begann.

So haben wir z. B. in Italien seit der Gründung der Partei mit der Agitation für die organisatorische Verschmelzung aller bestehenden gewerkschaftlichen Landeszentralen begonnen. Gerade unsere Partei war es, die gegen die bestehende Zersplitterung des italienischen Proletariats in verschiedene Gewerkschaftszentralen gekämpft hat. Unsere Partei ist die einzige Partei Italiens, die nicht eine besondere Gewerkschaftszentrale zu ihrem Privatgebrauch konstruiert hat, die im Gegenteil in sämtlichen bestehenden Gewerkschaftsorganisationen der andern Parteien gearbeitet hat, um sie organisatorisch zu einer einzigen Zentrale zusammenzufassen.

Bei der »Einheitsfront« handelt es sich um ein ganz anderes Problem: nämlich um das Problem der gemeinsamen Aktion resp. um den Vorschlag gemeinsamer Aktionen der verschiedenen proletarischen Organisationen innerhalb eines gegebenen Zeitraumes. In Italien haben wir bereits sechs Monate nach Gründung der Partei die Parole der gewerkschaftlichen Einheitsfront ausgegeben, die dann in der »Allianza del Lavoro« eine gewisse Verwirklichung fand. Ich führe dies nur an, um den Unterschied zwischen den beiden Fragen aufzuzeigen. Für näheres Eingehen auf die Einzelheiten fehlt die Zeit, trotzdem diese Einzelheiten von grösster Bedeutung sind.

Man kann nicht hierherkommen und uns vor die Alternative stellen: Wenn ihr die Einheitsfront annehmt, so müsst ihr auch die Einheit annehmen. Auf Grund dieses Arguments müssten auch diejenigen Genossen, die für die Einheitsfront der politischen Parteien eintreten, gleichzeitig die organisatorische Einheit der politischen Parteien verteidigen! Das ist genau dasselbe! Solche Schlüsse kann man ziehen... [Zwischenrufe, Gelächter.] In Wirklichkeit sind diese beiden Probleme durchaus verschieden. Sie müssen völlig unabhängig voneinander diskutiert werden. Auch das zweite Argument des Genossen Semard ist also in keiner Weise stichhaltig. [Protest aus den Reihen der französischen Delegation.]

Was die Frage der Verschmelzung der RGI mit der Amsterdamer Internationale anbetrifft, so will ich mich darauf beschränken, hier einen einzigen Punkt zu erwähnen, nämlich dass ein solcher Beschluss einzig und allein vom Kongress der Kommunistischen Internationale selbst gefasst werden kann. Wenn man auf dem Kongress über diese Frage keine Entscheidung fällen will, so kann man die Beschlussfassung über diese so ausserordentlich wichtige Angelegenheit keinesfalls der RGI, der Erweiterten Exekutive oder einer besonderen Kommission überlassen. Wird dagegen die Frage hier auf dem Kongress diskutiert, so werden wir selbstverständlich gegen diesen Plan auftreten, dessen Zweck es ist, die beiden bestehenden internationalen Gewerkschaftsorganisationen zu verschmelzen.

Ich beschränke mich darauf, hier einen der Gründe für unsere Stellungnahme anzuführen: Die Vorbedingungen, die ihr stellen wollt, sind vielleicht in praktischer Hinsicht ausreichend, aber auf ihrer Grundlage wird die Einheit nicht zustande kommen, denn sie sind derart, dass ihre Ablehnung von seiten Amsterdams mit Sicherheit vorausgesehen werden kann.

Ihr erwidert: Um so besser, dann haben wir diesen Vorschlag gemacht, und Amsterdam lehnt ihn ab - eine Tatsache, die sich bereits mehrfach wiederholt hat. Die reformistischen Arbeiter werden daraus erkennen, dass wir die Einheit wollen.

In diesem Fall, d. h. wenn ein derartiger Vorschlag unsererseits durch die Amsterdamer abgelehnt worden ist, wird jedoch der Eindruck dieses Vorgangs auf die Arbeitermassen der folgende sein: Man wird meinen, dass unserer eigenen Ansicht nach unsere Gewerkschaftsorganisation kein festes Fundament hat, dass wir den Versuch gemacht haben, sie zu liquidieren, und dass diese Liquidation nur wegen der Ablehnung Amsterdams nicht vollzogen worden ist. Das wird unsere Tätigkeit sehr erschweren.

Wird andererseits die internationale Einheit verwirklicht, so werden wir neben der Internationale nichts weiter als ein Propagandabüro für die Arbeit in den Gewerkschaften haben, ein Propagandabüro nach dem Muster jener »Gewerkschaftskommissionen« der französischen Partei, die niemals wirklich marxistische Arbeit geleistet haben, die niemals etwas anderes als »Büros« gewesen sind, denen es niemals gelungen ist, auch nur die geringste direkte energische Aktion der Partei auf wirtschaftlichem und gewerkschaftlichem Gebiete zu verwirklichen.

Dann wird tatsächlich unsere Internationale nicht viel mehr sein als eine politische Sekte, als eine Bewegung, die sich mit ideologischer Propaganda begnügt, die es nicht versteht, direkt und aktiv in die wirtschaftlichen Kämpfe der Massen einzugreifen.

Aus diesem Grunde sind wir gegen derartige Vorschläge, mögen sie nun dazu bestimmt sein, angenommen zu werden oder nicht.

Hinzu kommt noch folgendes:

Man spricht hier sehr viel von der Amsterdamer Linken. Man sagte: Diese Linke muss kritisiert werden, sie weist Schwankungen auf; aber dessenungeachtet handelt es sich um eine wichtige Tatsache, der man Rechnung tragen muss.

Unserer Ansicht nach enthüllt dagegen dieser Vorschlag zur Wiederherstellung der gewerkschaftlichen Einheit die Tatsache, dass in Wirklichkeit bei uns eine ausgesprochen rechte politische Tendenz existiert, die dieser Kongress erkennen sollte, und die jedenfalls die Internationale nach dem Kongress erkennen wird. In bezug auf die Taktik der Einheitsfront sagt man, dass die Illusion einer möglichen Koalition zwischen den Kommunisten und der sozialdemokratischen Linken liquidiert werden muss. Man unterstreicht die Tatsache, dass die Unterschiede zwischen den rechten und den linken Sozialdemokraten übertrieben worden sind, dass man sich getäuscht und Illusionen hingegeben hat dadurch, dass man die Bedeutung dieser Unterschiede überschätzt hat. Dagegen sagt man uns in bezug auf eine so wichtige Frage, wie es die Frage der Existenz der Roten Gewerkschaftsinternationale selbst ist, die doch nun einmal existiert, und die in allen Ländern die entscheidende Parole der Kommunisten in den gewerkschaftlichen Kämpfen abgegeben hat: Weil innerhalb der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbürokratie, innerhalb der gelben Gewerkschaften, eine Linke existiert, muss man sich sofort auf diese Linke stürzen und muss versuchen, zu einer gemeinsamen Taktik mit ihr zu kommen; man muss die fundamentale Tatsache anerkennen, dass wir für die Taktik der Einheit sind, und dass diese Linke es auch ist.

Unserer Ansicht nach zeigt ein derartiger Vorschlag die Gefahren auf, die in der Anwendung einer Taktik liegen, gegen die wir energischen Protest erheben müssen.

Auf dem 4. Kongress haben wir uns aus prinzipiellen Gründen - was die Frage der Beziehungen zwischen den politischen und wirtschaftlichen Organisationen des Proletariats betrifft - einer Konzession widersetzt, die man den revolutionären Gewerkschaftern machte, als man die Statuten der RGI ändern und auf die organische Verbindung zwischen der Komintern und der Roten Gewerkschaftsinternationale verzichten wollte. Das war meiner Ansicht nach eine vom marxistischen Standpunkt aus entscheidend wichtige Frage.

Als man diese Konzession machte, habe ich ausgeführt: Diese Konzession wird notwendigerweise zu weiteren Konzessionen in der Gewerkschaftsfrage führen. Wie man heute der Linken, den anarcho-syndikalistischen Tendenzen diese schwerwiegende Konzession macht, so wird man morgen den rechten Gewerkschaftern, jener gewerkschaftlichen Richtung, die unter den beiden verschiedenen Formen der Linken und Rechten nur das gleiche, immer wiederkehrende antimarxistische Hindernis auf unserm Wege darstellt, Konzessionen machen müssen. Das deutlichste Beispiel dieser Tendenz gibt uns bis heute eben die französische Partei. Um diese Gefahr zu vermeiden, darf die Gewerkschaftsfrage nicht so behandelt werden, dass das Eingreifen der Kommunisten und der Revolutionäre in die wirtschaftlichen Kämpfe und Organisationen der Arbeiterschaft dadurch abgeschwächt und verschleiert wird.

Deshalb zwingt uns die Rede des Genossen Semard, der uns direkt angegriffen hat, gegen den Vorschlag, der in bezug auf die RGI gemacht worden ist, Stellung zu nehmen und noch einmal festzustellen, dass es gerade die französische Partei ist, die mit Hilfe der übrigen Sektionen der Kommunistischen Internationale mehr und mehr dazu angetrieben werden muss, die marxistische Taktik des direkten und unerschrockenen Eingreifens in die Kämpfe der Massen zu befolgen. [Beifall.]

Notes:
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  1. auf der dreizehnten Sitzung des V. Weltkongresses der KI am 25.6.1924 [back]
  2. auf der sechzehnten Sitzung des V. Weltkongresses der KI am 27. Juni 1924 [back]
  3. auf der neunzehnten Sitzung des V. Weltkongresses der KI am 28. Juni 1924 [back]
  4. auf der neunzehnten Sitzung des V. Weltkongresses der KI am 28. Juni 1924 [back]
  5. auf der neunundzwanzigsten Sitzung des 5. Weltkongresses der KI am 7. Juli 1924 [back]

Source: »Protokoll. Fünfter Kongress der Kommunistische Internationale. 17.Juni bis 8.Juli 1924 in Moskau«, Verlag Carl Hoym Nachf., 1924

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